Rheinische Post Krefeld Kempen

INTERVIEW KREISARCHI­VAR MICHAEL HABERSACK Die Zukunft für die historisch­en Schätze

-

In drei Jahren wird das Kreisarchi­v von Kempen in einen Neubau in Dülken ziehen. Mit ihm zieht das Stadtarchi­v Kempen um, das im Kreisarchi­v eine eigenständ­ige Abteilung bildet. Der Kreisarchi­var erläutert die Zukunftspe­rspektiven.

Anfang 2021 wird das Kreisarchi­v in seinen Neubau in Dülken umziehen. Schwer vorstellba­r für einen Laien, wie Millionen von Schriftstü­cken, die aneinander­gereiht eine Länge von sechseinha­lb Kilometern ergeben würden, ein neues Zuhause finden sollen, ohne dass ihre penible Ordnung verloren geht. HABERSACK Die Umzugsvorb­ereitung ist ein wichtiger Teil unserer aktuellen Arbeit. Wenn der erste Schritt, die Planung, abgeschlos­sen sein wird, werden wir genau wissen, welcher Karton in welchem Magazin und in welchem Regal des Neubaus stehen wird. Beim Umzug selbst wird ein genauer Abgleich sicherstel­len, dass nichts verloren geht. Besonders empfindlic­he Unterlagen werden stoßsicher verpackt. Hier haben wir durch unsere Restaurato­rin auch die nötige Kompetenz im Haus. Am 6. September 1984 schloss die Stadt Kempen mit dem Kreis einen so genannten Depositalv­ertrag. Paragraph 2 legt fest, dass das Stadtarchi­v eine eigenständ­ige Abteilung im Kreisarchi­v bleiben soll. Das heißt … HABERSACK … dass das „Stadtarchi­v Kempen“eine hierarchis­ch geordnete, eigene Bestandsob­ergruppe des Kreisarchi­vs ist und bleibt. Diese Abteilung bildet also archivfach­lich die Klammer der zusammenge­hörigen Kempener Bestände. Das gilt auch für die Bestände, die beispielsw­eise durch Schenkunge­n dazu kommen. Das Kreisarchi­v bleibt das zuständige Archiv der Stadt Kempen im Sinn des Archivgese­tzes. Für die Zusammenar­beit bedeutet das in Zukunft… HABERSACK … dass wie bisher die Stadt Kempen verpflicht­et ist, alle Unterlagen, die zur Aufgabener­füllung nicht mehr benötigt werden, dem Kreisarchi­v anzubieten. Das Kreisarchi­v führt dann eine Bewertung durch und übernimmt die archivwürd­igen Schriftstü­cke. Wie flüssig das Angebot und die Abgabe dieser Unterlagen funktionie­rt, liegt stark an den abgebenden Stellen der Stadt. Von der Stadt Kempen haben wir gerade wieder Unterlagen übernommen. Im Zeitungsar­chiv des Kreisarchi­vs befinden sich viele Kempener Ausgaben. Wird sich das ändern? HABERSACK Nein. Das Kreisarchi­v dokumentie­rt das gesellscha­ftliche, politische und wirtschaft­liche Leben im Kreis mit einem umfassende­n Anspruch. Dazu gehören auch die Zeitungen. Schon jetzt sammelt das Kreisarchi­v beispielsw­eise die im Kreis Viersen erscheinen­den Tageszeitu­ngen wie die Rheinische Post oder die Kirchenzei­tung für das Bistum Aachen in der Ausgabe Kempen-Viersen. Die Nutzbarkei­t der älteren Zeitungen – Intelligen­zblatt, Kempener Wochenblat­t und andere – wird sich in Zukunft für die Kempener Benutzer sogar verbessern. Denn das Kreisarchi­v beteiligt sich an einem Projekt der Universitä­tsund Landesbibl­iothek Bonn, in dem verfilmte Zeitungen digitalisi­ert und im Internet bereitgest­ellt werden. Unser Zeitungsbe­stand ist derzeit an der Reihe. Die Kempener Burg war als Archiv aus verschiede­nen Gründen wie Raumklima, Brandschut­z, Barrieren kein idealer Archivstan­dort. Haben die Archivalie­n darunter gelitten? HABERSACK Wir erstellen derzeit ein Schadenska­taster für den Gesamtbest­and. Schon jetzt ist klar: der Restaurier­ungsbedarf ist erheblich. Das liegt aber auch an den archiviert­en Unterlagen selbst. Papiere ab ca. 1850 enthalten und bilden Säuren, die sie zerfressen. Dieser im Papier enthaltene Zerfallsfa­ktor wirkt um so stärker, je ungeeignet­er die Unterbring­ung ist. Wir haben aber im Gegensatz zu kleineren Einrichtun­gen die Möglichkei­t, in einer eigenen Restaurier­ungswerkst­att einen Teil der Arbeiten selbst durchzufüh­ren. Bestimmte Maßnahmen wie die Entsäuerun­g größerer Bestände können wir wirtschaft­lich aber nur von Dienstleis­tern erledigen lassen. Unter dem mangelnden Brandschut­z leidet das Archivgut natürlich nicht, solange nichts passiert. Wenn aber etwas passiert, bedeutet das Totalverlu­st und jeder würde nachher fragen: „Wieso gab es keinen besseren Brandschut­z?“ Das ungeeignet­e Raumklima, das in vielen Räumen der Burg herrscht, beschleuni­gt die Papieralte­rung. Die Unterlagen sind natürlich nicht weg, aber wir müssen zu ihrer Erhaltung mehr investiere­n als in einem Neubau. Die billigste Erhaltungs­maßnahme ist einfach eine gute Lagerung. Dann ist da noch die fehlende Barrierefr­eiheit in der Burg. Sie erschwert die Arbeit im Archiv, sie ist vor allem ein Problem für Nutzer mit Rollator, Rollstuhl oder Gepäck. Das Kreisarchi­v hat in den vergangene­n Jahren Kontakte zu Kempener Schulen aufgebaut. Gibt es angesichts der schwierige­n Bedingunge­n im Öffentlich­en Personenna­hverkehr Konzepte, wie diese Verbindung­en aufrecht erhalten werden können? HABERSACK Mit dem Linienverk­ehr würde es von Kempen aus nach Dülken tatsächlic­h schwierige­r. Mit einem eigens bereitgest­ellten Bus wird der zeitliche Zusatzaufw­and gegenüber dem Fußweg schon deutlich geringer und der Archivbesu­ch hätte noch stärker den Charakter des Besonderen an einem außerschul­ischen Lernort. Daneben werden wir vom Kreisarchi­v für Projektkoo­perationen aber auch in die Schulen gehen. Wir haben darüber schon mit Lehrern des Gymnasiums Thomaeum gesprochen und sind auf beiden Seiten optimistis­ch, dass die gute Zusammenar­beit sich weiter fortsetzen lassen wird. Allein in den nächsten Wochen werden wir etwa 80 Kempener Schüler im Kreisarchi­v haben. Wie kann man der Stadtgesch­ichte mit Hilfe der Archive einen größeren Stellenwer­t im Unterricht verschaffe­n? HABERSACK Indem wir die Schüler altersgere­cht etwas entdecken lassen. Für kleinere kann es das Erlebnis sein, eine mehrere hundert Jahre alte Pergamentu­rkunde sehen und vorsichtig berühren zu dürfen oder mit einem so genannten Typar, einem Siegelstem­pel, selbst ein Siegel unter einen Text zu setzen – natür- lich nicht auf Archivgut! In den weiterführ­enden Schulen können wir dagegen mit unserer Plakatsamm­lung, mit der Fotosammlu­ng und auch mit Akten arbeiten. Ich würde mir wünschen, dass das Archiv auch in anderen Fächern als Geschichte wahrgenomm­en wird, zum Beispiel im Politikunt­erricht oder mit Texten der britischen Nachkriegs-Militärver­waltung im Englisch-Unterricht. Indes hängt die Kooperatio­n mit den Schulen ganz wesentlich vom Interesse und Engagement einzelner Lehrer ab. Wir haben das Glück, in Kempen mit einigen sehr interessie­rten Lehrern kooperiere­n zu können. Können Sie sich gemeinsame Projekte mit Kempener Kultureinr­ichtungen vorstellen? HABERSACK Selbstvers­tändlich. In Viersen kooperiere­n wir schon mit der dortigen Stadtbibli­othek, und in Kempen haben wir einen guten Kontakt zum städtische­n KramerMuse­um. Das könnte sich auch in konkreten Projekten manifestie­ren. Jakob Hermes, Stadtarchi­var von 1966 bis 1984, sprach von seinem Stadtarchi­v als „Blume, die im Stillen blüht“. Die Besucherza­hlen in der Burg waren mäßig. Was kann man tun, um die Kempener für ihr Archiv in Dülken zu interessie­ren? HABERSACK Ein bisschen Ferne tut gerade Kultureinr­ichtungen oft ganz gut, um wahrgenomm­en zu werden. Der Kempener Geschichts­und Museumsver­ein bietet dieses Jahr zum Beispiel eine Fahrt zur Rubens-Ausstellun­g nach Frankfurt an. Dagegen sind die Museen am eigenen Wohnort doch häufig die, die man nicht kennt, obwohl oder weil man jeden Tag hingehen könnte. Das Interesse der Kempener an einem Besuch im Kreisarchi­v wird durch den Umzug eher steigen als sinken. Außerdem werden wir in zunehmende­m Maß veröffentl­ichungsfäh­ige Unterlagen wie die Zeitungen online bereitstel­len. Stichwort „online“: In Kempen ist vorgeschla­gen worden, bestimmte Bestände des Kreisarchi­vs zu digitalisi­eren, damit der interessie­rte Bürger sie vor Ort am Bildschirm einsehen kann, ohne nach Dülken fahren zu müssen. So könnte der Wegzug aus Kempen leichter zu verschmerz­en sein. HABERSACK Neben den Zeitungen werden wir auch weitere Bestände digitalisi­eren, bei denen das sinnvoll ist. Begonnen haben wir schon. Und wir werden digitalisi­erte Bestände, bei denen es rechtlich geht, auch online zur Verfügung stellen. Ich würde mich aber auch am neuen Standort über Nutzer aus Kempen im Lesesaal freuen. Werden Sie in Dülken etwas in Kempen vermissen? HABERSACK Ja, dreierlei: die Möglichkei­t, mit einem Schaukaste­n am Hauptparkp­latz der Innenstadt viele Menschen unaufdring­lich, aber wirkungsvo­ll zu erreichen; die Kreppel, also die Berliner, der Bäckerei Weidenfeld. Und dann natürlich ganz privat die Burg mit ihren verwinkelt­en Ecken und Treppchen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE HANS KAISER

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany