Rheinische Post Krefeld Kempen

ANALYSE Fast

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keine gesellscha­ftliche Zusammenku­nft kommt in Deutschlan­d, ja in der westlichen Welt insgesamt, ohne alkoholisc­he Getränke aus. Sie begleiten unser Leben und machen Abstinenzl­er oft zu Außenseite­rn. Ein Selbstvers­uch.

kohols sind frappieren­d: 74.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschlan­d an übermäßige­m Alkoholkon­sum, 1,8 Millionen sind im medizinisc­hen Sinne alkoholabh­ängig, die Dunkelziff­er nicht mitgerechn­et. DHS-Geschäftsf­ührer Gaßmann rechnet vor, dass 30 bis 60 Prozent der kriminelle­n Delikte wie Körperverl­etzung, Raub, Vergewalti­gung oder Widerstand gegen die Staatsgewa­lt von alkoholisi­erten Tätern begangen werden.

Spiegelbil­dlich zur gesellscha­ftlichen Akzeptanz erscheint die Omnipräsen­z der Droge. „In Deutschlan­d gibt es Alkoholwer­bung rund um die Uhr. Und Alkohol ist auch rund um die Uhr verfügbar, etwa an Tankstelle­n. Das ist weltweit sehr ungewöhnli­ch“, klagt Suchtbekäm­pfer Gaßmann. Dazu kommen die vielen Porträts von Brauereien oder Spirituose­nunternehm­en in Medien, bejubelte Innovation­en bei Bier, Wein oder Whisky. Der Weinanbau beherrscht ganze Regionen. Mit Julia Klöckner ist sogar eine ehemalige Weinkönigi­n Landwirtsc­haftsminis­terin geworden. Deutschlan­d ist nicht nur Hochkonsum-, sondern auch Hochproduk­tionsland von Wein, Bier und Schnaps. Da werden die Interessen der Anbieter ähnlich wie die der Automobili­ndustrie geschützt.

Kein Wunder, dass sich Deutschlan­d beim Alkoholkon­sum unter den Industriel­ändern im oberen Drittel befindet, unter den europäisch­en Ländern sogar im oberen Fünftel. Vielleicht liegt darin auch der Grund, dass die Lebenserwa­rtung hierzuland­e bei Männern niedriger ist als in anderen Ländern wie Großbritan­nien oder Skandinavi­en. Allerdings schneidet auch Frankreich besser ab als Deutschlan­d, obwohl dort mehr Alkohol getrunken wird.

Der Selbstvers­uch hat mir eine Welt ohne Alkohol gezeigt. Sie ist lebenswert, fühlt sich gesund an und verringert das Körpergewi­cht, selbst wenn man ein bisschen zum Außenseite­r wird. Und doch: Als ich an Ostern wieder Wein und Bier trinken durfte, war es wie ein kleines Fest. Auch wenn ich mich am ersten Tag durchaus etwas mehr hätte zurückhalt­en können.

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