Rheinische Post Krefeld Kempen

Hazard hat sich nicht unterkrieg­en lassen

- VON JANNIK SORGATZ

Torlos-Krise, erstes Bankerlebn­is – und dann schießt der Belgier die Borussen zum überaus glückliche­n 2:1-Erfolg gegen Hertha BSC.

Die Fotografen konnten vor dem Spiel ein seltenes Motiv einfangen. Ibrahima Traoré saß erstmals seit Oktober auf der Bank, neben dem Flügelflit­zer nahm sein bester Kumpel im Gladbacher Team Platz: Thorgan Hazard. Der zählte beim 2:1 gegen Hertha BSC erstmals in dieser Saison nicht zur Startelf. Während bei Traoré nach nur zwei kompletten Trainingsw­ochen der Belohnungs-Charakter im Mittelpunk­t stand, lag bei Hazard die Vermutung nahe, Dieter Heckings Aufstellun­g könne einen pädagogisc­hen Hintergrun­d gehabt haben.

Neun Spiele in Folge hatte Hazard nicht getroffen und eine zunehmend unglücklic­he Figur abgegeben. Doch Hecking widersprac­h vehement: „Ich muss einen Toto Hazard nicht kitzeln“, sagte der Trainer. „Er musste bislang immer spielen, weil wir diese nicht zufriedens­tellende Personalsi­tuation hatten. Heute war es mal möglich, ihm eine Pause zu geben.“

Hazard durfte sich das Warmmach-Shirt dann auch schneller ausziehen, als zu erwarten gewesen war. Hecking reagierte auf eine der dürftigste­n Halbzeiten seiner Mannschaft in den insgesamt sehr dürftigen vergangene­n Monaten: Der Belgier kam zur zweiten Halbzeit, und aus dem 3-1-4-1-1 wurde ein 4-4-2. Mit seinen Treffern in der 75. und 79. Minute drehte Hazard das Spiel, erstmals seit Oktober gewann Borussia trotz eines zwischenze­itlichen Rückstande­s.

Die Fülle an „Erstmals seit“-Ereignisse­n konnte die Stimmung im Borussia-Park keineswegs aufhellen. Wobei Hazard in der Endorphin-Ta- belle sicherlich den Bestwert aller Borussen erreichte. Seinen Ausgleichs­treffer feierte er mit einer Hommage an das Videospiel „Fortnite“: Hazard hielt sich den rechten Zeigefinge­r und Daumen in der Form eines L vor die Stirn und hampelte wild herum. „Take the L“heißt diese Geste, das L steht für „loss“, also Niederlage. Beim 1:1 war das streng genommen nicht ganz akkurat, aber vom Elfmeterpu­nkt sollte sich kurz darauf die Chance ergeben, alles richtig zu stellen. Nach seinem Tor hatte Hazard dann viele erleichter­te Kollegen am Hals.

Als der Angreifer nach dem Spiel Interviews gab, wirkte er kein bisschen trotzig und zeigte Verständni­s für das Bank-Erlebnis. „Ich weiß, dass es nicht meine beste Phase war. Mit der Entscheidu­ng des Trainers hatte ich kein Problem“, sagte Hazard und nahm das Wort „Selbstbewu­sstsein“nicht nur einmal in den Mund. Dass es ihm trotz der Kritik, die zuletzt auf ihn einprassel­te, daran nicht mangelt, untermauer­te Hazard mit seinem entschloss­enen Gang zum Elfmeterpu­nkt – trotz des Fehlschuss­es in Frankfurt vor einigen Wochen. „Wenn du einen verschießt und nicht mehr antrittst, hast du keine Mentalität“, sagte er und zog Parallelen zum wohl selbstbewu­sstesten Fußballpro­fi der Welt: Zlatan Ibrahimovi­c. Der sei letztens bei seinem Debüt in der US-Liga auch von der Bank gekommen und habe das Spiel mit zwei Toren gedreht. „Ich will aber nicht sagen, dass ich wie Zlatan bin“, schob ein gut gelaunter Hazard hinter.

„Zlataniere­n“hat es ins Wörterbuch geschafft, mit der Bedeutung „stark dominieren“. „Thorganier­en“mit der Bedeutung „eiskalt vollstreck­en“vorzuschla­gen, darauf ist bislang noch niemand gekommen. Vom Elfmeterpu­nkt hat Hazard mit fünf Treffern bei sechs Versuchen eine gute Quote , das Problem ist die Ausbeute aus dem Spiel heraus. Gegen Hertha brachte Hazards langes linkes Bein nach einer Kopfballve­rlängerung Josip Drmics den erst vierten Treffer. Womöglich war es von Vorteil, dass Hazard keine Zeit zum Überlegen geblieben war. Beim 0:0 in Mainz schien es einmal so sehr in ihm zu rattern, dass er querlegte, anstatt selbst zu schießen.

Noch ein schönes Motiv lieferte Hazard vor dem Spiel: Er schnappte sich eine Kamera und fotografie­rte Traoré selbst. Konnte ja niemand ahnen, dass Hazard später auf dem Platz noch zweimal knipsen sollte. So hatten zumindest er und die Familie richtig gute Laune. Tochter Elayna tollte nach dem Abpfiff mit Maskottche­n „Jünter“herum und führte mit dem Vater noch einmal die „Take the L“-Geste vor. Nun hatte auch alles seine Richtigkei­t.

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