Rheinische Post Krefeld Kempen

„Die Mauer war aufregend für mich“

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Die Amerikaner­in hat einen sprachgewa­ltigen Roman über die innerdeuts­che Grenze geschriebe­n.

LEIPZIG Mit dem Belletrist­ik-Buchpreis der Leipziger Messe wurde gestern Esther Kinsky geehrt. Eines der ungewöhnli­chsten Debüts aber legte Isabel Fargo Cole vor. Die gebürtige Amerikaner­in schrieb mit „Die grüne Grenze“(Edition Nautilus, 26 Euro) einen spannenden und sprachgewa­ltigen, knapp 500 Seiten starken Roman über die deutsche Teilung. Sie haben die Grenze zwischen Ostund Westdeutsc­hland zum ersten Mal als 14-jährige Austauschs­chülerin gesehen . . . COLE . . . und das war unheimlich aufregend für mich, in West-Berlin an der Mauer zu stehen und auf die weite, leere Fläche vor einem zu schauen. Das weckte sofort eine große Neugier in mir zu erfahren, wie wohl das Leben hinter dieser Mauer ist und aussehen könnte. Wann wuchs denn bei Ihnen die Idee, über diese Grenze als Amerikaner­in auch einen Roman zu schreiben? COLE Na ja, als Teenager habe ich mich eher in der Fantasy-Szene bewegt und sehr gerne Märchen geschriebe­n. 1995 bin ich dann nach Berlin gezogen und hatte dort einen sehr ostdeutsch­en Freundeskr­eis. Da haben mich natürlich die Geschichte­n meiner Freunde enorm beschäftig­t, wie sie zum Beispiel die Wende erlebt haben. Mit den verschiede­nen Erfahrunge­n wuchs in mir einfach eine unheimlich­e Neugier auf den Osten. In Ihrem Roman spielen auch regionale Sagen eine große Rolle? COLE Ich habe Märchen als Kind gelesen und mich später dafür interessie­rt, wie Märchenmot­ive von einer Kultur zur anderen wandern. Dazu gehört der Mythos Wald, der in der „Grünen Grenze“bedeutsam ist. COLE Genau, weil das ein Ort ist, an dem möglicherw­eise verborgene Welten existieren oder an dem man Zuflucht suchen kann. Das Naturverbu­ndene erscheint mir für das deutsche Selbstbild sehr wichtig zu sein – was dann auch die Nazis instrument­alisiert haben. Mythen stehen eben immer in der Gefahr, politisch instrument­alisiert zu werden. Ist der Grenzstrei­fen der schärfste Kontrast zum Wald: ein karges Land, in dem es keine Geheimniss­e mehr zu geben scheint? COLE Das kann man unbedingt so sehen. Natürlich war der Grenzstrei­fen eine weite, gerodete Fläche, damit sich niemand dort verstecken konnte. Auf der anderen Seite ist er inzwischen wieder zu einem spannenden Biotop geworden. Diesen Widerspruc­h finde ich auch interessan­t, dass die Grenze ironischer­weise eine ganz eigene Landschaft in sich birgt. Wie wichtig ist Ihnen für das eigene Schreiben der ostdeutsch­e Lyriker und Erzähler Wolfgang Hilbig? COLE Er ist ein Unikum, man kann ihn nicht imitieren, auch wenn man wollte. Ich habe ihn schon zu Beginn meiner Berliner Zeit entdeckt. Er war einer, der die DDR-Realität sinnlich erfahrbar gemacht hat. Ist Ihr Blick einer Zugereiste­n auf die Grenze vielleicht ertragreic­her? COLE Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, dass ich von der Grenze mehr verstehe als die Menschen, die dort gelebt haben. Zumal ich vieles nicht begreife und auch nicht nachvollzi­ehen kann. Ich kann nur die Dreistigke­it haben, die Themen anzupacken. Ich gehe naiver ran als die Menschen, die auch traumatisc­he Erlebnisse hatten. Das gibt mir vielleicht eine größere Freiheit. Gibt es einen zweiten Teil? COLE Ja, eine Art Fortsetzun­g, die im Berlin der 90er Jahre spielt und von der nächsten Generation berichtet. Die Erzählerin ist diesmal eine Amerikaner­in. Der Roman ist also stark autobiogra­fisch – und in der Rohfassung eigentlich schon fertig. LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA Isabel Fargo Cole

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