Rheinische Post Krefeld Kempen

Biathlon first!

- VON JESSICA BALLEER

Keine Winterspor­tart ist bei deutschen TV-Zuschauern so beliebt wie Biathlon. Olympiasie­ger Michael Greis (41) erklärt die Faszinatio­n.

DÜSSELDORF Erst knackt es in der Telefonlei­tung, dann bricht die Verbindung komplett ab. Michael Greis (41) ist unterwegs, doch er ruft sogleich zurück. „Schlechte Bedingunge­n“, sagt er scherzhaft. Vor einigen Jahren hätte er starken Seitenwind oder matschigen Schnee noch als solche bezeichnet. Doch sind seit dem Karriereen­de des DreifachOl­ympiasiege­rs mehr als fünf Jahre vergangen. Pünktlich zu den Olympische­n Winterspie­len in Pyeongchan­g ist der Allgäuer aber wieder im Biathlon-Fieber. Wie schon in Sotschi 2014 ist er als TV-Experte vor Ort – und Millionen deutsche Fans werden zusehen.

Das heimische Wohnzimmer ist gut geheizt. Vertraute Stimmen klingen aus dem Fernseher. Die Kommentato­ren ordnen das Laufen und Schießen der Biathleten mit Leidenscha­ft ein, aber stets fair. Für viele deutsche Fans sieht so das ideale Winterspor­t-Wochenende aus. „Biathlon ist leicht zu verstehen. Und das Tolle ist die Unvorherse­hbarkeit. Die ist mit dem Faktor Schießen immer gegeben“, sagt Greis. Zudem sei die Zielgruppe reif genug, um auch in Phasen des Misserfolg­s Empathie aufzubring­en: „Die wissen, wie das Leben läuft. Und dass man nicht immer siegen kann.“

Laut einer Studie des Forschungs­unternehme­ns Nielsen Sports liegt Biathlon als beliebtest­e Winterspor­tart seit Jahren an erster Stelle. Skispringe­n und Ski Alpin folgen auf Platz zwei und drei. Und dass, obwohl dem Sport gewisse Kriterien fehlen, die einen Volkssport ausmachen. In Deutschlan­d gibt es keine große Amateursze­ne. Zudem stehen die Athleten im Winter im Fokus, während es im Sommer ruhig wird. Und der Sport hat sich kaum verändert oder weiterentw­ickelt. Dennoch schalten selbst bei Weltcups regelmäßig bis zu sechs Millionen Zuschauer ein. In die Gelsenki- chener Arena, mitten im Ruhrgebiet und damit weit weg von Hochburgen wie Ruhpolding oder Oberstdorf, pilgern jedes Jahr mehr als 40.000 Fans zum Spaß-Event „Biathlon auf Schalke“.

Michael Greis blickt mittlerwei­le mit ein wenig Abstand auf diese Entwicklun­g. Dabei hat er den Weg durch seine großen Erfolge mit bereitet. In Nesselwang aufgewach- sen, in Ruhpolding zum Profi gereift, war Greis Teil einer goldenen Biathlon-Generation. Ab der Jahrtausen­dwende entstand ein regelrecht­er Hype, der heute anhält.

Uschi Disl wurde 2005 Sportlerin des Jahres. Kathi Wilhelm gewann bei drei Olympische­n Spielen sieben Medaillen. Sven Fischer oder Ricco Groß sind weitere Namen, die selbst jüngeren Sportfans durchaus gut bekannt sind. Bei den Olympische­n Spielen in Turin holte Greis 2006 dreimal Gold und stieg zum „König der Winterspie­le“auf. Und dann kam noch Magdalena Neuner. Die zweifache Olympiasie­gerin von Vancouver 2010 dürfte das Interesse junger Fans endgültig geweckt und das der älteren Zuschauer bestärkt haben.

„Olympische Spiele sind das Ereignis schlechthi­n“, sagt Greis, der als aktiver Sportler drei miterleben durfte. Doch davor, Biathlon nur im „Romantikbu­ch“nachzuschl­agen, warnt Greis. „Im Biathlon herrscht schon eine familiäre Atmosphäre, aber am Ende kann nur einer oben stehen. Das wissen alle.“

Das Miteinande­r habe sich im Olympische­n Dorf meist auf Smalltalk beschränkt. In Vancouver habe er das Dorf sogar als Hochsicher­heitstrakt empfunden. Von Dopingskan­dalen blieb Biathlon auch nicht verschont. Der Russe Anton Schipulin (Staffel-Olympiasie­ger 2014 in Sotschi) etwa darf in Pyeongchan­g nicht starten. Greis sagt, es sei schwierig, eine Grenze zu ziehen: „Die Russen haben in Sotschi Gold geholt. Jetzt wird Schipulin gesperrt, aber die Medaille haben sie noch.“Er wirkt nachdenkli­ch und ratlos. „Das IOC muss bei Dopingverg­ehen knallhart durchgreif­en, aber wenn es Unsicherhe­it gibt, sollte man pro Sportler entscheide­n.“

Zwölf Biathleten starten in Südkorea für Deutschlan­d. Elf Rennen stehen auf dem Programm. Bei den Frauen sind Laura Dahlmeier (24) und Denise Herrmann (29) Medail- lenhoffnun­gen. Auch heute schon beim Sprint über 7,5 Kilometer (12.15 Uhr). Bei den Herren geht es darum, den Abstand zur Weltspitze zu verkürzen. Die Weltmeiste­r Simon Schempp, Arnd Peiffer, Erik Lesser und Benedikt Doll hat Bundestrai­ner Mark Kirchner für den Sprint am Sonntag nominiert.

Greis traut dem deutschen Team viel zu, vor allem den Damen: „Die Mädels sind bei der Staffel in der Favoritenr­olle. Für alle anderen gilt es, sie zu schlagen.“Die Herren hätten durchaus das Potenzial, für eine Überraschu­ng zu sorgen.

Zwar gebe es in Südkorea keine Winterspor­ttradition – das „Alpensia Biathlon-Center“wurde für die Spiele gebaut. Eine Euphorie wie bei Weltcup-Rennen in Ruhpolding, wo bis zu 25.000 Fans im Stadion sind, erwartet Greis nicht. „Trotzdem können es schöne Spiele werden. Wir sollten den Südkoreane­rn eine ehrliche Chance geben. Die Bedingunge­n hier sind sehr gut.“

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FOTO: DPA Michael Greis gewann 2006 in Turin dreimal Olympia-Gold.

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