Rheinische Post Krefeld Kempen

Mann springt mit fremdem Kind vor Zug

- VON FRANK CHRISTIANS­EN UND FRANZISKA HEIN FOTO: DPA

Ein 23-Jähriger hat in Wuppertal den Sohn einer Familie gepackt und sich mit ihm ins Gleisbett gelegt. Der Mann konnte festgenomm­en werden. Er schweigt zu den Vorwürfen. Ein Facharzt attestiert­e ihm eine schizophre­ne Psychose.

WUPPERTAL Um 18.08 Uhr geschieht am Donnerstag am Wuppertale­r Hauptbahnh­of das Unbegreifl­iche. Ein Mann aus Gelsenkirc­hen greift sich ein fremdes Kind und springt mit ihm vor den Augen der entsetzten Eltern und Geschwiste­r vor einen einfahrend­en Zug. Der 23-Jährige geht der Lok sogar noch entgegen, bevor er sich mit dem fünfjährig­en Jungen zwischen die Schienen legt. Der Lokführer der aus Haltern kommenden S 9 löst eine Notbremsun­g aus, kann aber nicht mehr verhindern, dass die tonnenschw­ere Lok Mann und Kind überrollt. Doch der Junge hat großes Glück im Unglück. Weil sich der 23-Jährige längs zu den Schienen gelegt hat, erfasst die Lok weder Mann noch Kind.

Der 23-Jährige und die Familie des Kindes kannten sich nach Angaben der Polizei nicht. Die Familie wird derzeit von Seelsorger­n betreut. Die Eltern des Kindes standen der Polizei zufolge am Donnerstag­abend mit dem Fünfjährig­en und ihren beiden anderen Kindern im Alter von einem und drei Jahren am Bahnhof. Der in Gelsenkirc­hen wohnende 23-Jährige habe den Fünfjährig­en plötzlich genommen und sei auf die Gleise gesprungen. Als der Zug zum Stillstand kam, krochen der Mann und das Kind unter dem Zug hervor. Der Mann wurde von Umstehende­n festgehalt­en, bis die Polizei eintraf. Äußerlich trugen beide nur ein paar Schürfwund­en davon. Der Zugführer war gestern außer Dienst. Er werde psychologi­sch betreut, teilte ein Sprecher von DB Regio mit.

Der Tatverdäch­tige war der Polizei zwar bekannt, jedoch wegen kleinerer Delikte. „Seine Vergehen waren nicht hochkrimin­ell“, sagte ein Sprecher der Wuppertale­r Polizei. Unklar bleibt auch nach Festnahme und Befragung das Motiv des jungen Mannes. In der Polizeiver­nehmung schwieg er, ein Psy- chiater wurde hinzugezog­en. Ihm berichtete der 23-Jährige, dass er schon seit einer Weile Stimmen hört. Der Facharzt attestiert­e dem Verdächtig­en eine schizophre­ne Psychose. Daraufhin beantragte die Staatsanwa­ltschaft die Unterbring­ung des Mannes in einer geschlosse­nen Psychiatri­e. Außerdem wurde bekannt, dass das Amtsgerich­t Gelsenkirc­hen den psychisch auffällige­n 23-Jährigen bereits unter Betreuung gestellt hatte.

Dass Mann und Kind nicht schwerer verletzt wurden, liegt am sogenannte­n Lichtraump­rofil. Dieses gilt für den Abstand von Gleisen und Schienenfa­hrzeugen. Es sieht „lichten“– also freien – Raum zwischen den Schienen und dem Fahrzeugbo­den vor. „Ein Mann, 80 Kilogramm schwer und 1,90 Meter groß, kann längs in der Mitte der Schiene liegen, ohne dass er verletzt wird, wenn ein Zug über ihn hinwegroll­t“, sagt Eisenbahn-Ingenieur Olaf Scholtz-Knobloch aus Meerbusch. Das gelte für die meisten Züge wie SBahn, Regionalex­press, IC und ICE. Dort beträgt der Abstand von Gleis zum Boden etwa einen Meter. Die Bahn und private Unternehme­n wie etwa National Express setzen aber auch Niederflur­fahrzeuge ein. Dort ist der Abstand stellenwei­se geringer, weil Ausrüstung tiefer hängt. In jedem Fall ist die Tat des 23-Jährigen lebensgefä­hrlich. „Ich möchte nie erleben, dass so viel massives Eisen über mich hinweg rollt“, sagt der Experte.

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Der Zug rollte über das Kind und den Mann hinweg. Beide blieben bis auf einige Schürfwund­en unverletzt. Das Motiv des Täters ist weiterhin unklar.

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