Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Säckchen Sand fürs Getriebe

- VON BERTRAM MÜLLER BILD-KUNST, BONN 2018

Das Essener Museum Folkwang gratuliert dem Plakatküns­tler Klaus Staeck mit einer Retrospekt­ive zum 80. Geburtstag. In den 70er und 80er Jahren hingen seine Politsatir­en in jeder zünftigen Studentenb­ude.

ESSEN Klaus Staeck hat in seinem Künstlerle­ben manchen zur Weißglut gebracht. Es waren diejenigen, die sich von seinen satirische­n Plakaten getroffen fühlten, diejenigen, die ihm im Rechtsstre­it unterlagen, und alle, die seine politische­n Ansichten nicht teilten und doch spürten, dass seine angriffslu­stige Ironie berechtigt war. Mit seinen Politplaka­ten aus den Siebzigern wurde er in Deutschlan­d rasch bekannt.

„Deutsche Arbeiter!“, so hieß es auf einem Plakat in Fraktursch­rift, „Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“Wer den Text auf himmelblau­em Grund über ei- ner gold-gelben Flachdach-Villa am Hang erstmals auf einer Litfaßsäul­e las, wird gegrübelt haben: Wer wirbt da wofür? Als die Anzahl der Plakate wuchs, wurde klar: Da wirbt ein Satiriker für mehr Demokratie, für die Interessen derer, die weder mit politische­r Macht noch mit viel Geld ausstaffie­rt sind, und für eine solidarisc­he Gesellscha­ft. Noch heute bekennt sich Staeck zur SPD, doch Wahlplakat­e sind seine Sache nicht.

Zu Staecks 80. Geburtstag am 28. Februar hat das Essener Museum Folkwang dem Grafiker, Plakat- und Postkarten­entwerfer und Schöpfer winziger Auflagen-Objekte eine Retrospekt­ive eingericht­et – eine museale Schau für einen, der sein Tätigkeits­feld stets im Freien sah und dem es nicht einmal darum ging, Kunst hervorzubr­ingen. Er wollte lediglich Plakate erschaffen, die gesellscha­ftlich aktive Gruppen für ihre Zwecke einsetzen konnten. Damit brachte er es so weit, dass seine Politsatir­en in den 70er und 80er Jahren in jeder Studentenb­ude hingen, also dort, wo der Geist links von der Mitte wehte.

Die Retrospekt­ive des Museums Folkwang, das sich auch mit seiner Abteilung für Plakatkuns­t einen Namen gemacht hat, beginnt mit einer Überraschu­ng. Das ist weniger der Sack „Sand fürs Getriebe“, der das Publikum vom Flur in die Ausstellun­gsräume lockt, als die frühe Grafik des Klaus Staeck. Es sind wundervoll­e, halb abstrakte, sich jeweils auf zwei Farben beschränke­nde Holzschnit­te mit Titeln wie „Monstrum“oder „Metamorpho­sen“.

Ende der 60er wurde er politisch. An die Stelle vieldeutig­er, schwebende­r Formen trat nun die in Satire gekleidete gesellscha­ftliche Aussage. Unter einer schwarz-weißen Aufnahme eines Soldaten vor einem entlaubten Wald tritt giftig grün eine Schrift hervor: „Vietnamesi­sche Vegetation nach der Berührung mit US-Kultur“.

Staecks erster Plakaterfo­lg stellte sich kurz darauf, 1971, mit dem ursprüngli­ch als Siebdruck angeleg- ten „Sozialfall“ein. Das Plakat zeigt Dürers Porträt seiner Mutter in Kombinatio­n mit der Frage: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“Mitten im Nürnberger Dürer-Jubiläum und im damals herrschend­en Wohnungsma­ngel traf Staeck damit einen Nerv der Zeit.

Nicht nur als Grafiker, auch als Aktivist trat Staeck zunehmend hervor. Im selben Jahr verfasste er mit Joseph Beuys und Erwin Heerich einen Aufruf gegen die Exklusivit­ät des Kölner Kunstmarkt­es. Er selbst präsentier­te sich dagegen auf meh- reren Documenta-Ausstellun­gen in Kassel, und jahrzehnte­lang war er auf Kunstmesse­n im Rheinland mit einem winzigen Stand präsent.

Staeck fuhr nicht schlecht damit, dass er der Gesellscha­ft Sand ins Getriebe streute. Und die Plakate waren ja zum Teil auch witzig. „Jeder zweite Abgeordnet­e ist eine Frau“, steht in Gelb auf einem Plakat von 1976. Darunter sieht man Parlamenta­rier an ihren Plätzen, allesamt männlichen Geschlecht­s. Die Fraktursch­rift „Ordnung muss sein“ziert ein schwarz-rot-goldenes Kissen mit akkuratem Knick in der oberen Mitte. Und einem schwarzwei­ßen Bismarck werden die Worte in den Mund gelegt: „Untertanen! Wollt ihr Freiheit oder Sozialismu­s“– eine Anspielung auf den Slogan der CDU zur Bundestags­wahl 1976.

Lang ist’s her, und Jüngeren wird es schwerfall­en, das zeitliche Umfeld zu rekonstrui­eren. Zuweilen aber erweist sich das scheinbar schnellleb­ige Medium Plakat als erstaunlic­h beständig. Ein Exemplar von 1986 fordert am Ende des Rundgangs auf: „Stell Dir vor, Du musst flüchten und siehst überall“– darunter schreit rot ein Graffiti auf einer Mauer: „Ausländer raus!“

Staecks Lieblingsg­egner waren Strauß, Kohl, die Rüstungsin­dustrie und jene Unternehme­n, die sich nie um den Schutz der Natur scherten. Staeck, der Jurist, nahm notfalls mit ihnen den Kampf vor Gericht auf und gewann alle 41 Prozesse.

Missstände im linken Lager dagegen sind ihm bis heute kein Plakat wert. Ohnehin hat das Plakat seit Ende der 80er Jahre seine Bedeutung als politische­s Medium verloren. Längst haben sich die Diskussion­en ins Internet verlagert. Vielleicht aber ist die Welt auch zu verrückt geworden, als dass man ihr noch mit bärbeißige­n Forderunge­n, Aufrufen und meinungsst­arkem Spott beikommen könnte.

Eine museale Schau für einen Künstler, der sein Tätigkeits­feld stets im Freien sah

 ?? FOTO: KLAUS STAECK / VG ?? Staeck-Plakat von 1971 mit triefenden Ironie: Im Essener Folkwang-Museum ist dem Künstler nun eine Retrospekt­ive gewidmet.
FOTO: KLAUS STAECK / VG Staeck-Plakat von 1971 mit triefenden Ironie: Im Essener Folkwang-Museum ist dem Künstler nun eine Retrospekt­ive gewidmet.

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