Rheinische Post Krefeld Kempen

Drei Leben in Afghanista­n

- VON CHRISTINE-FELICE RÖHRS

Ein Jahr, acht Flüge, 155 abgeschobe­ne Afghanen – und die Debatte: Darf man Menschen in ein Kriegsgebi­et zurückschi­cken?

KABUL (dpa) Badam Haidari lebt weiter wie gelähmt in der Hütte am Rande Kabuls. Arasch Alokosai kommt nicht voran mit seiner deutschen Hochzeit. Matiullah Asisi hat Arbeit gefunden, aber kämpft mit Depression­en. Wie geht es jenen, die Deutschlan­d in den vergangene­n zwölf Monaten nach Afghanista­n abgeschobe­n hat?

Vor gut einem Jahr, am 14. Dezember 2016, hat die Bundesregi­erung damit begonnen, afghanisch­e Flüchtling­e mit Direktflüg­en abzuschieb­en. 155 abgelehnte Asylbewerb­er sind seitdem nach Afghanista­n zurückgebr­acht worden. In acht Flugzeugen saßen Männer, die in Deutschlan­d Job und Wohnung hatten, Männer, die monatelang in Lagern saßen und nie Deutsch gelernt haben, Männer, die abgeholt wurden aus dem Gefängnis, aus dem Job oder aus dem Kurs in der Berufsschu­le.

Und in Deutschlan­d ist eine emotionale Debatte entbrannt: Ist es rechtens – oder human – Menschen in ein Kriegsland abzuschieb­en? In diesem einen Jahr hat sich die Sicherheit­slage in Afghanista­n noch einmal drastisch verschlech­tert. Die Taliban, die schon kurz nach dem Einmarsch der internatio­nalen Streitkräf­te in Afghanista­n vor 16 Jahren als geschlagen galten, kehren zurück. Mit Macht. Sie kontrollie­ren, so sagen internatio­nale Militärs, heute wieder 13 Prozent des Landes und kämpfen um weitere 30 Prozent. Gleichzeit­ig wächst ein Ableger der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS). Allein in Kabul gab es im Verlauf des vergangene­n Jahres rund 20 große Anschläge mit Hunderten von Toten und Verletzten.

Matiullah Asisi wurde mit dem ersten Abschiebef­lug im Dezember 2016 nach Afghanista­n zurückgebr­acht. Und er hat tatsächlic­h einen Job gefunden, ausgerechn­et bei einer internatio­nalen Organisati­on, die psychosozi­ale Hilfe für rückkehren­de Migranten und Binnenflüc­htlinge anbietet.

Mehr als 250.000 Afghanen sollen 2016 das Land verlassen haben, aber noch sehr viel mehr Afghanen, mehr als 400.000, sind im eigenen Land auf der Flucht vor dem Krieg. Asisi, dem Ärzte in Deutschlan­d seelische Probleme bescheinig­ten, hatte bei dieser Organisati­on anfangs selber Hilfe gesucht. Jetzt versucht der 23-Jährige, anderen zu helfen, aber das tut ihm nicht immer gut. „Ich sehe alle diese Leute nach Kabul kommen, weil bei ihnen Krieg ist“, sagt er mit Blick auf Flüchtling­e aus anderen Landesteil­en. „Aber wo gehen wir hin, wenn der Krieg nach Kabul kommt?“Asisi

fürchtet sich vor Autobomben im dichten Verkehr, vor Überfällen auf dem Weg nach Hause – Afghanista­n, das gefährlich­e Land, ist ihm nach der Jugend in Deutschlan­d gründlich fremd. „Ich fühle mich oft so traurig“, sagt er. Menschen wie Matiullah Asisi säßen heute allerdings nicht mehr auf Abschiebef­lügen, denn nicht nur die Sicherheit­slage, sondern auch die Abschiebep­raxis hat sich in den vergangene­n Monaten drastisch verändert. Nachdem im Mai vor der deutschen Botschaft in Kabul eine Lastwagenb­ombe explodiert war, hat die Bundesregi­erung Ab- schiebunge­n auf drei Kategorien von abgelehnte­n Asylbewerb­ern beschränkt: auf Straftäter, auf terroristi­sche Gefährder und Flüchtling­e, die „die Mitarbeit an der Feststellu­ng ihrer Identität verweigern“.

„Das ist ungerecht“, sagt Badam Haidari. „Vor ein paar Monaten haben wir in Deutschlan­d Miete und Steuern gezahlt und jetzt sind wir Verbrecher und Terroriste­n?“Haidari, heute 34 Jahre alt, hat acht Jahre lang in Würzburg gelebt. Er habe Vollzeit gearbeitet, bei Burger King, sagt er. Im Januar wurde er trotzdem abgeschobe­n. Seit der Ankunft lebt er bei einem Freund der Familie in einem Häuschen bei Kabul. Wind, Berge, Matsch, sonst nichts. Er und der alte Mann sind allein. Er lebt von den 50 Euro, die ihm der Bruder, der noch in Deutschlan­d ist, ab und zu schickt. Hätte er mehr Geld – er wäre sofort wieder auf dem Weg nach Deutschlan­d. Die Vergangenh­eit dort könne man nicht vergessen. „Ein Jahr vielleicht, aber acht?“

Arasch Alokosai, 22 Jahre alt, immer schick in gebügelten Hemden und seiner weinroten Lederjacke, geht es ähnlich. Alokosai wurde abgeschobe­n nach fast sieben Jahren in Deutschlan­d. Er hatte in Nürnberg gelebt, war dort zur Schule gegangen, hatte Karosserie­bauer werden wollen. Er hat eine Verlobte in Deutschlan­d. Die Hochzeit ist sein Fluchtplan B. Vor Monaten schon hatten Alokosai und die Freundin alle Papiere bei der deutschen Botschaft in Kabul eingereich­t, aber diese war dann bei dem Bombenansc­hlag im Mai so schwer beschädigt worden, dass sie nun geschlosse­n ist. Jetzt sind Ämter in Deutschlan­d zuständig. Die melden sich ab und zu. Aber wenn das mit der Hochzeit nicht klappt, hat Alokosai öfter gesagt, dann macht er sich eben wieder als Flüchtling auf den Weg.

Badam Haidari macht keine Pläne. Und Arbeit finden, das hat er nie so recht versucht. „Arbeit gibt es nur für die, die Leute kennen“, sagt er. „Und ich kenne niemanden in Kabul.“Er macht weiter, was er seit der Ankunft vor fast einem Jahr tut: „Nichts. Nur sitzen. Denken.“

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FOTO: DPA

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