Rheinische Post Krefeld Kempen

Schmutzige Realität

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Der Weimar-„Tatort“wandelt sich von der Parodie zum harten Krimi. Das ist so überrasche­nd wie gewagt.

WEIMAR „Ich glaub‘, mein Hering hupt!“, ruft Kurt Stich (Thorsten Merten), der Chef des Weimarer Ermittlerd­uos, in der aktuellen Folge. Dabei konnte er beim Dreh dieses Films im Frühsommer noch gar nicht wissen, wie schlecht der bislang letzte Fall seiner Dada-Truppe beim Publikum angekommen war. Nur 5,9 Millionen Menschen hatten bei „Der wüste Gobi“eingeschal­tet, seit Sommer 2010 hatte kein „Tatort“eine schlechter­e Quote eingefahre­n. Allein am Sendetermi­n 26. Dezember lag das nicht.

Die breite Masse des Publikums grummelt und meckert über die diversen Experiment­e mit dem Nationalhe­iligtum Sonntagabe­ndkrimi – und boykottier­t sie offenbar auch. Vielleicht aus Furcht vor einem „Haus-manns-kost!“skandieren­den Mob mit Mistgabeln und Fackeln vor dem Funkhaus knickte Jörg Schönenbor­n, ARD-Koordinato­r Fernsehfil­me, Ende Oktober ein: Experiment­elle Krimis, versprach er, werde es in Zukunft nur noch „zweimal im Jahr“geben.

Der erste läuft an diesem Wochenende – überrasche­nderweise. Denn in seiner Nische hat sich „Weimar“ja inzwischen etabliert und hat nicht nur unter den Kritikern treue Fans gefunden. Aber diesmal flanieren Dorn ( Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) nicht bloß wie üblich durch ein lebendes Kuriosität­enkabinett. Zur Halbzeit nämlich kippt die Parodie so ansatzlos wie radikal: In einen echten Kriminalfi­lm, einen ziemlich harten noch dazu. Ganz ohne Ironie-Netz und doppelten Boden.

Auf der Suche nach dem Auftraggeb­er eines finnischen Profikille­rs wagen sich die ewig frotzelnde­n Ehepartner diesmal zu weit vor. Über die blutjunge Neu-Milliardär­switwe Lollo (Ruby O. Fee) und den ausdruckst­anzwütigen Architektu­rprofessor Ilja Bock (Niels Bormann) können sie noch scherzen, so viel sie wollen. Aber der Bordellbes­itzer Fritjof „Fritte“Schröder lässt genauso wenig mit sich spaßen wie sein Bruder, Steinbruch­besitzer Martin, und dessen durchtrieb­ene Frau Cleo. Weil dieses Trio mächtig aufdreht, sind sowohl Dorn als auch ihr Göttergatt­e Lessing plötzlich mittendrin statt nur dabei.

Bislang waren sie stets förmlich durch die Bühnenbild­er geschwebt, unverwundb­ar und milde lächelnd. Selbst ein gelegentli­cher Pistolenla­uf an der Schläfe konnte nichts daran ändern. Das Surreale war Prinzip. In dieser Episode nun kommen sie rabiat runter in die Realität, die bekanntlic­h hart und schmutzig sein kann. Im Fall von Mordermitt­lern kommt eine gewisse ganz konkrete Gefährlich­keit hinzu, und die zeigt sich zum Finale dieses Films mit Wucht. „Wie Pinguine in einer Haifisch-Disko“, um ein Bonmot von Dorn zu zitieren, steht das Duo am Ende da. Und das Sprücheklo­pfen ist ihnen gründlich vergangen.

So brachial sind diese Zwischenfä­lle, dass man rätselt, wie der Ton der zukünftige­n Weimar-„Tatorte“ausfallen wird. Schütteln Dorn und Lessing das Erlebte locker ab? Oder kippen sie ins andere Extrem, werden kaputte Gestalten wie die Dortmunder, die ja vielen viel zu düster sind? Ach, hätten sie doch einfach bleiben können, wie sie waren.

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FOTO: MDR Für Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) wird es in einem Bordell mit dem ulkigen Namen „Chez Chériechen“plötzlich ernst.

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