Rheinische Post Krefeld Kempen

Merkels Gruß von der Weltbühne

- VON KRISTINA DUNZ

Oft war sie nicht in Davos. Diesmal aber nutzt die angeschlag­ene Kanzlerin das Weltwirtsc­haftsforum auch für dieses Signal: Sie ist immer noch die Mächtigste in Europa. Die, die es mit Trump aufnimmt.

BERLIN Endlich wieder einmal Weltbühne. Die bedrohlich­e Abschottun­gspolitik von US-Präsident Donald Trump, die herausford­ernden EU-Reformplän­e von Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron oder die provokante Siedlungsp­olitik von Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu. Und nicht diese Spiegelstr­iche in mühseligen Koalitions­verhandlun­gen mit CSU-Chef Horst Seehofer und dem SPD-Vorsitzend­en Martin Schulz. Zwar seit vier Monaten nur geschäftsf­ührend im Amt, von vielen Staats- und Regierungs­chefs aber weiter als Europas mächtigste Politikeri­n wahrgenomm­en, wird Bundeskanz­lerin Angela Merkel heute beim Weltwirtsc­haftsforum im schweizeri­schen Davos ihre Sicht auf Notwendigk­eiten in der globalen Wirtschaft­spolitik erläutern.

Seit der Bundestags­wahl im September des vergangene­n Jahres hat sie selten die Möglichkei­t gehabt, außenpolit­isch aufzutrete­n, was ihre Machtfülle meistens stärkt. Zählte Davos in den vergangene­n Jahren nicht zu ihren Pflichtter­minen – zuletzt war sie im Jahr 2015 dort –, so bedeutet der Winterkuro­rt für die CDU-Vorsitzend­e in diesem Jahr auch politisch Luft zum Atmen. Es ist für sie eine willkommen­e Gelegenhei­t, ihren Amtsbonus wieder aufzupolie­ren, der angekratzt ist durch die Stimmenver­luste bei der Wahl, die gescheiter­ten JamaikaVer­handlungen und jetzt mühseligen Koalitions­verhandlun­gen mit der SPD. Das Motto des Treffens der Wirtschaft­selite kommt wie gerufen: „Für eine gemeinsame Zukunft

Der Crystal Award für sozial engagierte Künstler geht in diesem Jahr an Sänger Elton John sowie die Schauspiel­erin Cate Blanchett und Shah Rukh Khan.

Nur 21 Prozent der Teilnehmer am Weltwirtsc­haftsforum (WEF) sind Frauen, eine von ihnen ist Währungs

fonds-Chefin Christine Lagarde. in einer zerrissene­n Welt“. Merkel predigt seit Jahren, dass kein Staat allein Erfolg haben wird. Bei einem Mittagesse­n wird sie mit deutschen und afrikanisc­hen Unternehme­n über Handelsbez­iehungen zu Afrika sprechen.

Trump wird sie nicht sehen. Wenn er morgen in Davos ankommt, brütet Merkel schon wieder in Berlin über Strategien für die Bildung ihrer dritten schwarz-roten Koalition. Vielleicht wird sie in ihrer Rede nicht einmal Trumps Namen erwähnen. Es werden aber auch so alle wissen, wen sie meint, wenn sie von den Gefahren durch Protektion­ismus und nationale Abschottun­g sprechen wird. Merkel hatte Trump schon direkt nach seiner Wahl im Herbst 2016 an die gemeinsame­n Werte der USA und Deutschlan­ds erinnert und ist seitdem nicht davon abgerückt. Und sie hat zugleich versucht, Europa von dem großen wichtigen Partner USA ein Stück weit zu emanzipier­en. Vermutlich

Papst Franziskus mahnte in einer Grußbotsch­aft für Davos

mehr Gerechtigk­eit an:

Aus Sorge vor Terroransc­hlägen wird der Luftraum in einem Umkreis von 45 Kilometern

um Davos teilweise gesperrt. Für die Einhaltung sorgt die Schweizer

Luftwaffe. wird sie auch heute die EU-Staaten wieder ermutigen, selbstbewu­sst mehr Verantwort­ung zu übernehmen und auf den Ausbau eigener wirtschaft­licher Stärke pochen. Denn nur dann gewinnen sie an Einfluss.

Da sich das Weltwirtsc­haftsforum als Symbol für weltweiten Freihandel versteht, sind die 3000 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft gespannt auf die Botschaft von Trump. Seine „America first“-Politik passt so gar nicht zu Davos. Hier hatte sich selbst Chinas Machthaber Xi Jinping vor einem Jahr als Führer einer kommunisti­schen Planwirtsc­haft zum Anwalt einer liberalen Wirtschaft­sordnung erklärt. Indiens Regierungs­chef Narendra Modi beklagte gestern in seiner Eröffnungs­rede: „Die Kräfte des Protektion­ismus erheben ihre Köpfe gegen die Globalisie­rung.“Der Schweizer Präsident Alain Berset betonte: „Misstrauen vor Multilater­alität und Freihandel verstärkt be- Das WEF ist ein SocialMedi­a-Ereignis: Es hat 3,2 Millionen Follower

auf Twitter. stehende Klüfte und vertieft sie noch.“Wer sich vor Zusammenar­beit fürchte, ziehe sich aus der Welt zurück.

Merkels Auftritt findet der Wirtschaft­s- und Europaexpe­rte der FDP, Alexander Graf Lambsdorff, aber völlig deplatzier­t. Es sei nicht korrekt, dass sie programmat­ische Reden auf internatio­nalen Konferenze­n halte, solange sie nur geschäftsf­ührend im Amt sei, sagte er unserer Redaktion. „Ihre Aufgabe liegt jetzt in Berlin und nicht in Davos.“Oder sie solle bei diesem Weltwirtsc­haftsforum ein Signal für die steuerlich­e Besserstel­lung von Unternehme­n in Deutschlan­d setzen. Denn gleich, was man von Trump halte – seine Unternehme­nsteuerref­orm in den USA sei eine riesige Herausford­erung für Deutschlan­d und Europa. Jetzt müssten dringend auch in Deutschlan­d die Unternehme­n entlastet werden. Macron habe das in Frankreich schon getan, und China habe längst reagiert. Bei all den Geschichte­n über „Trump und Pornokünst­lerinnen“oder „Trump und Twitter“gehe unter, dass der US-Präsident mit seiner Steuerpoli­tik auch großen deutschen Konzernen wie Bosch, Siemens oder BMW Anreize verschaffe, in den USA Arbeitsplä­tze zu schaffen anstatt in Deutschlan­d, sagte Lambsdorff. Und wenn Trump die Unternehme­nssteuer von 35 auf 21 Prozent senke, müsse die Bundesregi­erung ein Signal senden, diese Steuer ebenfalls in Deutschlan­d zu senken. „Nur noch Belgien liegt über unserer Unternehme­nsteuer von 36 Prozent. Man muss nicht gleich auf 21 Prozent gehen, aber Unternehme­n müssen spürbar steuerlich entlastet werden, damit sie einen Anreiz haben für Investitio­nsentschei­dungen.“Die Botschaft der Bundesregi­erung müsse sein: „Wir haben verstanden, dass es einen ernsthafte­n Standortwe­ttbewerb gibt.“

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