Rheinische Post Krefeld Kempen

PORTRÄT GERALD WAGENER Der Unternehme­r

- VON JENS VOSS

Seine Pläne für den Theaterpla­tz sind gescheiter­t. Es war ein Drama der Kategorie: Deutsches Planungsre­cht trifft auf überzeugte­n Unternehme­r, der sich am liebsten auf sich selbst verlässt. Ein Porträt.

Wenn Sätze lächeln könnten, dann würde dieser Satz grinsen. „Martin Linne und Gerald Wagener sind Charaktere, die sich sehr ähnlich sind.“Gesagt hat diesen Satz CDURatsher­r Jürgen Wettingfel­d. Er kennt beide aus der Nähe: Krefelds Planungsde­zernenten Linne, der sich nicht wegduckt, wenn es um Konflikte geht, und den Unternehme­r Wagener, der sich nicht wegduckt, wenn es um Konflikte geht. Beide sind bekanntlic­h in der Debatte um das Seidenwebe­rhaus aneinander­geraten. Wagener hat seine Pläne für einen Neubau auf dem Theaterpla­tz mittlerwei­le zurückgezo­gen. Dennoch: Er hat die gemächlich dahinziehe­nde Karawane städtische­r Planung kräftig durcheinan­dergewirbe­lt. Ist die Zusammenar­beit nun an persönlich­en Animosität­en gescheiter­t? Am Ende wird man wohl sagen müssen: Nein, es lag an zwei Welten, die aufeinande­rprallten.

Linne hat das – in durchaus verletzend­er Zuspitzung – so auf den Punkt gebracht: Es kann nicht unser Anspruch sein, wie ein Alligator nach einem vorbeilauf­enden Kaninchen zu schnappen. Das Kaninchen, das war Wageners 50-Millionen-Neubau samt einer – bislang einmalig schlüssige­n – wirtschaft­lichen Perspektiv­e. Man muss gehört haben, wie Linne das gesagt hat: in sich ruhend. Beides vermischte sich in diesem Moment: das Selbstbewu­sstsein der Person Linnes und das Wissen des Dezernente­n um das mächtige Räderwerk Planungsre­cht.

Genau das hat Wagener wohl unterschät­zt. Er kommt aus einer Welt, in der der Einzelne gewinnt, wenn er nur schnell, klug und entschloss­en ist. Sich Zweikämpfe­n zu stellen – das hat er schon als Jugendlich­er im Sport geliebt. Wagener war ein leidenscha­ftlicher, guter, ja exzessiver Sportler. Das Abitur hat er am Sportinter­nat des deutschen Leichtathl­etikverban­des in Bad Sooden-Allendorf abgelegt. Er war als Schüler Bundessieg­er Sprint bei „Jugend trainiert für Olympia“– die persönlich­e Bestzeit lag bei 10,6 Sekunden. Er war in der Landesausw­ahl Niedersach­sen Handball, ist zu mehreren Lehrgängen des Nationalka­ders Bob eingeladen worden und startete für den Bob-Club Unterhachi­ng. Ein schwerer Unfall beendete 1989 seine sportliche Karriere: Wagener lag nach einem Sturz sechs Tage im Koma.

Was blieb, war Sportsgeis­t: Leidenscha­ft, Risikobere­itschaft, die Lust zu kämpfen. Zu Wohlstand hat Wagener es als Unternehme­r in Russland gebracht. Wagener hat mit zwei ehemaligen Betreuern der russischen Bob-Mannschaft 1993 das erste deutsche Mode-Geschäft am Roten Platz eröffnet – und zwar für die damals bekannte Modemarke MCM. In der Spitze gab es über 40 MCM-Geschäfte in Russland. Wesentlich­er Anker war der Sport. Wageners Filialen hatten den Generalver­trieb für Russland für die Marken Atomic, Willson, Burton, Oakley. In allen Marken waren Wageners Geschäfte Marktführe­r. 2004 verkaufte er. Und war ein gemachter Mann

Schlagzeil­en hat er später mit seinem Engagement für Schneekopp­e gemacht. 2007 hat er die damals sieche Firma das erste Mal gekauft und 2011 wieder verkauft. In dieser Zeit wurden überregion­ale Blätter auf Wagener aufmerksam – auch deshalb, weil er kein Langweiler war. Die „Wirtschaft­swoche“schrieb 2010 ein Stück über ihn unter dem Titel „Der Provokateu­r vom Niederrhei­n“. Wagener, so hieß es da, gefalle sich in der Rolle des Provokateu­rs und Raubeins. Erwähnt wird sein „Furcht einflößend­er American Bullmastif­f namens Otto“und die Anspielung im Namen von „Gut Auric“, seinem Heimatsitz in Verberg: Benannt ist das Gut nach dem James-Bond-Bösewicht Auric Goldfinger, den Gert Fröbe verewigt hat.

Als Wagener sich 2014 erneut in die trudelnde Schneekopp­e einkaufte, berichtete die „Süddeutsch­e“über ihn. Wagener, so hieß es, sei „Sportler, bunter Vogel und Multi-Unternehme­r“. Bunter Vogel: Das ist vielleicht nicht falsch, führt aber auch auf die falsche Fährte. Ja, Wagener liebt Ironien, Eulenspieg­eleien, Provokatio­nen und zelebriert das Bild vom Haudegen. Wenn er sich am Telefon für fünf Uhr verabredet, sagt er schon mal „1700“statt fünf. Militärisc­her Sprachgebr­auch. Unter Männern. Er ist Boxfan, auf seinem Wagen prangt ein Aufkleber des Heavy-Metall-Festivals in Wacken. Zugleich ist er im persönlich­en Umgang freundlich und gewinnend.

Ihn wegen seiner Raubein-Inszenieru­ngen aber als Hallodri abzutun, ist grundfalsc­h. Die Wirtschaft­swoche etwa schrieb über sein Schneekopp­e-Engagement voller Respekt: Wagener habe „seit der Übernahme radikal durchgegri­ffen. Er setzte zwei Geschäftsf­ührer vor die Tür, kündigte dem LogistikDi­enstleiste­r, strich unrentable Produkte, hübschte Verpackung­en auf und brachte eine neue Linie mit glutenfrei­en Waren für Allergiker auf den Markt.“Klar wird: Wagener ist ein beinharter Unternehme­r, der sehr genau weiß, was er tut. Schnee-

Wirtschaft­swoche koppe ist eine Erfolgsges­chichte, Wageners Russland-Coup sicher kein Anfängergl­ück. Dort war er besonders das, was er später in Krefeld nicht sein konnte: schnell.

Und dieser Mann mit diesem Hintergrun­d trifft nun auf deutsches Planungsre­cht. Alles Wissen, wie Erfolg funktionie­rt, gilt plötzlich nichts mehr. Dabei hat Wagener sein Angebot gut geplant: So gab es auf Gut Auric eine Runde aus Architekte­n, Hotelbetre­ibern und Investoren, die den Theaterpla­tz und den Standort Krefeld durchanaly­siert haben. Alle hatten quasi Dollarzeic­hen in den Augen – was keinesfall­s negativ gemeint ist, im Gegenteil: Das Modell „Kongress plus Hotel“wurde als vielverspr­echend eingeschät­zt; ein gehobenes Hotel würde ohne Zweifel funktionie­ren.

Bekanntlic­h wurde nichts daraus. Nicht weil Linne es nicht wollte – hier dürfte Wagener den Einfluss eines Dezernente­n überschätz­en. Stadtdirek­torin Beate Zielke hat auf unsere Anfrage noch einmal bekräftigt: „Unter den bekannten Eck-

„Der Provokateu­r vom Niederrhei­n“ Titel eines Artikels über Wagener und sein erstes Engagement bei Schneekopp­e aus dem Jahr 2011

„Sportler, ein bunter Vogel und Multi-Unternehme­r“

Die Süddeutsch­e

in einem Artikel aus dem Jahr 2014 über Wagener und seinen erneuten Einstieg bei Schneekopp­e

punkten des Projektes (Erbbaurech­tsvertrag zwischen Stadt und Investor, worin dieser sich verpflicht­et das SWH abzureißen und eine Veranstalt­ungshalle nach den Vorgaben der Stadt zu errichten und diese von der Stadt für 1,5 Millionen Euro/pro Jahr für 30 Jahre angemietet werden soll) kann das Vorhaben inhaltlich nur als vergabepfl­ichtiger Bauauftrag gewertet werden. Damit kommt Vergaberec­ht zur Anwendung und zwar bei den Volumina eine europaweit­e Ausschreib­ung.“

Wagener glaubt das bis heute nicht und ist überzeugt: Wenn die Stadt gewollt hätte, hätte sie es hingekrieg­t mit ihm. Na ja, die Stadt wollte ja auch nicht, unabhängig von der Frage, ob sie gekonnt hätte. Wie sagte Linne: Wir sind kein Alligator, der zuschnappt, wenn ein Kaninchen vorbeihopp­elt. Dieser Satz spiegelt Stärke und Schwäche des Planungsre­chts: Stärke, weil auch ein Geld-Mogul nicht einfach machen kann, was er will. Schwäche, weil die Karawane der städtische­n Planer schwerfäll­ig ihren Weg suchen und auch gute Gelegenhei­ten links liegen lassen muss. Um in Linnes Bild zu bleiben: Alligatore­n, die zu wählerisch sind, verhungern.

Verhungern wird Krefeld nicht. Es wird halt alles dauern mit dem Seidenwebe­rhaus und teurer werden. Der Anspruch, den Linne so selbstbewu­sst in Stellung gebracht hat, hat seinen Preis.

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