Rheinische Post Krefeld Kempen
Kostenloser Nahverkehr vom Tisch
Vor dem heutigen Urteil zu Diesel-Fahrverboten warnen Städte und Handelskammer vor den Folgen.
BERLIN Der von der Bundesregierung erst unlängst in Aussicht gestellte Test für einen komplett kostenlosen öffentlichen Nahverkehr scheint vom Tisch zu sein. Ein so weitgehender Versuch sei in keiner der fünf Modellstädte zur Luftreinhaltung geplant, sagte gestern der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) nach einem Gespräch im Bundesumweltministerium in Bonn. Ein kostenfreier ÖPNV sei eher unrealistisch. Die Idee mit dem Gratis-Nahverkehr hatte die Bundesregierung jüngst in einem Brief an die EU genannt. Die EU macht Druck auf Deutschland wegen einer hohen Luftbelastung in vielen Städten.
Die fünf beteiligten Städte Bonn und Essen sowie Reutlingen, Herrenberg und Mannheim seien aber entschlossen, dem Ministerium bis Mitte März Vorschläge für eine bessere Luftqualität zu machen. Dazu gehöre auch, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten, um Halter von Diesel-Fahrzeugen zum Umsteigen zu motivieren, versicherten Vertreter der fünf Städte. Sridharan betonte, das Gespräch sei sehr konstruktiv gewesen. Er sagte aber auch: „Viele Fragen sind offen geblieben.“Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums erklärte, aus Sicht der Bundesregierung sei ein Test mit kostenlosem Nahverkehr noch nicht vom Tisch. Es sei nicht auszuschließen, dass doch noch eine Kommune einen entsprechenden Vorschlag einbringen werde.
Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) erklärte, er sei aber auch zuversichtlich, dass Diesel-Fahrverbote verhindert werden könnten. Dazu wird heute ein wegweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erwartet. Im Vorfeld des Leipziger Urteils sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Achim Dercks: „Der DIHK warnt vor Hysterie und unüberlegten Schnellschüssen. Fahrverbote sind in der Regel keine verhältnismäßigen Mittel für saube- re Luft in Städten. Vor allem der Wirtschaftsverkehr würde empfindlich leiden.“Drei Viertel der gewerblich genutzten Fahrzeuge führen derzeit noch mit Dieselantrieb.
Auch der Landkreistag lehnte jede Form von Fahrverboten ab. „Zu rechnen ist mit erheblichen Auswirkungen auf Pendler und Firmen, die vom innerstädtischen Verkehr teilweise vollkommen ausgeschlossen wären. Das hätte große wirtschaftliche Auswirkungen bei einem Problem, das nicht erst seit gestern besteht. Daher muss man wohlüberlegt vorgehen und sollte nicht in Aktionismus verfallen“, sagte Landkreistag-Präsident Reinhard Sager.
Auch der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hat wiederholt vor einem Fahrverbot gewarnt. Er ist der Ansicht, dass eine solche Regelung auf kommunaler Ebene nicht umsetzbar ist. In der Tat sind in der NRW-Landeshauptstadt bis jetzt nicht einmal grundlegende praktische Fragen geklärt. Es ist zum Beispiel noch nicht festgelegt, wie groß die Verbotszone überhaupt sein würde. Darüber hinaus warnen die Ordnungsbehörden davor, dass sich das Verbot nicht effektiv kontrollieren ließe: Polizei und Ordnungsamt müssten sich den Fahrzeugschein zeigen lassen oder eine Kennzeichenabfrage starten, um die Diesel überhaupt zu erkennen – ein immenser Aufwand, der zu weiteren Staus führen könnte.
Die Bezirksregierung, in deren Hand das Verfahren liegt, will bis zum 1. Juli den neuen Luftreinhalteplan vorlegen. Er könnte Fahrverbote enthalten, falls das Gericht heute den Weg dafür freimacht. Die Beteiligten hoffen aber weiterhin darauf, andere Wege zu saubererer Luft aufzeigen zu können.
Der ökologisch ausgerichtete Verkehrsclub Deutschland (VCD) forderte die Politik auf, die Autoindustrie als Mitverantwortliche der Luftprobleme in die Pflicht zu nehmen. „Daimler, BMW und VW haben 2017 Rekordgewinne eingefahren. Dann gehen eben dieses Mal die Gewinne für die Nachrüstung der Dieselmotoren drauf, statt als Dividende gezahlt zu werden“, sagte VCD-Sprecher Gerd Lottsiepen.