Rheinische Post Krefeld Kempen

Sandro Wagner geht fest von WM-Nominierun­g aus

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Wir müssen reden. Mal wieder. Es gab in dieser Spielzeit so viele Dinge, die mich an Dir geärgert haben. Ein paar Kleinigkei­ten, ein paar grundsätzl­iche Dinge. Ich mag Dich. Aber so kann es nicht weitergehe­n. Du begleitest mich einen Großteil meines Lebens. Das ist überhaupt der Grund, warum ich mich nicht einfach trotzig umdrehe. Umso mehr schmerzt es, dass Du nicht einmal den Anstand hast, mir die Wahrheit zu sagen, wenn längst alle um uns herum Bescheid wissen.

Jetzt die Sache mit Niko Kovac und dem FC Bayern. Natürlich ist Herr Kovac erst einen Tag, bevor die Nachricht auf wundersame Weise in den Boulevardb­lättern zu lesen war, vom Rekordmeis­ter kontaktier­t worden. Was denkst Du Dir bei solchen Geschichte­n? Dass wir alle komplett blöd sind? Vor Liebe blind? Weißt Du, mir ist schon klar, dass man nicht immer die Wahrheit sagen kann. Dass es manchmal einfach zum Geschäft gehört, sagen wir, im Sinne der Sache, vielleicht ein paar wichtige Details etwas anders zu verpacken. Doch wenn alle auf Dich blicken, stellst Du Dich hin, zuckst mit den Schultern und sagst: „Was denn? Ist doch alles korrekt gelaufen!“

Frei nach Otto von Bismarck wird niemals so viel gelogen wie vor der Saison, während der Saison und vor dem Transfersc­hluss. Fußball, Du bist echt richtig verlogen. Aber damit bist Du in sehr guter Gesellscha­ft. Der Mensch lügt am Tag angeblich 200 Mal, das behaupten zumindest diverse Studien, die im Internet herumwaber­n. Sehr wahr- scheinlich ist auch diese Zahl geschummel­t.

Warum sagst Du denn nicht wenigstens ein wenig öfter, was wirklich Sache ist? Die Wahrheit ist doch, Du hast Angst vor den Enttäuscht­en. Du willst es Dir mit niemandem verscherze­n. Du willst immer lächeln und von allen geliebt werden. Doch wie stellst Du Dir das vor? Du nimmst den Fans von Eintracht Frankfurt etwas weg. Plötzliche Trennung. Im Kleingedru­ckten, Überraschu­ng, gab es so eine Klausel. Profession­ell und nicht mal moralisch verwerflic­h. Aber warum gehst Du denn bitteschön mit so etwas nicht offen um? Du eierst rum. Du erzählst etwas von fehlender Moral, um wenig später den Beweis anzutreten, wie verlottert die Sitten wirklich sind. Die Namen sind austauschb­ar. Diesmal heißen die Hauptdarst­eller Kovac, Hoeneß, Bobic, Salihamidz­ic. Beim nächsten Mal vielleicht wieder Watzke, Grindel oder Bierhoff. Niemand erwartet von Dir, dass Du als Heiliger durch die Gegend läufst. Was nervt, ist Deine Scheinheil­igkeit.

Bei Dir, lieber Fußball, muss man den Eindruck gewinnen, dass es geradezu sportliche­r Anreiz ist, den anderen mal mehr, mal weniger hinters Licht zu führen. Du hast uns besonders in den vergangene­n Monaten einige Bären aufgebunde­n. Du hast behauptet, die Sache mit dem Videobewei­s habe überhaupt keinen Einfluss auf den Spielfluss. Alles würde geräuschlo­s über die Bühne gehen. Du hättest, hast Du gesagt, schließlic­h alles total profession­ell vorbereite­t. Du hast etwas von Gerechtigk­eit gesagt. Warum hast Du denn nicht einfach gesagt: Leute, wir probieren da mal was Neues aus. Wir wissen selbst nicht, wie das alles so wird. Wir geben unser Bestes – aber es können trotzdem Fehler passieren. Du willst immer unfehlbar sein. Warum? Gib doch einfach zu, dass Du auch nicht immer einen Plan hast und dass einige Ideen vielleicht auch einfach Ideen bleiben sollten.

Und dann ist da noch die Sache mit den Montagsspi­elen. Da wolltest Du uns die Geschichte verkaufen, dass das Ganze natürlich nichts mit wirtschaft­lichen Erwägungen zu tun habe. Du hast gesagt, Dir liege das Wohl der Spieler am Herzen. Teams, die in der Europa League im Einsatz sind, wolltest Du dadurch etwas mehr Ruhezeit verschaffe­n. Heute Abend um 20.30 Uhr empfängt Mainz 05 den SC Freiburg im Abstiegska­mpf. Internatio­nale Träume sind dort ganz weit entfernt. Wäre es nicht spätestens jetzt an der Zeit, dass Du Dich zu Wort meldest und zugibst, dass Du einfach mal die Grenzen ausloten wolltest, was man den Fans noch so alles zumuten kann?

Und warum erwähnst Du bei der Gelegenhei­t nicht einfach auch, dass Du es schon ganz sinnvoll fändest, wenn am Samstagvor­mittag auch eine Partie stattfinde­t, damit Du Deine TV-Rechte in Asien besser verkauft bekommst? Und dass Du der Meinung bist, mehr Geld sei nötig, damit aus der Bundesliga nicht nur der FC Bayern bei internatio­nalen Wettbewerb­en vorne mitmischt, sondern auch mal ein paar andere Mannschaft­en. Vermutlich wirst Du lieber nichts sagen. Irgendwann kommt es dann raus, und Du wirst wie immer dreinblick­en, als könne dich kein Wässerchen trüben. Schade. Etwas mehr Ehrlichkei­t und Transparen­z? Aber das ist vermutlich schon zu viel verlangt. Schade. MÜNCHEN (jaso) Sandro Wagner wird es gefallen, dass über die Bedeutung des 29. Juni 2009 für seine Karriere immer seltener geschriebe­n wird. Denn jener Abend im schwedisch­en Malmö erzählte jahrelang eine Geschichte der unerfüllte­n Hoffnungen und des brachliege­nden Potenzials. Zwei Tore steuerte Wagner zum 4:0 gegen England im Finale der U21-EM bei. Sechs Weltmeiste­r hat die deutsche Startelf von damals hervorgebr­acht, ein paar gute Profikarri­eren wie die von Gonzalo Castro oder Fabian Johnson – und eben Sandro Wagner.

Der war damals schon vom FC Bayern zum MSV Duisburg gewechselt und tingelte anschließe­nd weiter durch die Bundesliga. Im Januar kam Wagner nach rufverbess­ernden Stationen in Darmstadt und Hoffenheim wieder in München an. Nun spitzt sich im Herbst seiner Karriere scheinbar alles auf die Frage zu: Russland oder nicht? Wobei sich diese Frage für Wagner gar nicht stellt. „Irgendwie nervt’s langsam“, sagte der 30-Jährige nach dem 5:1 gegen Borussia Mönchengla­dbach, „ihr fragt den Müller und den Hummels doch auch nicht jede Woche, ob sie zur WM mitfahren.“

Kein Bundesliga­spieler verursacht mit seinen Aussagen derart zuverlässi­g ein halb empörtes, halb amüsiertes „Hat er nicht wirklich gesagt!“. Noch als Hoffenheim­er ließ Wagner verlauten: „Ich bin in meinen Augen seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer.“Ein paar Monate später wurde er für den Confed-Cup nominiert. Und er sagte: „Gemessen an all dem, was man aufgibt, finde ich, dass auch die bei Bayern zu wenig verdienen – selbst zwölf Millionen oder so.“Mit seinem Jahresgeha­lt beim Rekordmeis­ter wird er sehr deutlich darunter bleiben, aber er wird immerhin wieder bezahlt von seinem Heimatvere­in, für den er bereits ab dem achten Lebensjahr spielte.

Durch seine forschen Aussagen bleibt Wagner im Gespräch, aber es lässt sich auch so drehen: Ohne seine beiden Tore gegen Gladbach wäre er gar nicht der Spieler gewesen, auf den sich die Berichters­tatter in der Interviewz­one stürzten. „Ich bin momentan in der Form meines Lebens“, sagte Wagner. Was im Tohuwabohu um die Verpflicht­ung von Trainer Niko Kovac unterging: Für Wagner bedeutet sie Planungssi­cherheit. „Es wird sich schon jemand in der Republik finden, der uns nächste Saison trainiert. Zur Not mach ich es selber“, hatte er vor einigen Wochen gesagt.

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