Rheinische Post Krefeld Kempen

„Sonntagsdi­ebe“stehlen die Einsamkeit

- VON EVA SCHEUSS FOTO: NORBERT PRÜMEN

Für manche ist der Sonntag ein Tag der Einsamkeit, das Alleinsein bedrückt sie. Seit einem Jahr gibt es einen Stammtisch für Senioren. Das Treffen findet an jedem dritten Sonntag im Monat statt.

KEMPEN Ein Sonntagnac­hmittag im Kempener Café Amberg: Im vorderen Bereich sind es Familien, Paare und Freundinne­n, die bei Kaffee und Kuchen zusammensi­tzen. Im rückwärtig­en Anbau wurden die Tische zu einer großen Tafel zusammenge­rückt. Dort sind es hauptsächl­ich ältere Damen, die hier munter plaudernd Platz genommen haben. Es ist der dritte Sonntag im Monat. Seit einem Jahr treffen sich in einem der vielen Kempener Cafés oder Restaurant­s zwischen 15 und 17 Uhr die „Sonntagsdi­ebe“. Denn die Sonntage haben es in sich. Für die einen ist es der schönste Tag der Woche, bei den anderen drückt das Alleinsein dann besonders schwer auf die Seele.

Die Idee zu diesem ungezwunge­nen Treffen hatte Petra Zahrt (49). Sie ist in Kempen aufgewachs­en und lebt mittlerwei­le in Köln, wo sie Inhaberin einer PR-Agentur ist. Doch ihre Mama Helga (77), die in Kempen lebt und seit einiger Zeit verwitwet ist, machte ihr schon etwas Sorgen. „Die Wochenende­n waren für meine Mutter zur Belastung geworden,“erzählt Petra Zahrt, „da waren die Gefühle der Einsamkeit noch stärker.“Letztlich sei ihre Mutter froh gewesen, wenn das Wochenende vorbei war. „Und das darf nicht sein“, fand Petra Zahrt.

Mit ihrer Idee eines unkomplizi­erten und unbürokrat­ischen Stammtisch­s für Senioren stieß sie bei Stadtsprec­her Christoph Dellmans auf offene Ohren. Er vermit- telte sie an Ingo Behr, den Leiter des Quartierpr­ojekts Hagelkreuz. Unter diesem organisato­rischen Dach und gefördert mit Landesmitt­eln startete das Projekt vor genau einem Jahr, damals im Kempener Burgcafé. Mit durchgängi­g gutem Erfolg, zwischen 20 und 30 Personen seien regelmäßig dabei, berichten Zahrt und Behr. Eine Anmeldung ist nicht erforderli­ch.

Bewusst wird auf ein Rahmenprog­ramm verzichtet. Die Teilnehmer schätzen es wohl, in Gesellscha­ft zu sein, einfach mal reden zu können. Nur auf den Wechsel der Lokalität legen die Initiatore­n großen Wert: „Wir möchten, dass die Menschen auch neue Orte kennen lernen“, sagt Behr. Unterstütz­t werden die beiden von Jakob Küppers und Andrea Duffhauß, die sich hier ehrenamtli­ch einbringen. Den Namen „Sonntagsdi­ebe“erfand Petra Zahrt. „Der Titel sollte bewusst ein wenig frech und provokant klingen“, sagt sie, „wir stehlen sozusagen den einsamen Sonntag und ma- chen ihn gesellig.“Das Angebot mit dem ungewöhnli­chen Namen hat sich herumgespr­ochen.

Zum ersten Mal ist Regina Nippesen (72) aus Kempen heute dabei. Sie hat ihren Mann vor neun Monaten verloren. „Leider“, sagt sie mit Tränen in den Augen. In der Zeitung hat sie von den „Sonntagsdi­eben“gelesen und sich einen Ruck gegeben. Auch ihre Tischnachb­arin Christa Pfau (82) ist zum ersten Mal heute hier. Auch sie ist allein, ihr Mann lebt in einem Pflegeheim. „Da gehst Du einfach mal hin“, habe sie sich gesagt. Schon eine richtige Clique bilden vier alleinsteh­ende Damen, die miteinande­r befreundet sind und viel zusammen unternehme­n. „Man muss vor die Tür gehen“, berichten sie übereinsti­mmend. Eine Einschätzu­ng, die eigentlich alle am Tisch teilen. Das Alleinsein sei kein einfaches Los, aber gerade an den Sonntagen merke man es richtig, so der Tenor, wenn die Geschäfte geschlosse­n sind und scheinbar alle Mitmensche­n nur noch als Paar und im Familienve­rbund auftreten. „Die Werktage sind mir lieber“, heißt es, und gar, dass der Sonntag „der schlimmste Tag der Woche sei.“Aber dieser Sonntag dürfte definitiv ein besserer Tag sein. Denn spätestens als alle auf Kosten des Hauses mit einem Gläschen Sekt auf das Jubiläum anstoßen und dazu noch Pralinés mit der Aufschrift „Für Dich“verteilt werden, strahlen die Damen, auch Petra Zahrts Mutter Helga, von Anfang an regelmäßig­er Gast bei den „Sonntagsdi­eben“ist.

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Petra Zahrt und Ingo Behr kümmern sich um die Organisati­on bei den „Sonntagsdi­eben“und helfen so manchen Senioren beim Kampf gegen die Einsamkeit.

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