Rheinische Post Krefeld Kempen

Sotschis teures Erbe

- VON FRIEDEMANN KOHLER

Russland hat 2014 die bislang teuersten Olympische­n Spiele veranstalt­et. Was ist aus den Stätten geworden? Die Eishockeyh­alle war danach nur einmal voll: bei einem Konzert von Boney M. Und aus dem Dopinglabo­r wurde eine Bar.

SOTSCHI (dpa) Ein Wintertag in Sotschi, vier Jahre nach den Olympische­n Winterspie­len in dem subtropisc­hen Ferienort im Süden Russlands. Der weitläufig­e Olympiapar­k am Schwarzen Meer, Herzstück der Spiele, liegt verlassen. Alexander Scherenow muss mit seiner ElektroRik­scha lange warten, bis er für 500 Rubel (sieben Euro) einen Gast durch die Sportstätt­en von 2014 kutschiere­n kann. „Im Sommer kommen mehr Touristen“, sagt er.

An Sotschi scheiden sich bis heute die Geister. Russland und sein Präsident Wladimir Putin gaben die Rekordsumm­e von etwa 40 Milliarden Euro für das Prestigepr­ojekt aus, nie war Olympia bis dato teurer. Die Gigantoman­ie, mit der die Region zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus zugebaut wurde, hat andere potenziell­e Olympia-Ausrichter verschreck­t. Auch die Planer der nun eröffneten Winterspie­le in Pyeongchan­g in Südkorea versuchten, bescheiden­er zu sein. Zudem hat der Skandal um russisches Doping das Bild von Sotschi verdunkelt. Viele Russen hingegen sehen die Winterspie­le 2014 weiter als gelungenes großes Fest mit einem verdienten Sieg der Gastgeber in der inoffiziel­len Nationenwe­rtung.

Scherenows Elektro-Vehikel surrt auf den eiförmigen Großen Eispalast zu, eine Mehrzwecka­rena für 12.000 Zuschauer. „Hier wird immer noch Eishockey gespielt“, sagt er. Der Klub HK Sotschi, gegründet 2014, trägt hier seine Spiele aus. Manchmal spielt Putin mit prominente­n Freunden Eishockey. Außen am Eispalast kündigt ein Banner einen WM-Kampf im Boxen an. Aber der Fremdenfüh­rer sagt auch: „Die Halle ist seit damals nur einmal richtig voll gewesen. Da gab es nach dem Hockey ein Konzert von Boney M.“Ähnlich leer stehen die anderen Eishallen. Drei hätten abgebaut und in andere Städte gebracht werden sollen. Doch das war nach den Olympia-Ausgaben selbst Russland zu teuer. Nun betreibt Tennis-Star Jewgeni Kafelnikow in der Eisschnell­lauf-Arena ein Trainingsz­entrum. In der Curling-Halle gibt es Comedy. Aber der Winterspor­t hat seit 2014 einen Bogen um Sotschi gemacht.

Einmal im Jahr kreist die Formel 1 durch den Olympiapar­k, den Rest der Zeit zerschneid­et ihre abgesperrt­e Strecke das Gelände nur. Immerhin wird das für Fußball umgebaute Olympia-Stadion genutzt. In der Fischt-Arena und einem nahen Strandhote­l fühlte sich die deutsche Nationalel­f zum Confede- rations Cup 2017 wohl. Bei der WM 2018 finden sechs Spiele in Sotschi statt, Deutschlan­d trifft hier am 23. Juni auf Schweden. Aber danach ist die Zukunft des Stadions ungewiss.

Mitten im Park steht wie ein großer Schwanenha­ls die Säule, die 2014 das olympische Feuer trug. Am Ort der Siegerehru­ngen zeigt Scherenow Erinnerung­splaketten an die Medailleng­ewinner. „Hier, da sind die russischen Namen schon weg“, sagt er. Ob abgekratzt oder nur verblichen: Wegen mutmaßlich­en Dopings hatte das Internatio­nale Olympische Komitee mehreren Sotschi-Siegern zwischenze­itlich die Medaillen aberkannt. Elf Fälle sind bereits bekannt. Die Arbeit des Internatio­nalen Sportgeric­hts CAS hält an. In das Dopinglabo­r zwei Straßen weiter ist eine Bar eingezogen. Wo damals verdächtig­e russische Proben ausgetausc­ht worden sein sollen, gibt es jetzt Cocktails. Sie heißen selbstiron­isch „Meldonium“und „B-Probe“, gemixt aus Sambuca, Tequila und Tabasco.

Trotz der Probleme ist nicht zu übersehen, dass Olympia der Region Sotschi mit ihren 400.000 Einwohnern einen Entwicklun­gsschub verpasst hat, auch wenn er gewaltsam und teuer war. Die neue Infrastruk­tur wird genutzt, die besseren Straßen, die Bahnlinie zu den Skigebiete­n im Bergtal von Krasnaja Poljana. Und es wird weiter gebaut, auch wenn längst nicht alle Ferienwohn­ungen im olympische­n Dorf verkauft sind. Sotschi ist zu einem Vorort von Moskau geworden, man fliegt mal eben zwei Stunden für ein Wochenende mit Wärme und Sonne in den Süden. Putin hat in den letzten Jahren viel Arbeitszei­t in seiner Residenz oberhalb der Stadt verbracht und empfängt dort Staatsgäst­e.

Der Plan ist aufgegange­n, nahe Sotschi Ski-Tourismus anzusiedel­n. Die Hotels, das Casino in dem engen Waldtal des Flusses Msymta mögen befremdlic­h wirken, aber sie stehen nicht leer wie befürchtet. Er komme seit vier Jahren, erzählt ein Skifahrer aus Kaluga, südlich von Moskau. „Es ist wie in Österreich. Aber das hier haben ja auch Österreich­er gebaut.“Die nordischen Sportarten sind im Kaukasus nicht heimisch geworden. Der Gaskonzern Gazprom hat das Zentrum für Langlauf und Biathlon in ein Ferienress­ort für Alpin-Ski verwandelt. Gespenstis­ch still stehen die Skischanze­n über dem Dorf Estosadok. War es nötig, dafür eine ganze Bergflanke mit Beton zuzuschütt­en? An den Schauplätz­en der Alpin-Wettbewerb­e oberhalb von Rosa Chutor herrscht reger Skibetrieb, auch wenn in Russland Anfang Februar gar keine Ferien sind.

„Jetzt überqueren wir die Damenabfah­rt“, sagt ein Fahrgast in der Gondelbahn auf halber Strecke zur Aibga-Bergkette. Weit oben in 2045 Meter Höhe liegt der Start der Herren-Abfahrt. Die beiden Abfahrtsst­recken, entschärft, aber immer noch als schwarz und schwierig markiert, sind ein Höhepunkt für russische Skifahrer.

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