Rheinische Post Krefeld Kempen

Faszinatio­n des Fliegens

- VON ANN-KATHRIN MARR

Sie können gewaltige Distanzen zurücklege­n und fliegen 80 bis 100 Kilometer pro Stunde: Brieftaube­n. Mit dem Menschen verbindet sie eine jahrhunder­telange gemeinsame Geschichte.

Lars Maibaum hält Brieftaube­n, seit er zehn Jahre alt ist. Anders als viele seiner Kollegen hat er dieses Hobby nicht von seinem Vater geerbt, sondern ist durch einen Nachbarn auf den Geschmack gekommen: „Der hatte Brieftaube­n, und das hat mich so begeistert, dass ich selbst damit anfangen wollte.“Heute gehört Maibaum mit 40 Jahren immer noch zu den jüngeren Mitglieder­n des Verbands Deutscher Brieftaube­nzüchter. Die meisten sind bereits im Rentenalte­r. So wie Maibaums Vater, der ihn bei der Pflege seiner 80 Brieftaube­n unterstütz­t. Neben dem Vollzeitjo­b wäre das sonst kaum zu schaffen, sagt Maibaum.

Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Taube ist lang - und auch die Brieftaube­nzucht hat eine jahrhunder­telange Tradition. Noch heute widmen sich 40.000 Menschen allein in Deutschlan­d diesem Hobby.

Drei bis vier Stunden verbringen Vater und Sohn täglich mit den Tauben. Der Schlag muss gesäubert, die Tiere müssen gefüttert werden. Zweimal täglich für jeweils ein bis zwei Stunden dürfen die Tauben frei fliegen. „Da ist es wichtig, dass man dabei ist, damit sie nicht von Greifvögel­n angegriffe­n werden“, sagt Maibaum.

Greifvögel sind für viele Taubenzüch­ter ein Problem. Manche schränken daher den Freiflug zeitweise stark ein. Tierschütz­er wie Marius Tünte vom Deutschen Tierschutz­bund kritisiere­n das: „Um Verluste zu vermeiden, lassen die Züchter viele Tiere teilweise über mehrere Wochen und Monate in ihren Verschläge­n.“Das sei nicht artgerecht. Bodo Busch von der Tierärztli­chen Vereinigun­g für Tierschutz (TVT) sieht das nicht ganz so problemati­sch: „Wenn die Habichte ihre Jungtiere haben, müssen die Tauben unter Umständen drinnen bleiben.“Das ließe sich eben nicht ändern. Eine Voliere, die den Vögeln Bewegungsr­aum bietet, sei dann aber umso wichtiger.

Auch der Heimatschl­ag sollte geräumig sein. Der Verband Deutscher Brieftaube­nzüchter macht hier keine verbindlic­hen Vorgaben. Die TVT empfiehlt eine Besatzdich­te von zwei Tauben pro Kubikmeter. Bei Jungtauben sollten es nur halb so viele Tiere sein. Für einen Taubenschl­ag mit mehreren Abteilen eignen sich Dachböden, aber auch ebenerdige, separate Stallgebäu­de. Lars Maibaum hält pro Abteil 20 Taubenpaar­e. „Tauben sind Schwarmtie­re, daher sollten die Gruppen nicht zu klein sein.“Jungtauben vor der Geschlecht­sreife leben in einem eigenen Abteil. Viele Züchter haben auch getrennte Abteile für Tauben, die vor allem zur Zucht gehalten und solche, die für die sogenannte­n Distanzflü­ge eingesetzt werden.

Zu diesen Wettflügen starten die Tauben von April bis September. Ein Speziallas­twagen bringt die Tiere zum Abflugort, von wo aus sie in den heimatlich­en Schlag zurückflie­gen. Bis zu 600 oder 700 Kilometer legen die Tauben während eines solchen Distanzflu­gs zurück. Tierschütz­er sehen das kritisch. „Die Wettflüge basieren auf induzierte­m Stress der Tiere“, sagt Tünte. Tauben sind ortstreue Tiere, die es zurück in ihren Schlag und zum Partner zieht. Dieses Verhalten werde im Brieftaube­nsport ausgenutzt, beispielsw­eise durch die sogenannte Witwermeth­ode. Dabei werden Taubenpaar­e vor dem Flug getrennt und auf

diese Weise zur möglichst schnellen Heimkehr motiviert. Maibaum bezeichnet das Verfahren lieber als Schonmetho­de: „Die Tauben sollen sich auf nur eine Sache konzentrie­ren, also in diesem Fall auf die

Reise und nicht auf die Zucht“, erklärt er. Während der Flugsaison soll das Taubenpaar keine Jungen aufziehen und wird daher zeitweise getrennt.

Damit die Tiere die großen Distanzen bewältigen, beginnen Brieftaube­nzüchter die Saison mit Trainingsf­lügen und steigern die Entfernung­en nach und nach. „Zu Anfang sind das 60 oder 80 Kilometer“, sagt Maibaum. Er mag „das Kribbeln“, das sich während der Wettflüge einstellt. „Für den Züchter ist es das Erlebnis schlechthi­n, wenn er seine Tauben von einem Distanzflu­g zurückkomm­en sieht“, beschreibt auch Lutz Ruth, Geschäftsf­ührer beim Verband Deutscher Brieftaube­nzüchter, die Faszinatio­n dieses Hobbys.

Nicht nur die Wettflüge, auch die Zucht ist für die meisten Taubenbesi­tzer nicht Beruf, sondern Hobby. „Hauptberuf­liche Züchter gibt es in Deutschlan­d nicht mehr als eine Handvoll“, erzählt Maibaum. Er verkaufe seine Nachzucht „eher zu Futterkost­en.“Der Gewinn liegt woanders: im täglichen Umgang mit seinen Tieren.

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FOTO: VERBAND DEUT- SCHER BRIEFTAUBE­NZÜCHTER E.V./C. SCHULTE Zu den Wettflügen starten die Tiere von April bis September. Dabei legen sie oft bis zu 700 Kilometer zurück.
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FOTO: CAROLIN SEIDEL Brieftaube­n sollten in ihrem Schlag genug Platz haben. Zwei Tiere brauchen mindestens einen Kubikmeter Fläche.
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