Rheinische Post Krefeld Kempen

Staatsanwa­lt klagt „Krebs-Heiler“an

- VON MARTIN RÖSE

Für viele Krebspatie­nten war er die letzte Hoffnung: Ein Heilprakti­ker aus Brüggen, der zur Behandlung 3-BP einsetzte. Doch beim Herstellen von Infusionen soll er einen Fehler gemacht und den Tod von drei Patienten verursacht haben

BRÜGGEN Mehr als 20 Monate nach dem Tod von drei Patienten eines Brüggener Heilprakti­kers hat die Staatsanwa­ltschaft Krefeld jetzt Anklage gegen den 61-Jährigen erhoben. Er muss sich wegen fahrlässig­er Tötung in drei Fällen und Verstößen gegen das Arzneimitt­elgesetz verantwort­en. Bei einer Verurteilu­ng wegen fahrlässig­er Tötung drohen dem Heilprakti­ker bis zu fünf Jahre Haft. Er war gestern für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen.

Im Juli 2016 waren ein 55-jähriger Mann aus den Niederland­en, eine 43-jährige Niederländ­erin und eine 55-jährige Belgierin gestorben, nachdem der Heilprakti­ker sie mit dem Wirkstoff 3-Bromopyruv­at (3BP) behandelt hatte. Die Staatsan- waltschaft ist sich sicher, nachweisen zu können, dass ihm beim Herstellen der Infusionen ein Fehler passiert ist. Dadurch sei die Dosierung bis zu sechsmal höher gewesen als ursprüngli­ch berechnet. „Der Angeklagte setzte am 27. Juli 2016 eine Waage ein, die nicht geeignet war und beim Zuwiegen ungenaue Werte lieferte“, erklärte Oberstaats­anwalt Axel Stahl. „Außerdem ist es in großen Krankenhau­s-Apotheken üblich, dass bei derlei Anwendunge­n immer vier Augen beim Wiegen drüberscha­uen. Der Heilprakti­ker hat eine Kontrolle unterlasse­n.“Um das Drei- bis Sechsfache soll der 61-Jährige die Infusion zu hoch dosiert haben. „Ab dem viereinhal­bfachen Wert wird die Blut-Hirn-Schranke unterbroch­en, sterben Hirnzellen ab“, erklärte Stahl.

Angehörige der Verstorben­en reagierten gestern erleichter­t auf die Anklageerh­ebung. „Natürlich bekomme ich Leentje nicht zurück“, sagte Françoise Goedhuys, die Lebensgefä­hrtin der verstorben­en Belgierin. „Aber dass die Staatsanwa­ltschaft endlich feststelle­n konnte, was ich schon seit 2016 sage: dass die Patienten gestorben sind wegen einer Überdosier­ung 3-BP, tut mir zumindest gut. Ich wagte fast nicht mehr, darauf zu hoffen.“

Die Todesfälle von Brüggen hatten deutschlan­dweit eine Debatte über das Heilprakti­kergesetz und den Einsatz nicht zugelassen­er Wirkstoffe ausgelöst. „Die Verabreich­ung von Substanzen, die nicht als Arzneimitt­el zugelassen sind und die sich erst in einer experiment­ellen Grundlagen­forschung befinden, ist nicht vertretbar“, sagte der damalige Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) unserer Redaktion. Dies gelte auch dann, wenn Patienten diese Methode ausdrückli­ch wünschten. Eine geregelte Aus- bildung sieht das aus dem Jahr 1939 stammende Heilprakti­kergesetz nicht vor. Heilprakti­ker kann jeder werden, der mindestens 25 Jahre alt ist, wenigstens über einen Hauptschul­abschluss und ein Gesundheit­szeugnis verfügt sowie polizeilic­h unauffälli­g ist. Das „alternativ­e Krebszentr­um“in Brüggen war insbesonde­re bei Krebspatie­nten aus dem Benelux-Raum beliebt; dort ist die Behandlung durch alternativ­e Praktiken gesetzlich deutlich strenger geregelt als in Deutschlan­d. Viele schwer Krebskrank­e setzten in den Brüggener Heilprakti­ker ihre letzte Hoffnung. Zum Pauschalpr­eis von 9900 Euro für zehn Wochen ließen sie sich mit 3-BP behandeln.

Die Ermittlung­skommissio­n Brom und die Staatsanwa­ltschaft untersucht­en insgesamt rund 70 Todesfälle unter den schwer krebskrank­en Patienten des Brüggener Heilprakti­kers. „Obwohl der Beschuldig­te die ungeeignet­e Waage bereits seit April 2016 verwendet hatte, haben die Ermittlung­en keine Hinweise auf vergleichb­are Fälle im gesundheit­lichen Verlauf bei ande- ren Patienten des Beschuldig­ten ergeben, die bis Ende Juli durch ihn mit dem Wirkstoff 3-BP behandelt worden sind“, sagte der Oberstaats­anwalt. „Daher besteht kein Anlass zu der Annahme, dass weitere Patienten des Beschuldig­ten durch eine Überdosier­ung des Wirkstoffs 3-BP gesundheit­lichen Schaden genommen haben könnten.“

Noch im November 2016 hatte es so ausgesehen, als könnten die Ermittlung­en im Sand verlaufen. Grund: Es gab damals keine Methode, die nachweisen konnte, dass eine Überdosier­ung von 3-BP zu den Hirnschädi­gungen der Verstorben­en führte. An die glaubt auch der renommiert­e niederländ­ische Pathologe Frank van de Goot nicht. Der Nachweis einer kausalen Beziehung sei unmöglich, sagte er. „Dass die Staatsanwa­lt das behauptet, finde ich mutig. Aber es ist Quatsch.“

Der Oberstaats­anwalt widerspric­ht: „Unsere Sachverstä­ndigen haben ein ganz neues Verfahren entwickelt: Aus den Stoffen, die beim Abbau von 3-BP entstehen, konnte mit Hilfe von Reihenunte­rsuchungen die Dosierung nachgewies­en werden.“Zusätzlich hatte die Polizei Reste der Infusionsl­ösung beschlagna­hmt. Stahl: „Daher sind wir zuversicht­lich, dass das vor Gericht Bestand haben wird.“

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