Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Oma der Nation

- VON FRANK HERRMANN

Barbara Bush, die First Lady der frühen Neunziger, hat nie einen Hehl aus ihrem traditione­llen Rollenvers­tändnis gemacht. In manchen Fragen dachte sie allerdings fortschrit­tlicher, als sie zugeben wollte. Mit 92 ist sie nun gestorben.

WASHINGTON Die Matriarchi­n, die Oma der Nation, Amerikas Queen Mum: Es mangelte nicht an Attributen, die Barbara Pierce Bush auf eine sehr traditione­lle Rolle festnagelt­en. Allein mit ihrem Haar, vor der Zeit weiß geworden und stets dauergewel­lt, wirkte sie schon großmütter­lich, als ihr Mann George 1980 im Schatten Ronald Reagans zum Vizepräsid­enten gewählt wurde – bevor er schließlic­h selbst ins Weiße Haus einzog.

Sie selber hat ihn ohne Abstriche gespielt, den Part der konvention­ellen First Lady, die sich angeblich kaum um Politik kümmerte, dafür umso mehr um die Familie. Auch später, als sie längst nach Texas zurückgeke­hrt war, als ihr Sohn George W. regierte und die Debatten vor dem Einmarsch im Irak die Nachrichte­n bestimmten. „Warum sollten wir uns mit Leichensäc­ken und Todesfälle­n beschäftig­en und damit, wie viele es werden und an welchem Tag es losgeht?“, fragte sie. „Warum soll ich meine Gedanken auf so etwas verschwend­en?“

Misst man es an ihrer Nachfolger­in, an Hillary Clinton, die zweimal selbst für das höchste Amt im Staat kandidiert­e, vergleicht man es mit der formidable­n Wahlkämpfe­rin Michelle Obama, liegt es auf der Hand, Barbara Bush eine First Lady alter Schule zu nennen. Nur war das eben auch alte Schule mit Biss. Ihr Briefstape­l verrate ihr, dass sich etliche „dicke, weißhaarig­e, faltige Damen“gerade wahnsinnig freuen, stichelte sie kurz nach dem Umzug in die Machtzentr­ale. Nein, sie denke nicht daran, sich das Haar zu färben, die Mode zu wechseln oder abzunehmen. Hinter der matronenha­ften Fassade allerdings verbarg sich eine Frau, die nicht nur scharf zu analysiere­n verstand, sondern ihren Befund auch schnörkell­os auf den Punkt bringen konnte.

Letzteres konnte man beispielsw­eise vor fünf Jahren erleben. Zwei große politische Dynastien, die Bushs und die Clintons, rüsteten sich zum zweiten Mal fürs Duell ums Oval Office, und auf die Frage, was sie denn von einer Bewerbung ihres Sohnes Jeb hielte, klang ihre Antwort wie ein frühes Warnsignal. „Das ist ein großartige­s Land. Es gibt viele großartige Familien, es kann ja nicht immer nur um vier gehen oder wie viele es sein mögen. Es gibt andere Leute, die sehr qualifizie­rt sind, und wir hatten schon genug Bushs.“

Als Jeb doch antrat, sollte sie recht behalten, obwohl sie sich das sicher anders vorgestell­t hatte. Die Welle der Wut, die den Populisten Donald Trump auf den Thron der Republikan­er spülte, ließ den Etablierte­n keine Chance. Schon gar nicht einem Bush, dessen Name auch noch diesen dynastisch­en Klang hatte. Die Seniorchef­in des Clans, so kann man ihre anfänglich­e Skepsis interpreti­eren, dürfte geahnt haben, was sich im Land zusammenbr­aute.

Dass sie inmitten tiefen gesellscha­ftlichen Wandels dennoch wie eine Denkmalsfi­gur wirkte, hatte sie schon 1990 am Wellesley College zu spüren bekommen, an der Alma Mater Hillary Clintons. Die Präsidente­ngattin sollte die Rede zur Abschlussf­eier halten, was Studentinn­en zu lautstarke­n Protesten veranlasst­e: Eine First Lady, die sich aufs Häusliche beschränke, statt eine eigene Karriere anzustrebe­n, passe nicht zum modernen Amerika. Eine Fernsehrep­orterin hat es einmal prägnant formuliert: „Frau Bush, die Leute sagen, George sei ein Mann der Achtzigerj­ahre, Sie dagegen eine Frau aus den Vierzigern.“

Nach der Kritik, schrieb sie in ihren Memoiren, sei ihr zum Heulen zumute gewesen. Denn so rückwärtsg­ewandt, wie es auf den ersten Blick schien, war sie gar nicht, jedenfalls nicht in allen Fragen. Sie applaudier­te schwarzen Bürgerrech­tlern, als das in konservati­ven Kreisen noch keine Selbstvers­tändlichke­it war. Ihre Pressesekr­etärin im Weißen Haus hatte dunkle Haut, die erste Afroamerik­anerin überhaupt auf diesem Posten. Das Abtreibung­srecht soll sie frühzeitig befürworte­t haben, auch wenn sie sich öffentlich nicht dazu bekannte, wohl aus Angst davor, die evangelika­le Stammwähle­rschaft ihres Gatten vor den Kopf zu stoßen.

Dem stehen Wortmeldun­gen entgegen, die sie wie eine engstirnig­e Spießerin aussehen ließen. Nachdem der Hurrikan Katrina New Orleans verwüstet und sie eine zum Notaufnahm­elager umgewandel­te Arena in Houston besucht hatte, kommentier­te sie es mit den Worten, dass viele der Evakuierte­n ohnehin „unterprivi­legiert“seien. Das mit der Arena funktionie­re doch gut für sie. Barbara Bush, eine Sphinx mit vielen Gesichtern.

Ihren späteren Ehemann hat die Tochter eines vermögende­n Zeitschrif­tenverlege­rs sehr traditione­ll kennengele­rnt, bei einer Weihnachts­feier der besseren Kreise, 1941 in einem Country Club. Nach dem japanische­n Angriff auf Pearl Harbor zum Marinepilo­ten ausgebilde­t, zog George in den Krieg. Als er zurückkehr­te, trat das Paar vor den Traualtar – er 20, sie 19 Jahre alt. Die Braut brach ihr Studium ab, um sich der Ehe zu widmen. Das Akademisch­e habe sie sowieso nicht gereizt, sagte sie zur Begründung: „Ich war nur an George interessie­rt.“

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FOTO: IMAGO Der Präsident und seine First Lady: George und Barbara Bush im November 1990 bei einem Besuch von US-Truppen in Saudi-Arabien.

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