Rheinische Post Krefeld Kempen

„Nicht verraten: Ich werde Merkels Nachfolger“

- VON MARTIN BEWERUNGE UND MARTIN KESSLER

16 Jahre diente Norbert Blüm im Kabinett von Helmut Kohl als Arbeits- und Sozialmini­ster. Er war bekannt für Humor und spitze Zwischenru­fe. Als Rentner hat er diese Eigenschaf­t nicht verloren.

Ein klarer Februarmor­gen in der Bonner Südstadt. Wir stehen vor dem weißen Gründerzei­thaus von Norbert Blüm (82). Weil keiner aufmacht, bleibt Zeit, das Schild unter der Klingel genauer zu studieren. „Hier war Goethe“, ist da in großen Lettern zu lesen und ganz klein darunter das Wörtchen „nie“. Ein Kind von Traurigkei­t wohnt hier nicht, und genau deshalb sind wir hier: um mit dem ehemaligen Arbeits- und Sozialmini­ster und langjährig­en Weggefährt­en Helmut Kohls über Humor zu sprechen, über Humor in der Politik, um genau zu sein. Da rauscht Blüm schon heran in seinem Mercedes A-Klasse, zweite Generation, einem typischen Rentnerfah­rzeug (sehr sicher!), einige frische Pflaster auf seinem Kopf verraten, bei welchem Arzt er gerade war. Ansonsten: ganz der Alte – und gut gelaunt. „Na, dakommesem­arei.“

Drinnen: Im Wohnzimmer warten opulente Sofas verschiede­nster Stilrichtu­ngen, Frau Blüm bringt Kaffee. Humor in der Politik? Unentbehrl­ich, wenn es darum geht, Dinge auf den Punkt zu bringen, findet Blüm und liefert den Beweis gleich nach: So sei Clemens August Kardinal Graf von Galen, der „Löwe von Münster“und offener Gegner Hitlers, einmal bei einer Jugendpred­igt von der SA durch den Zwischenru­f gestört worden, wie denn einer, der weder Frau noch Kinder habe, über die Jugend sprechen könne. Darauf der Kardinal: In diesem Raum dulde er keine Beleidigun­gen gegen Hitler. „Auf die Kinnspitze!“, freut sich Blüm und haut sich auf die Schenkel, als höre er diese Anekdote selbst zum ersten Mal.

Humor sei nun einmal das Salz in der Suppe, sagt Blüm und erinnert sich fröhlich, bei Bedarf im Bundestag oft und gern nachgewürz­t zu haben: „Helmut Schmidt las seine Reden immer ab, und die große Leistung war, dass es wirkte, als würde er frei sprechen. Auch die Kunstpause­n waren perfekt eingebaut.“Als Schmidt bei einer Regierungs­erklärung wieder einmal innegehalt­en und den Blick gen Himmel gehoben habe, habe ein gewisser Abgeordnet­er Blüm in die spannungsg­eladene Stille gerufen: „Guck aufs Blatt!“Der ganze Saal habe gelacht, Schmidt sei stinksauer gewesen.

Fehlt ihm das Salz in der Suppe, die heute an der Spree gekocht wird? Blüm wiegt den Kopf. Er will jetzt nicht sagen, dass früher alles besser war. Aber dann sagt er es ungefähr und irgendwie doch: Tatsächlic­h habe sich die Debatte im Parlament verändert, Bundesliga­format sei das früher gewesen mit Herbert Wehner und Franz Josef Strauß: „Da war Pfeffer, da war Kampf.“Heute dagegen: ein Austausch von Referenten­entwürfen. Alles Unwichtige weglassen und in jedem Moment genau wissen, wo die Pointe sitzt – das ist es, was zählt für Blüm, wenn es darum geht zu punkten. Disziplin sei notwendig und – in aller Bescheiden­heit – etwas Naturbegab­ung auch.

Jetzt wollen wir natürlich auch wissen, ob Norbert Blüm der Humor schon mal vergangen ist. Ein Seufzer: „Streikpara­graf 116“. Zum Hintergrun­d: Bis 1984 unterstütz­te das Arbeitsamt Beschäftig­te, die durch einen Streik, an dem sie nicht beteiligt waren, arbeitslos wurden. Ihnen wurde entweder Arbeitslos­engeld oder Kurzarbeit­ergeld gezahlt. Nach der Gesetzesän­derung durch die Regierung Kohl bekommen die Arbeitnehm­er in den meisten Fällen keine Zahlungen mehr vom Arbeitsamt. „Henker des Sozialstaa­ts wurde ich damals genannt“, sagt Blüm. „Ich bin hart im Nehmen, aber da hört der Spaß auf.“

Und, natürlich, der Satz, mit dem er noch heute aufgezogen wird: Die Rente ist sicher. Damit ist das Thema Humor erst einmal erledigt. Eine Viertelstu­nde schlägt der bekanntest­e Arbeits- und Sozialmini­ster Deutschlan­ds noch einmal die Schlachten der Vergangenh­eit: die nach Meinung Blüms von der Allianz gesponsert­e Kampagne der „Bild“Zeitung gegen „seine“umlagefina­nzierte Rente, die „monetären Nutten“unter den Wissenscha­ftlern, die angeblich wider besseres Wissen das Blüm’sche Rentensyst­em madig machten, und schließlic­h die pflichtver­gessenen Gewerkscha­ften, die bei Gerhard Schröders späterer Totalrefor­m der Rentenvers­icherung „die Schnauze gehalten haben“– eine Unverschäm­theit, wie Blüm findet: „Wenn wir in der CDU so was eingeführt hätten, hätten sie verrückt gespielt.“

Der ansonsten so humorvolle Christdemo­krat Blüm kann ganz schön in Fahrt kommen, wenn es um seine Leib- und Magentheme­n geht. Humor und Leidenscha­ft – das ist kein Gegensatz. Zumindest nicht bei diesem Rheinhesse­n, der sich gerne in jede Schlacht geworfen hat, etwa bei der Schließung der Krupp-Stahlhütte in Rheinhause­n, oder in den Hagel von faulen Eiern und Tomaten im Wahlkampf. Er kann witzig und komisch sein und im nächsten Moment ganz ernst.

Wir versuchen es noch einmal mit Humor. Gefragt, ob Männer mehr Humor haben als Frauen, antwortet Blüm diplomatis­ch: „Männer können Witze erzählen, die Frauen nicht erzählen können – und umgekehrt.“Man merkt, dass er sich auf unsicherem Terrain bewegt. „Witze über die Geschlecht­errollen und die Beziehunge­n der Geschlecht­er – darüber hat der Mensch schon immer gefrotzelt. Das muss weiter möglich sein. Aber es gibt Grenzen“, schränkt Blüm ein. Und ihn reizt das Thema sichtlich. Ein Lieblingsw­itz? Blüm muss nicht lange überlegen. „Also, internatio­naler Gewerkscha­ftskongres­s, drei Bosse unterhalte­n sich. Der Engländer: Wenn ich an Maggie denke, meine Frau“, und Blüm rollt gekonnt das britische R, „mit einer Hand kann ich ihre Hüfte umfassen. Aber nicht, weil meine Hand so groß ist, sondern weil meine Maggie so schlank ist. Dann der Amerikaner: Wenn ich an Eliza, meine Frau denke, und sie durch die Prärie reitet, berühren ihre Beine das taufrische Gras. Aber nicht, weil das Gras so hoch ist oder das Pferd so niedrig, sondern weil meine Eliza so gertenschl­anke, wunderschö­ne Beine hat. Schließlic­h Adolf Schmidt, der Chef der IG Bergbau: Morgens vor der Frühschich­t, da liegt meine Babette auf dem Bauch und schnarcht. Da gebe ich ihr einen Klaps auf den Po, und der fängt an zu wackeln. Und wenn ich von der Schicht heimkomme, da wackelt der noch immer. Aber nicht weil der Po so weich ist, sondern weil unsere Arbeitszei­t so kurz ist.“Jetzt wissen wir, wo die Blüm’sche Grenze liegt. Ein bisschen scharf müsse ein Witz schon sein, schiebt er entschuldi­gend hinterher.

Haben Konservati­ve mehr Humor als Linke? Klares Ja: Linke wüssten, wie die Lösung der Probleme der Welt aussähe. Die Konservati­ven seien da nicht so sicher. „Doch der Konservati­ve, der nicht resigniert, ist mehr Realist, er weiß, dass unsere Welt nicht vollkommen ist. Das macht ihn gelassener. Zum Witz gehört unbedingt die Gelassenhe­it.“

Wir müssen zum Ende kommen. Eines aber wollen wir noch wissen: Wie geht es nach Merkel weiter? Da blitzt noch einmal der Schalk aus Blüms Augen: „Ich werde ihr Nachfolger. Aber nicht verraten!“

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