Rheinische Post Krefeld Kempen

Drmic hat erst Spaß und dann nicht mehr

- VON JANNIK SORGATZ

Der Schweizer ersetzte Kapitän Lars Stindl. Er schoss nach neun Minuten das 1:0 – danach war er nur noch ein überforder­ter Verteidige­r.

Am Freitag beginnt mit dem Spiel gegen den VfL Wolfsburg für die Borussen der Rest der Saison. Dass es in den letzten vier Spielen noch um Europa geht, wäre eine kühne Behauptung. Sechs Punkte wären dafür aufzuholen, inklusive einer schlechten Tordiffere­nz – angesichts einer Saison wie dieser auf eine plötzliche Unfehlbark­eit zu hoffen, ist mit dem vom Klub eingeforde­rten Realismus eher nicht vereinbar.

Worum also geht es von nun an? Wenn die Gladbacher diese Spielzeit, die ein seltsames Hin und Her war und in der Summe mehr enttäusche­nde als freudige Momente brachte, einfach auslaufen lassen, MÜNCHEN Es muss nicht immer Hoffenheim sein. Zweimal erst hatte Josip Drmic in Pflichtspi­elen für Borussia getroffen, jeweils bei einem 3:3 gegen jene Mannschaft, die in der Tabelle nun kaum noch einzuholen ist nach dem 1:5 gegen den FC Bayern. Zum Glück für Drmic hat sich der Rekordmeis­ter seit dem vergangene­n Sommer gleich dreimal in Hoffenheim bedient. Sebastian Rudy, Sandro Wagner und Niklas Süle standen in der Startelf am Samstag, und in der neunten Minute bekam es Drmic, der für den gesperrten Lars Stindl ins Spiel kam, gleich im Eins-gegen-eins mit Süle zu tun. Mit einem sauberen Haken legte er den Ball am deutschen Nationalsp­ieler vorbei, hielt körperlich vehement dagegen und schlenzte den Ball sehenswert mit links in die lange Ecke – das frühe 1:0 im 100. Bundesliga­spiel des Schweizers.

Diese Coolness hatte ihm in den vergangene­n Wochen öfter gefehlt. Man kann sogar so weit gehen, zu sagen: Es war seine beste Aktion bislang im Gladbach-Trikot, das er mit Unterbrech­ung seit 2015 trägt. Noch in Mainz hatte er ein Geschenk nicht angenommen und in der Nachspielz­eit den Ball nicht an Torwart René Adler vorbeigebr­acht. Wobei es – dieses Sternchen hinter seinem Namen wird Drmic wohl bis ans Ende seiner Laufbahn begleiten – keine Selbstvers­tändlichke­it ist, dass der 25-Jährige seine Coolness überhaupt noch einer Prüfung im Profifußba­ll unterziehe­n kann. Er war lange weg, und die Möglichkei­t,

Nun ist die Botschaft das Ziel

wäre das fatal. Denn es ist nun mal so, dass der letzte Eindruck hängen bleibt. Vier Spiele bleiben dem Team und dem Trainer, um ein paar Sachen gerade zu rücken.

Es gibt nicht viel zu verlieren bei den Bayern (mal abgesehen davon, dass es immer um drei Punkte geht), doch haben es die Gladbacher geschafft, mehr als nur das Spiel zu verlieren. Dass ein solches 1:5 die von vielen Fans geführte Trainerdeb­atte befeuert, muss klar sein. Damit wurde der gesamte Ansatz, den Spieler und Dieter Hecking vorab formuliert hatten, konterkari­kiert.

Mit dem Eindruck von München geht es heute in die Mitglieder­versammlun­g. Sollte das Rumoren in dass er nach seinem Knorpelsch­aden im Knie nie mehr richtig zurückkehr­en würde, musste vor fast genau einem Jahr zumindest ins Kalkül gezogen werden. Drmics Tor gegen die Bayern war ein weiterer Schritt zurück in die Normalität.

65 Minuten durfte er ran, macht immerhin 53 Minuten im Abwehrmodu­s. Denn Drmic musste früh vom Stürmer zum ersten von sechs Innenverte­idigern mutieren, flankiert von vier Außenverte­idigern. „Wir dürfen nicht wie auf Knopfdruck ein komplett anderes Spiel spielen“, bemängelte er. Nur acht Pässe brachte Drmic zum Mitspieler, vier davon beim Anstoß. „Bis zu einem gewissen Zeitpunkt haben wir es gut gemacht und sind mutig aufgetrete­n. Wir haben die Chance kreiert und sie auch genutzt, das ist uns in der Vergangenh­eit nicht so gut gelungen“, sagte er. „Danach kam der Einbruch und wenn wir so einen Riesenresp­ekt bekommen vor Bayern, kann das nicht gutgehen.“

Das Zuspiel, mit dem er von Jonas Hofmann auf die Reise geschickt wurde, war genauso ein Unikat wie der Schuss aufs und ins Tor von den sozialen Netzwerken eine Referenz zur tatsächlic­hen Stimmung unter den Borussen haben, dürfte es ein hitziger Abend werden, zumindest einer mit unangenehm­en Fragen. Sportdirek­tor Max Eberl hat schon in brenzliger­en Situatione­n die richtigen Worte gefunden. Heute wird es darum gehen, aufzuzeige­n, in welche Richtung es künftig geht für Borussia. Dass sich etwas ändern muss, hat Eberl gesagt, auch gestern in der Talksendun­g „Doppelpass“bei Sport 1. Dass es darum geht, ein eindeutige­s Bild und klare Strukturen zu zeichnen von der gegenwärti­gen Borussia, liegt auf der Hand. Der Aufschwung nach 2011 war auch das Resultat einer klaren Identitäts- Sven Ulreich. Nur dieses eine Mal kombiniert­e sich Borussia in 90 Minuten in den Strafraum der Bayern. Drmic hätte gerne mehr Gelegenhei­ten erhalten, seine aufsteigen­de Form zu untermauer­n. „Es hat mir Spaß gemacht, mich mit Hummels und Süle zu messen. Es macht aber keinen Spaß mehr, wenn sie nur auf dich zu rennen“, sagte er. Auch Drmic gab im Spielverla­uf eine immer unglücklic­here Figur ab. Einmal wollte er klatschen lassen, bereitete aber aus Versehen eine Chance des Gegners vor. Vor der Pause übernahm er gegen den Ball Hofmanns Position auf rechts, weil der Akku bereits leer zu sein schien. Eine 20-minütige Bewährungs­probe bekam Drmic noch nach dem Seitenwech­sel, dann hatte er Feierabend.

Vier Spiele vor dem Saisonende dürfte es völlig offen sein, wie es in der Zukunft mit ihm und für ihn weitergeht. Für die WM will sich Drmic zweifellos empfehlen. Die überrasche­nde Nominierun­g durch Trainer Vladimir Petkovic für die Testspiele vor ein paar Wochen hat ihm einen Schub gegeben motiviert. In Sachen Profession­alität und Einsatz haben Drmic die Verletzung­en sowieso zum Musterprof­i gemacht. Stolz dokumentie­rt er in den sozialen Netzwerken seine Extraschic­hten. Und was passiert in Gladbach? Bis 2019 läuft der Vertrag des Angreifers. Ist jede gute Aktion ein Argument für einen Verbleib oder ein Bewerbungs­schreiben für andere Klubs? Wie beim Spiel in München gilt: Auf Drmic allein wird es nicht ankommen. Schaffung – Borussia steht seither für etwas. Das ist auch ein Verspreche­n, ein Maßstab, der natürlich höher ist als vorher. Und den kann Gladbach derzeit nicht einhalten. Noch immer ist man in der PostFavre-Ära auf der Suche nach dem wahren Weg, das Gefühl der wohligen Geborgenhe­it jener Zeit stellt sich nicht ein.

Marketingt­echnisch werden sich die Borussen ab Freitag runderneue­rt präsentier­en mit einer veränderte­n Farbtönen und einem neuen Claim: „Die Fohlen“statt „Fohlenelf“. Das ist, wie zuvor, Geschichts­bewusstsei­n ebenso wie Zukunftsve­rsprechen. Die Borussen wollen mehr Klarheit und Eindeutigk­eit im Auftritt, das muss auch wieder für die Abteilung Sport gelten. In der neuen Saison sowieso, aber auch in den letzten vier Spielen geht es für Trainer und Team darum, etwas Konkretes anzubieten: greifbare Perspektiv­en für die Zukunft, eine Idee davon, was Borussia künftig sein will.

Nach dem Triumph gegen die Bayern in der Hinrunde ging es bergab, nun muss nach dem Debakel wieder die Richtung geändert werden. Das, was im Finale rüberkommt, wird einer der Leitfäden der Sommeranal­yse sein, auch daran werden alle zu messen sein. Die Botschaft ist das Ziel für den Rest der Saison. Karsten Kellermann

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