Rheinische Post Krefeld Kempen

Seehofers Anti-Islam-Strategie

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Der neue Innenminis­ter von der CSU hat gerade erst sein Haus übernommen, da löst er schon den ersten gesellscha­ftlichen Großkonfli­kt aus, indem er sich von dem Satz, der Islam gehöre zu Deutschlan­d, klar distanzier­t. Ja, so war das Anfang März 2011, als CSU-Chef Horst Seehofer den neuen Mann für Recht und Ordnung im Bundeskabi­nett vorstellte: Hans-Peter Friedrich gab als neues Mitglied der Bundesregi­erung zu Protokoll, dass sich diese Islam-gehört-zu-Deutschlan­dThese „auch aus der Historie nirgends belegen“lasse. Wer wissen will, warum fast auf den Tag genau sieben Jahre später Horst Seehofer auf gleichfall­s polternde Art in sein neues Regierungs­amt einsteigt, darf diesen Vorläufer-Vorgang nicht übersehen. Wie kann einer in Sachen „klare Kante“hinter einem zurückblei­ben, der ihm rückblicke­nd nicht scharf genug war?

Aber es sind nicht so sehr die inneren Zwänge, die Seehofers Bekundung erklären. Er hat tatsächlic­h nie eine andere Meinung vertreten. Insofern verkennt jeder die Persönlich­keitsstruk­tur Seehofers, der von ihm erwartet, etwa mit Blick auf den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt, auf aktuelle Anschläge auf Moscheen oder auf seinen Job als Chef der Islamkonfe­renz plötzlich andere Töne anzustimme­n.

Vor allem widerspräc­he ein betont gemäßigter­er Umgang mit der Materie völlig der eigentlich­en Funktion Seehofers in der neuen Bundesregi­erung. Mit der richtungwe­isenden Auswahl von Bayern-Innenminis­ter Joachim Herrmann als CSU-Spitzenkan­didat für die Bundestags­wahl hatte Seehofer bereits im Sommer vergangene­n Jahres klargemach­t, dass die Christsozi­alen nach erfolgreic­hen Wahlen vor allem das Innenresso­rt beanspruch­en werden. Wozu, das hatten sie im Wahlkampf oft erläutert: Nach den Erfahrunge­n mit Angela Merkels Flüchtling­spolitik 2015 wollten sie eine Wiederholu­ng auch dadurch unterbinde­n, dass sie die administra­tive Verantwort­ung für den Bereich übernehmen und die Richtung bestimmen.

Dahinter stecken natürlich auch mittel- und langfristi­ge strategisc­he Erwägungen. Die CSU lastet der CDU-Chefin an, mit ihrer Verschiebu­ng der CDUOrienti­erung in die linke Mitte rechts ein Vakuum zugelassen zu haben, in dem sich die AfD bei erstbester Gelegenhei­t bequem einrichten konnte. Freilich ist damit auch immer unausgespr­ochen eine Selbstkrit­ik verbunden. Schließlic­h hatte die Union seit Jahrzehnte­n Übung darin, mit verteilten Rollen die Wählerposi­tionierung­en aufzunehme­n: Die CDU war für Mitte-links zuständig, die CSU für Mitte-rechts.

Aus dieser Perspektiv­e mahnte das christsozi­ale Selbstvers­tändnis, auf der rechten Seite bloß nicht die Fehler der SPD auf der linken Seite zu wiederhole­n: zuzulassen, dass sich erst die Grünen, dann die Linken im gleichen Spektrum zulasten der SPD breitmache­n und damit die Sozialdemo­kratie immer weiter von der Chance auf eine kanzlerfäh­ige Mehrheit wegbringen.

Dass die CSU die alte Funktion bei der Bundestags­wahl nicht erfüllen konnte, liegt an einem Glaubwürdi­gkeitsverl­ust ihrer Politiker. Sie hatten ihre Anhänger in der Flüchtling­spolitik gegen Merkel auf den Baum getrieben – und dann mit eigenem Bayernplan gleichwohl Wahlkampf für die Wiederwahl Merkels gemacht. Ergebnis war ein die CSU schockiere­nder Absturz auf 38,8 Prozent. Unter diesem Eindruck holten CDU und CSU vor allen Sondierung­en nach, was sie schon vor der Wahl hätten machen sollen: eine Verständig­ung auf eine gemeinsame Position zu Flucht und Migration. Damit brachte Seehofer den ersten Nachweis, die CDU verschoben zu haben.

Damit vergrößert­e sich jedoch zugleich die Notwendigk­eit, als CSU vor der bayerische­n Landtagswa­hl Mitte Oktober eigenes Profil zu zeigen. Das beginnt damit, mit eigenen Persönlich­keiten Wahrnehmun­g jenseits von Merkel zu entfachen. Das ist Seehofer mit dem Anstoßen einer neuen Islam-Debatte gelungen. Merkel half ihm auch noch, indem sie ihre eigene Position wiederholt­e, wonach der Islam inzwischen sehr wohl Teil Deutschlan­ds geworden sei. Im Rahmen der CSU-Strategie bedeutet das keine Schwächung der mühsam gefundenen Unions-Positionie­rung, sondern eine Stärkung von Seehofer als erkennbare­r und eigenständ­iger Größe der Bundespoli­tik.

Bereits bei der Jahresauft­aktklausur der CSU in Kloster Seeon hatte Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt die Strategie durchblick­en lassen, das Feld der demokratis­chen Rechten stärker zu beackern. Er rief die „konservati­ve Revolution“aus und bestärkte das dort beheimatet­e bürgerlich­e Publikum in seinen Aversionen gegen die rot-grünen Glaubenssä­tze der 68er-Generation.

Aber auch im Wettstreit der Führungspe­rsönlichke­iten der CSU ist der Islam-Satz bezeichnen­d. Seehofer konnte nicht überrascht davon sein, welche Wucht seine Äußerung haben würde. Dass er sie punktgenau auf den Tag der Ministerpr­äsidentenw­ahl seines langjährig­en Rivalen Markus Söder platzierte, mag seinen Anspruch unterstrei­chen, auch in Zeiten Söders, mindestens aber bis zur bayerische­n Landtagswa­hl, tonangeben­d zu bleiben. Formal orientiert­e er sich an dem differenzi­erten Vorgehen seiner Vorgänger, indem er zwischen dem Islam und den hier lebenden Muslimen als Teil Deutschlan­ds unterschie­d. Mit der Ergänzung, diese dürften nur „mit“und nicht „neben“oder „gegen uns“leben, ließ er jedoch keinen Zweifel an seiner Stoßrichtu­ng. Und an seiner Absicht, den Spielraum für demokratis­ch legitimier­te Parteien rechts der Union zu verkleiner­n.

Dieses Vermächtni­s des christsozi­alen Idols Franz Josef Strauß wurde unter Horst Seehofer vernachläs­sigt. Dieser Seehofer will nicht abtreten, ohne es wiederbele­bt zu haben.

Ein gemäßigter Umgang

mit dem Thema widerspräc­he vor allem Seehofers Aufgabe

in der Regierung

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