Rheinische Post Krefeld Kempen
INTERVIEW MARK BORSCH „Ich bin stolz, dass ich meine Stadt bei der WM vertrete“
Der Mönchengladbacher Mark Borsch ist als Assistent des Schiedsrichter-Gespanns von Felix Brych bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland dabei. Es ist die zweite WM-Teilnahme des 40-Jährigen. Er spricht über den Video-Beweis und seinen Hauptjob als Polizist.
Herr Borsch, Sie sind im Sommer als Schiedsrichter-Assistent bei der Weltmeisterschaft in Russland dabei? BORSCH Ja, die endgültige Entscheidung der Fifa ist vor Ostern gefallen. Felix Brych, in dessen Gespann ich mit Stefan Lupp bin, war in Katar bei einem Lehrgang. Bei den nächsten Lehrgängen sind dann auch die Assistenten wieder dabei. Wir sind das einzige deutsche Gespann, das dem WM-Kader angehört. Die Vorbereitung auf die mögliche WM-Teilnahme läuft aber schon? BORSCH Sie hat gleich nach der Europameisterschaft 2016 begonnen. Es gab bereits Vorbereitungslehrgänge, und wir waren im Dezember bei der Klub-WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten, das war unser WM-Vorbereitungsturnier. Jedes Gespann, das zu einer WM fährt, muss ein Vorbereitungsturnier absolvieren. Wir waren ursprünglich für die U 20-WM in Korea vorgesehen. Unsere Ansetzung für das Champions-League-Finale hat sich jedoch hiermit überschnitten. Wären Sie enttäuscht gewesen, wenn sie nicht nominiert worden wären? BORSCH Überhaupt in den engeren Kreis der Auswahl zu kommen, ist ja schon eine große Auszeichnung. Dass es geklappt hat, ist umso schöner und eine besondere Herausforderung. Sicher würde ich anders sprechen, wenn es das erste Turnier für mich wäre. Aber ich habe ja schon einige große Turniere erlebt. Trotzdem ist es wieder eine tolle Sache und große Ehre, nominiert worden zu sein. Sie sind bereit? BORSCH Natürlich. Die körperliche Vorbereitung ist ein fortlaufender Prozess. Wer auf diesem Top-Niveau Schiedsrichter oder Assistent ist, der muss jeden Tag trainieren, sonst würde man den Belastungen von Bundesliga, Champions League oder Länderspielen nicht standhalten können. Auch auf die Regenerationszeiten muss man achten. Und mit Training ist nicht nur das physische Training gemeint. Das klingt nach großem Zeitaufwand. Wie bekommen Sie das mit Ihrem Beruf als Kriminalhauptkommissar unter einen Hut? Sie haben zum Beispiel die „Ermittlungskom- mission Albatros“geleitet, bei der eine albanische Einbrecherbande zerschlagen wurde. BORSCH Das bekommt man nur koordiniert, wenn man eine super Frau und eine super Familie hat, die das auch mitträgt und Verständnis dafür hat, das man für beides viel Zeit investieren muss. Vor allem müssen aber auch der Dienstellenleiter und die Kollegen mitspielen, sonst geht das nicht. Werden Sie dafür freigestellt? BORSCH Nein, das ist Zeit, die ich vor- oder nacharbeite. Da ich seit 2014 in Teilzeit arbeite, bin ich in meiner Zeiteinteilung etwas flexibler. Da sind wir in der Diskussion um die Profi-Schiedsrichter. Würde das die Sache nicht vereinfachen? BORSCH Es hätte einige Vorteile. Man könnte sich dann noch professioneller auf einige Dinge vorbereiten, könnte gleichmäßiger trainieren und hätte auch mehr Regenerationszeit. Auf jeden Fall fiele so ein Stressfaktor weg, wenn man nicht zweigleisig führe. Wir arbeiten aber natürlich schon jetzt sehr professionell. Wäre es für Sie überhaupt ein Ziel, Profi zu sein? BORSCH Für mich ist die Frage eine hypothetische, weil ich mir mit Anfang 40 dazu keine Gedanken mehr machen muss. Bis es den ProfiSchiedsrichter in Deutschland gibt, müsste ein für alle Seiten zufriedenstellendes Arbeitskonzept erarbeitet werden. Also für den Moment lieber die Doppelbelastung? BORSCH Ja. Auch wenn die Belastung manchmal sehr groß ist. Als Polizist und als Schiedsrichter-Assistent trage ich eine große Verantwortung – für die Sache, aber auch für die Kollegen und das Schiedsrichter-Team. Da kann es schon mal sein, dass ich von früh morgens bis abends im Büro sitze. Da kann ich nicht einfach in den Tag hineinleben, weil das Training für den Nebenjob eben nicht zu kurz kommen darf. Meine Woche ist durchgetaktet, man arbeitet auf ein Spiel hin – und muss nach dem Spiel auch auslaufen. Es ist wie bei den Spielern. Ihr Urlaub geht für die Turniere drauf? BORSCH Urlaub, freie Tage – und manchmal spendiert der Dienstherr eine oder zwei Wochen Sonderurlaub. Kommt das gut an? BORSCH Ob es gut ankommt oder nicht – das habe ich mir ja auch irgendwie erarbeitet. Wer mich kennt, weiß, dass ich für die Sachen, die ich mache, 100 Prozent brenne – also auch im Job. Sehen wir es mal so: Es gibt 80.000 Schiedsrichter in Deutschland, und wir sind die drei, die unseren Verband bei der WM vertreten. Dies unterstützt der Dienstherr im Rahmen seiner Möglichkeiten natürlich, ähnlich wie er es bei Sportlern aus unseren Reihen ja auch tut. Anders als diese unterliegen wir Schiedsrichter jedoch nicht dem Sportförderungsprogramm der Polizei, welches Wettkampf- und Trainingstage als Dienstzeit vorsieht, sondern gelten als Kampfrichter. Haben der Polizei-Beruf und der Schiedsrichter/Assistenten-Job Gemeinsamkeiten? Beide sorgen ja für Recht und Ordnung. BORSCH Es gibt viele Parallelen, von der Struktur und von den Aufgaben her. Man muss Autoritätsperson sein, muss entscheidungsfreudig sein, manchmal in kurzer Zeit … … aber bei der Polizei gibt es dabei keine Unterstützung vom Videoassistenten. BORSCH Hier gibt es aber auch die Unterstützung durch Kollegen und Kontrollinstanzen durch Vorgesetzte. Zum Video-Assistenten: Man hat das Gefühl, dass er anders eingesetzt wird als in der Hinrunde: reduzierter, mehr auf den Schiedsrichter und auf den Platz abgestimmt. BORSCH Das ist auch gut so, finde ich. Wenn man mich vor der Saison gefragt hätte, hätte ich gesagt: Der Videoschiedsrichter ist dafür da, die groben Fehlentscheidungen rauszunehmen. Es wird immer Situationen geben, über die diskutiert werden kann, die im Graubereich sind. Das ist ja das Schöne am Fußball. Aber solche Sachen, wie bei uns das Phantomtor in Hoffenheim, die sollte es nicht mehr geben. Macht der Videoschiedsrichter den Fußball grundsätzlich gerechter? BORSCH Man sollte nicht davon ausgehen, dass es von nun an keine Entscheidungen mehr gibt, über die diskutiert werden kann. Man muss damit leben, dass niemand unfehlbar ist. Für mich ist das Wichtigste, dass die Schiedsrichter auf dem Platz eine Entscheidung treffen. Wenn man dann feststellt, es war ein grober Fehler, dann sollte jemand von außen einen Hinweis geben. Aber auch da wird es nie die letzte Gerechtigkeit geben. Hat man als Schiedsrichter-Assistent noch den Blick eines Fußball-Fans? Oder stellt sich die Frage nicht, weil Sie den Klub Ihrer Stadt, Borussia, ohnehin nicht pfeifen dürfen? BORSCH Es gilt ja die Verbandsneutralität, ich werde bei keinem Verein aus dem Fußballverband Niederrhein, dem ich als Mitglied von Grün-Weiß Holt ja angehöre, eingesetzt. Grundsätzlich ist es gut, dass man die Vereine aus der eigenen Stadt nicht pfeift, denn es würde ja immer ein Thema daraus werden. Ob das mit der Verbandsneutralität sein muss, weiß ich nicht. Spiele in Düsseldorf darf ich nicht leiten, Spiele in Köln schon, weil es ein anderer Verband ist. Das stößt nicht immer auf Verständnis. Wäre es ein Problem für Sie, wenn Sie Borussia winken müssten? BORSCH Für mich spielt Schwarz gegen Weiß oder Grün gegen Gelb, sonst nichts. Es geht darum, das Regelwerk korrekt anzuwenden – anders geht es auch nicht, das würde sonst nicht meinen Grundsätzen entsprechen. Ist es etwas anderes, bei einer WM an der Linie zu stehen? BORSCH Ein Spiel ist ein Spiel. Aber der Druck bei einer WM ist schon ein anderer. Man weiß um die Bedeutung der Spiele, um das große Medien- und Zuschauerinteresse. Da kann man schon mal weiche Knie bekommen, wenn man einläuft. Wenn Sie zur WM fahren – fühlen Sie sich als Repräsentant Ihrer Stadt. BORSCH Natürlich, und auch als Vertreter meines Landes. Das macht einen schon stolz, das gebe ich zu. Eine WM ist ein großes Fest. KARSTEN KELLERMANN UND JANNIK SORGATZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH