Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Tor, das Josip Drmic sehr viel bedeutet

- VON KARSTEN KELLERMANN

Borussias Stürmer aus der Schweiz schießt das erste Tor nach seiner langen Verletzung. Nun freut er sich auf die Zeit beim Nationalte­am.

Es ist nun mal so, dass gerade in der Not manche Tugend auf den Weg gebracht wird. Einfach, weil es die Situation erfordert, innovativ zu sein, weil es nicht anders geht, als neue Ideen nicht nur zu haben, sondern auch umzusetzen. Borussias Trainer Dieter Hecking war vor dem Spiel gegen Hoffenheim in so einer Situation. Zehn Spieler fehlten, und einige derer, die zur Verfügung standen, waren noch nicht bereit für die volle Distanz. Raffael, Fabian Johnson und auch Oscar Wendt, die Rückkehrer. Wendt hielt immerhin 81 Minuten durch, Raffael hatte Luft für rund 20 Minuten, die er dann auch spielte. Johnson war in den letzten zehn Minuten dabei. Dass die drei Routiniers hilfreich sind, belegte das Spiel gegen Hoffenheim durchaus.

Aber eben auch, dass ein gewisser Mut bei der Aufstellun­g etwas bewirken kann. Hecking, sonst ein treuer Vertreter des 4-2-2- bzw. 4-23-1-Systems, wählte gegen Hoffenheim aufgrund des Verteidige­rschwundes ein 3-1-4-2. Und genau das war ein Faktor, der den Hoffenheim­ern letztlich zu schaffen machte trotz der dreimalige­n Führung. MÖNCHENGLA­DBACH Im Vergleich zu 841 Tagen sind zwei Minuten kaum etwas. Für Josip Drmic jedoch waren sie am Samstag eine Ewigkeit. „Ich habe gezittert, gehofft und gebetet“, gestand der Schweizer nach dem 3:3 der Borussen gegen 1899 Hoffenheim. Als der Schiedsric­hter nach seinem Videostudi­um zum Mittelkrei­s zeigte, sauste ein gigantisch­es Glücksgefü­hl durch Drmics Körper. Er hatte ein Tor gemacht für Gladbach, endlich wieder. Es war erst das zweite, seit er im Sommer 2015 gekommen ist aus Leverkusen. Zwischenze­itlich hatte er, während seiner Ausleihe, im Februar 2016 für den Hamburger SV getroffen. Doch als Borusse stand bis Samstag die Eins. Am 28. November 2015 hatte er sein Debüt-Tor erzielt – bei einem 3:3 bei 1899 Hoffenheim. Man darf sagen: Immer, wenn Drmic für Gladbach trifft, spielt Borussia 3:3 gegen Hoffenheim. Borussia hat in 50 Bundesliga-Jahren nur 24-mal 3:3 gespielt, zweimal gegen 1899, die Drmic-Statistik ist also durchaus ein Kuriosum.

Jenseits davon war es vor allem für Drmic sein Comeback-Tor nach der langen, langen Leidenspha­se. Bis es definitiv war, musste er warten, weil Petersen prüfte, ob Drmic den Ball, bevor er ihn ins Hoffenheim­er Tor getreten hatte, irregulär mit dem Arm berührt hatte oder nicht. Die Kugel war von Torwart Oliver Baumann abgeprallt, hatte Drmic getroffen. Aber aus zu kurzer Distanz, um regelwidri­g zu sein. Tor also. Tor, Tor, Tor. „Es ist keine Frage, dass mir dieser Treffer nach meiner Leidenszei­t sehr viel bedeutet“, sagte Drmic. Während sein Kollege Lars Stindl einfach nur seine Torlosigke­it nach 1506 Pflichtspi­elminuten beendete, ist es für Drmic mehr: „Wir hatten Probleme mit der Grundordnu­ng von Borussia“, sagte 1899-Coach Julian Nagelsmann.

Nun hat das 3:3 tabellaris­ch wenig bewegt. Weiterhin sind die Borussen hinten dran im Rennen um Europa. Zudem gab es gegen 1899 wieder reichlich ungenutzte Tormöglich­keiten und die fast schon üblichen individuel­len oder kollektive­n Fehler in der Defensive, die zu den drei Gegentreff­ern führten. So war das 3:3 ebenso ein verschenkt­er Sieg wie ein gewonnener Punkt.

Man darf es nicht überbewert­en, trotzdem kann Hecking etwas mit- Er war im Nichts seiner Karriere nach den beiden Knorpelsch­äden, nicht wenige hatten spekuliert, dass er nie wieder spielen würde. Doch er hat auch in düsteren Momenten nicht aufgehört, an sich zu glauben, natürlich, er wollte es auch all jenen zeigen, die ihn abgeschrie­ben hatten. „Ich habe lange und hart für dieses Tor gearbeitet, es pusht mich, weiter zu arbeiten und macht mich stolz. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich es geschafft habe“, sagte Drmic.

Man darf sich für den Mann freuen, so viel steht fest. Beim 0:2 in Leverkusen hatte er noch eine große Chance vergeben, nun erarbeitet­e er sich sein Tor-Comeback redlich, weil er nachsetzte gegen Baumann. Später, vor dem 2:2, sammelte Drmic noch einen Assist-Assist ein, als er das Spiel auf der Seite langsam machte und Jonas Hofmann bediente, dessen Vorlage dann Stindl zum Ausgleich verarbeite­te.

Dass Drmic seinen Glücksmome­nt bekam, war auf gewisse Weise Zufall. Denn eigentlich stand Raúl Bobadilla auf dem Platz. Der aber nehmen aus dem Hoffenheim­Spektakel: Einfach mal den Mut haben, was ausprobier­en, dazu eine gewisse Jetzt-erst-Recht-Einstellun­g, die Borussia fraglos entwickelt­e, das kann die Lockerheit bringen, die seinem Team in den Wochen zuvor fehlte. Tore schießen, Rückstände aufholen, sich gegen Missstände auflehnen – das war gegen Hoffenheim zu sehen, ganz anders als beispielsw­eise zuvor in Leverkusen.

Das neue System könnte wegen der Verletzten-Situation bestehen bleiben. Doch ist es nicht nur eine Frage des Systems, was noch geht in zog sich im Zweikampf mit Benjamin Hübner einen Muskelfase­rriss zu und musste dann raus.

Drmic kam und traf als Joker. So wie in seinem letzten Länderspie­l. Das machte Drmic vor fast genau einem Jahr, am 25. März 2017 gegen Lettland. Es war sein Nati-Comeback nach der ersten schweren Verletzung. Drmic erzielte nach seiner Einwechslu­ng das 1:0-Siegtor, damit trug er seinen Teil zur WM-Qualifikat­ion der Eidgenosse­n bei. Zuvor hatte er 2016 die Europameis­terschaft wegen seiner Verletzung verpasst. Nun träumt er von der WM in Russland.

Vladimir Petkovic, der Nationaltr­ainer der Schweiz, gehört zu denen, die immer an Drmic geglaubt haben. „Wir haben viel gesprochen in den letzten Monaten. In der ganz, ganz schweren Zeit war er da, hat mich gefragt, wie es geht. Das hat mir geholfen. Es ist sehr speziell. Ich weiß, dass ich dazu gehöre, er hat mir viel Vertrauen gegeben mit den Gesprächen“, sagte Drmic kurz vor Weihnachte­n unserer Redaktion.

Petkovic hatte ihn am Freitag in den Kader berufen für die Testspiele in Griechenla­nd (Freitag) und gegen Panama (27. März). Das hat er als Motivation mit ins Spiel genommen. „Josip hatte das erste Glücksgefü­hl, weil er nominiert wurde“, sagte Borussias Trainer Dieter Hecking. Ich gehe jetzt zur Nati, freue mich total darauf, die Jungs wiederzuse­hen“, sagte Drmic. Er will die kommenden Tage bei der Nati genießen und dann mit weiteren Toren für seinen Klub alles tun für seinen WM-Traum. Wenn der wahr wird, könnte es am Samstag eine Initialzün­dung gewesen sein. Denn Tore sind für Stürmer nun mal die härteste Währung. „Es war ein super Tag für mich“, fasste Drmic zusammen.

Das Mehr an Unberechen­barkeit im Saisonfina­le nutzen

den letzten Spielen. Die Grundordnu­ng muss mit Leben gefüllt werden: Die gegen Hoffenheim gezeigten Attribute bis zum Ende der Saison zu konservier­en und abzurufen, das ist der Auftrag an die Borussen für die letzten sieben Spiele. In der Hinrunde folgte aus das tolle 3:1 bei 1899 Hoffenheim ein ernüchtern­des 1:1 gegen Mainz, das sollte nun nicht passieren. Hecking hat für das Finale dieser Saison mehr Optionen – nicht nur personell, sondern auch systemisch. Das Mehr an Unberechen­barkeit gilt es zu nutzen.

Karsten Kellermann

Newspapers in German

Newspapers from Germany