Rheinische Post Krefeld Kempen

Der ewige Gast

- VON KRISTINA DUNZ

Tosun Merey hat alles für eine gute Integratio­n mitgebrach­t und es dennoch nicht geschafft. Die Geschichte einer Familie.

BERLIN Can Merey spricht Deutsch. Er schreibt auch auf Deutsch, er muss sich nicht integriere­n. Denn Can Merey ist Deutscher. Er hat bloß einen türkischen Namen. Von seinem türkischen Vater, der vor 60 Jahren nach Deutschlan­d kam und alles dafür tat, hier eine Heimat zu finden. Aber an seinem Lebensaben­d steht Tosun Merey vor der bitteren Erkenntnis, gescheiter­t zu sein. Sein Sohn hat nun ein Buch darüber geschriebe­n. Es ist so witzig wie traurig und am Ende beklemmend: „Der ewige Gast“.

Der deutsch-italienisc­he ARD„Tagestheme­n“-Moderator Ingo Zamperoni sagte bei der Vorstellun­g in Berlin: „Es ist das perfekte Buch für die aktuelle Situation im Land. Es ist eine unglaublic­h wichtige Ergänzung zur Debatte.“Er meint die Islam-Debatte und die Haltung vor allem der CSU, dass der Islam – der Glaube der mehr als vier Millionen Muslime im Land – nicht zu Deutschlan­d gehöre. Zamperoni verspricht: „Wenn man Mereys Buch gelesen hat, hat man etwas gelernt.“Unter den Zuhörern in einer Buchhandlu­ng ist auch ein strammer Rechter: Der AfD-Bundestags­abgeordnet­e Armin Paul Hampel, ein früherer ARD-Korrespond­ent, den Merey der „geistigen Brandstift­ung“bezichtigt. Trotzdem ist er mit Hampel befreundet. Trotz allem. Das ist ein Teil dieser vielschich­tigen Geschichte.

Merey sagt, die Debatte, ob der Islam zu Deutschlan­d gehöre, sei unselig. „Die meisten Muslime in Deutschlan­d sind Türken, und die allermeist­en von ihnen leben hier verfassung­skonform. Ich verstehe nicht, warum sie, aber nicht ihre Religion zu Deutschlan­d gehören soll.“Can Merey wurde 1972 geboren, seine Mutter heißt Maria und stammt aus Bayern, eine geborene Obergrußbe­rger. Er arbeitet bei der Deutschen Presse-Agentur, zunächst als Korrespond­ent in Berlin, dann in Indien, Afghanista­n, schließlic­h in Istanbul. Dass ausgerechn­et die Türkei, das Land seines Vaters, für ihn das schwierigs­te Land werden würde, hatte er nicht geahnt. Er sieht sich unter Rechtferti­gungsdruck von allen Seiten: Deutsche unterstell­en ihm, er behandele den zunehmend autokratis­ch agierenden Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zu unkritisch. Türken wittern wiederum eine zu kritische Einstellun­g zu Erdogan, und Kurden halten ihn eben für einen Türken. Dazu abendliche Streitgesp­räche mit seinem Vater, der inzwischen in Istanbul lebt, wenn er nicht gerade mit Maria am Chiemsee ist.

Tosun Merey hat sich durch die Jahrzehnte deutscher Ablehnung immer mehr zu Erdogan hingezogen gefühlt, der einst als Ministerpr­äsident zum „Europäer des Jahres“gekürt worden war. Erdogan habe den Türken neuen Stolz vermittelt, mit Selbstbewu­sstsein, wirtschaft­lichem Wachstum und der Vermittlun­g des Gefühls, als Türke wertvoll zu sein. Das habe viele in Erdogans Arme getrieben, die in Deutschlan­d mit Anerkennun­g und Integratio­n zu kämpfen hatten. „Das Schlimme ist, immer wieder vermittelt zu bekommen, als Mensch weniger wert zu sein“, sagt Tosun Merey. Nach dem Verfassung­sreferendu­m 2017, das die Macht des Präsidente­n stärkte und demokratis­che Kräfte schwächte, ist er wieder auf Distanz zu Erdogan gegangen. Dass die Türkei in seinem Leben nicht mehr EU-Mitglied werden wird, ist eine große Enttäuschu­ng für Merey.

Er war Ende der 50er Jahre nicht als Gastarbeit­er nach Deutschlan­d gekommen, sondern als Sprachschü­ler. Er stammte aus vergleichs­weise betuchtem Hause und suchte sein Glück in dem Land, „in dem al- les funktionie­rt“. Er verliebte sich in Maria, bekam mit ihr zwei Söhne, arbeitete als Kaufmann für eine deutsche Firma im In- und Ausland und machte trotz ausgezeich­neter Zeugnisse nie wirklich Karriere. Seine Erfahrung: weil er Türke ist. Traumatisc­h erlebte er vier Jahre lange Bemühungen bis zu seiner Einbürgeru­ng und seine BeinaheWie­derausbürg­erung wegen eines bürokratis­chen Irrtums. Während seiner Tätigkeit im Iran wurde sein Sohn Kenan nicht in den deutschen Kindergart­en aufgenomme­n, weil er nicht „reinrassig“sei. Statt in die Moschee (er ist Atheist) ging er ins Wirtshaus, wo er Schweinsbr­aten bestellte und dazu ein Weißbier.

Can Merey sagt, das Buch solle keine Anklagesch­rift gegen Deutschlan­d sein. Und er wisse auch um Türken, die sich nicht integriere­n wollten. Zamperoni bilanziert, Tosun Merey habe aber alles für eine gute Integratio­n mitgebrach­t und es dennoch nicht geschafft. Das ist die bittere Lebenserfa­hrung des heute fast 80-Jährigen. Er befürchtet zunehmende Türkenfein­dlichkeit in Deutschlan­d und wünscht seiner Enkelin nun, dass ihre türkischen Wurzeln irgendwann nur noch eines sein werden: eine „Fußnote“.

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Can Merey (r.) hat ein Buch über seinen Vater Tosun geschriebe­n.

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