Rheinische Post Krefeld Kempen
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offen legen könnte, setzt zum Beispiel Vergleichbarkeit voraus. Ist aber eine 40-jährige Schauspielerin, die die Amme in „Romeo und Julia“spielt, vergleichbar mit einem männlichen Kollegen, der „Macbeth“spielt? Es gibt in der Weltliteratur viel weniger tolle Frauenrollen, wie sollen Ensembles darauf reagieren? Im Bereich Migration und Inklusion haben wir schon tolle Fortschritte gemacht. Intendantinnen wie Karin Beier und Shermin Langhoff zum Beispiel haben dazu beigetragen, dass wir heute nicht mehr nur biodeutsche Darsteller auf der Bühne sehen. Auch in der Frauenfrage brauchen wir Bewegung. In Oberhausen gibt es zum Beispiel ein paritätisch besetztes Ensemble, da spielen Frauen auch Männerrollen, das ist eine Herausforderung für Regisseure, für die Sehgewohnheiten des Publikums, da gibt es noch viel Redebedarf. Wenn sich nun erstmals Frauen in Bonn treffen, um über ihre Anliegen zu sprechen, werden Sie einen Forderungskatalog erarbeiten? BRAMKAMP Nein, das wäre zu früh. Wir möchten zunächst einmal dazu einladen, dass Frauen überhaupt zusammenkommen und sich darüber austauschen, wie ihre Lage ist. Und zwar nur unter Frauen. Wir müssen erst einmal den Status quo bestimmen. Zu vielen Themen gibt es noch keine vorherrschende Meinung. Es gibt radikale Forderungen, etwa nach einer Frauenquote in der Regie. Egal, wie man dazu steht, es ist klar, dass es in der Theaterszene strukturelle Veränderungen geben muss. Die Me-too-Debatte hat ja ein neues Klima der Offenheit geschaffen, in dem nun nicht mehr nur über sexuelle Belästigung in der Kunstszene gesprochen wird, sondern auch über herabwürdigenden Umgang mit Mitarbeitern, wie er etwa in einem offenen Brief Ex-Burgtheaterchef Hartmann vorgeworfen wird. Trifft das vor allem Frauen? BRAMKAMP Zu dem Fall Hartmann kann ich nichts sagen. Die Konferenz hatten wir ja schon weit vor jeder Me-too-Debatte geplant. Ich bin mir sicher, es wird auch darum gehen, das bewegt ja gerade die Welt. Das Ensemble Netzwerk, eine Vereinigung von Theaterschaffenden, hat nach den ersten Meldungen eine Umfrage gemacht und nach Vorfällen in der Theaterszene gefragt. Die erste Antwort-Mail kam von einem Mann, der sich von einem homosexuellen Regisseur belästigt fühlte. „Me too“ist also im Kern kein Frauenthema, sondern eine Debatte über Macht und Machtmissbrauch. Diese Debatte ist sehr wichtig. Aber natürlich gibt es in der Kunstszene Exzentriker, anstrengende Charaktere, die für ihre Genialität geschätzt werden. Sicher wäre es falsch, nun in Puritanismus zu verfallen. Trotzdem finde ich es wichtig, dass Betroffene jetzt an die Öffentlichkeit gehen und für Fragen von Macht und Machtmissbrauch sensibilisieren. Theaterleiter, die ihre Aufgabe nach Standards des modernen Managements erfüllen, wird aber gern vorgeworfen, sie seien zu glatt, und wüssten gar nicht mehr, was Kunst wirklich ist. BRAMKAMP Man kann als moderner Intendant ja Künstler engagieren, die noch wissen, was Kunst ist. (lacht) Im Ernst: Es wird vielfältiger und bunter werden am Theater. Wir sind keine Behörde, sondern weiter eine Heimat für bunte Vögel, daran wird auch „Me too“nichts ändern. Und der weiße Mann stirbt auch nicht aus, wenn sich nun Theatermacherinnen in Bonn zum Ritt um den Blocksberg treffen. 300 Frauen haben sich schon angemeldet. Übrigens von der Regieassistentin über die Tontechnikerin bis zur Intendantin ist alles vertreten. Sind Sie dankbar für die Me-too-Debatte oder lenkt sie die Aufmerksamkeit zu sehr in Richtung sexueller Übergriffe? BRAMKAMP Ich finde jede Form von Debatte wichtig. Und jede Form von Solidarität. DAS INTERVIEW FÜHRTE DOROTHEE KRINGS