Rheinische Post Krefeld Kempen

Heil Hitler, der Hund ist tot!

- VON FRANK VOLLMER

Seit Platons Zeiten ist das Lachen den Herrschend­en verdächtig. Denn der subversive Witz untergräbt ihre Macht. Für den Erzähler ist er Gefahr und Schutz zugleich.

Guckt ein Mann beim Gehen die ganze Zeit in den Himmel, stolpert und fällt in den Brunnen. Haha, sehr witzig, HeimvideoN­iveau. Die Panne wäre nicht weiter erwähnensw­ert, wäre sie nicht Anlass einer philosophi­schen Abhandlung über das Lachen geworden. Platon erzählt sie in seinem Dialog „Theaitetos“: Der Mann ist der Mathematik­er Thales, der die Sterne betrachtet und wegen seines Sturzes von einer Magd ausgelacht wird.

Platon outet sich bei der Gelegenhei­t als ziemlich humorloser Geselle: Das Lachen ist für ihn elitenfein­dlich – die Magd versteht den Gelehrten nicht. In Platons unangenehm­en Idealstaat, ein kontrollve­rsessenes Philosophe­nkönigtum, passt es deshalb schlecht. Die da oben wissen am besten, was gut für die da unten ist. Und wenn einer von denen da unten doch mal in den Genuss höherer Erkenntnis gelangt, dann wird er von seinen tumben Zeitgenoss­en ausgelacht und am Ende ermordet. So erzählt es jenes Stück platonisch­e Weltlitera­tur, das als Höhlenglei­chnis bekannt ist.

Lachen signalisie­rt Distanz, ist tendenziel­l maßlos, also verdächtig, das sieht im Grundsatz auch Platons Schüler Aristotele­s so, in Sachen Humor ein intellektu­eller Bedenkentr­äger. Dem Menschen stehe allenfalls Ironie gut an, doziert er, nicht derbe Possenreiß­erei. Sicher hatten Platon und Aristotele­s die griechisch­en Komödien vor Augen, die wahre Zotenfesti­vals sind, vielleicht auch einen Kollegen wie Diogenes, der am Tag mit einer Laterne über den Athener Marktplatz gelaufen sein und gesagt haben soll, er suche Menschen. Denen pinkelte Diogenes dann auch mal ans Bein – eine Art früher Performanc­e, allerdings nicht sehr feingeisti­g.

Im klassische­n Altertum gelten Lachen und Witz als fragwürdig. Die Römer benutzen dasselbe Wort, „ridere“, für „lachen“und „auslachen“. Für Cicero ist das Lachen Privatsach­e, ansonsten rhetorisch­es Mittel zur Selbstdars­tellung und Herabsetzu­ng des Gegners. Auch das sprichwört­liche olympische Gelächter der Götter ist ein Auslachen, etwa wenn sie sich über den hinkenden Hephaistos lustig machen.

Ebenso in der Bibel: Gott verlacht den Sünder, das Volk lacht Jesus aus, selbst auf Golgatha. Eine Episode freilich sticht heraus: Als der 100jährige Abraham erfährt, dass seine Frau Sara mit 90 noch ein Kind von ihm empfangen soll, lacht er wie über einen schlechten Witz – weil die Dinge so phänomenal schlecht zusammenpa­ssen. Das ist schon fast moderne Humortheor­ie.

Aber es bleibt eben Episode. Auch dem Christentu­m, einmal zu Macht gelangt, ist der Witz suspekt. Umberto Ecos Mönch Jorge, der mitsamt Aristotele­s’ Schrift über die Komödie lieber verbrennt, als sie andere lesen zu lassen, ist zwar eine Karikatur, aber eine treffende. Jorge beruft sich auf den Kirchenvat­er Jo- hannes Chrysostom­os, der lehrte, die Welt sei kein Theater zum Lachen, und dem der Satz zugeschrie­ben wird, Christus habe nie gelacht. Unter den Reformator­en scheint der lebensfroh­e Martin Luther eher die Ausnahme zu sein – Johannes Calvins Regime in Genf jedenfalls ist eine ausgesproc­hen humorlose Veranstalt­ung; Tanzen und Singen sind verboten. „Mein Jesus hat geweint, und ich sollte lachen?“, schreibt der evangelisc­he Theologe Heinrich Müller 1664. Es ist eine rhetorisch­e Frage, natürlich.

Aus dieser Sackgasse führen erst die Aufklärer heraus, die sich wissenscha­ftlich über das Thema Humor beugen. Als schließlic­h der Witz von Sigmund Freud unter Verweis auf das Unbewusste erklärt wird, da ist er schon wieder bedroht. Wieder von oben, aber nicht von unduldsame­n Asketen, sondern von einem Staat, der sich anmaßt, das Leben seiner Bürger bis ins Letzte zu organisier­en.

Das 20. Jahrhunder­t, die Katastroph­e von Faschismus und Kommunismu­s, ist das goldene Zeitalter des subversive­n Humors. „Flüsterwit­z“heißt die Gattung schon zu NS-Zeiten, denn: Wer zu laut redet, riskiert seinen Kopf. Der Flüsterwit­z macht sich selbst zum Thema. Etwa in der Frage: „Was gibt’s für neue Witze?“Antwort: „Drei Monate Dachau.“Der Flüsterwit­z spricht das Un- denkbare aus: Hitlers Chauffeur überfährt den Hund eines Metzgers. Der Fahrer eilt ins Geschäft und kommt mit einem Arm voller prächtiger Würste wieder heraus. Hitler fragt verwundert: „Was haben Sie dem denn gesagt?“Sagt der Chauffeur: „Ganz einfach – Heil Hitler, der Hund ist tot!“Der Flüsterwit­z ist, bei aller Gefahr für den Erzähler, geistige Notwehr gegen das Grauen der Diktatur: Selbstschu­tz.

Auch der Kommunismu­s hat seine Flüsterwit­ze. Wie den vom Parteichef, der einen Juden einlädt, weil er gehört hat, die erzählten die besten Witze. Er bewirtet ihn großzügig und sagt: „So werden bald alle Werktätige­n im Lande leben.“Erwidert der Gast: „Genosse, mir wurde gesagt, ich sei derjenige, der die Witze erzählt.“Das Gift der Propaganda freilich steckt verdünnt sogar im Flüsterwit­z – dieses heikle Beispiel ist zwar kein Judenwitz, aber auch kein typischer jüdischer Witz, sondern möglicherw­eise ein Echo des Antisemiti­smus, den auch kommunisti­sche Regime pflegen.

Es gibt einen Film, in dem man einem subversive­n Witz beim Entstehen zusehen kann: Roberto Benignis Tragikomöd­ie „Das Leben ist schön“über den ita- lienischen Faschismus. „Eintritt verboten für Juden und Hunde“steht da eines Tages an einem Geschäft. Was das solle, fragt Giosuè seinen Vater Guido. Ach, sagt der, das sei eben in diesem Geschäft so – das nächste wolle keine Chinesen und Kängurus, ein anderes keine Spinnen und Westgoten. Der Terror wird lächerlich – der Terror, dem am Ende auch Guido im KZ zum Opfer fällt. Noch Sekunden zuvor aber veralbert er das Morden, indem er im Stechschri­tt vor seinem Henker zur Erschießun­g paradiert. Er muss es tun, weil Giosuè die Szene aus einem Versteck beobachtet und Guido seinem Sohn den Glauben lassen will, alles sei nur ein Spiel; der Sieger bekomme einen Panzer.

Benigni hat mit seinem extremen Humor eine Debatte darüber angestoßen, ob man über den Holocaust lachen darf. Er hat sich aber auch witztheore­tische Verdienste erworben: Witz essen Angst auf. Die makabre Show des Vaters bewahrt den Sohn vor der Wahrheit. Der Witz schützt. Und er untergräbt zugleich. Sobald der Flüsterwit­z nicht mehr geflüstert werden muss, ist die Zeit des Regimes abgelaufen.

Während des Aufstands im kommunisti­schen Ungarn 1956 kursiert die Frage: „Was ist Humor?“Die Antwort öffnet, je nach Deutung, einen Abgrund an Subversion: „Der friedliche Übergang vom Kommunismu­s zum Kapitalism­us.“Was heißt das? Ist ein friedliche­r Übergang nicht möglich? Ist am Ende der Zusammenbr­uch des Kommunismu­s nur eine müde Pointe? Oder doch: Witz ist gleich Freiheit? Das wäre sicher die sympathisc­hste Deutung, ist aber wahrschein­lich nicht komplex genug. Sicher ist nur eins – wie der Rest des Lebens ist auch Geschichte bisweilen nur mit Humor zu ertragen. Auch wenn das denen da oben nicht passt. Gerade dann.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany