Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Handballer und der „Harzhorror“
In Kempener Sporthallen darf nicht geharzt werden. Deswegen können beispielsweise die VT-Damen nicht zur Bundesliga-Qualifikation anmelden. Die Stadt verweist auf die schädlichen Folgen von Harz.
KEMPEN „Wir, die Mädels vom VT Kempen, suchen einen Verein, der uns mit einer freigegebenen HarzHalle aushelfen kann.“Mit diesem Aufruf in den Sozialen Netzwerken haben die Handballerinnen der AJugend in der Vereinigten Turnerschaft einiges ausgelöst. Der Appell aus Kempens größtem Sportverein ist die Spitze eines Eisbergs, zeigt einen Konflikt auf, der seit Jahren in Kempen schwelt: Wer im Wettbewerb Handball spielen will, findet in der Thomasstadt keine Unterstützung. Das sind unter dem Strich mehrere hundert Sportlerinnen und Sportler – in der Vereinigten Turnerschaft, aber auch in anderen Kempener Vereinen, die unter der Situation leiden.
„Was ist das für ein Signal, wenn alle Nachbarstädte ihren Handballern gute Voraussetzungen schafft, wir in Kempen aber in die Röhre gucken, nicht wettbewerbsfähig sind und uns eine Halle außerhalb der Stadtmauern suchen müssen“, sagt Jürgen Witzke, der Trainer der Frauen-A-Jugend. Das erfolgreiche Team, das er seit fünf Jahren betreut, will sich jetzt zur BundesligaQualifikation anmelden. Das ist aber nur möglich, wenn dem Hand- ball-Verband eine Halle gemeldet wird, in der unter Wettbewerbsbedingungen gespielt werden kann – sprich Harzen muss erlaubt sein. „Die Stadt Kempen ist leider nicht gewillt, laut ihren Satzungen eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Dabei wäre der Bedarf bei den Mädchen überschaubar mit vielleicht vier Spielen“, so Jürgen Witzke.
Die Stadt Kempen verweist auf die vom Stadtrat festgelegte Satzung, wonach der Einsatz von Harzen und harzhaltigen Substanzen in städtischen Sportstätten nicht gestattet ist. Die Dreifachsporthalle Ludwig-Jahn sei in den letzten Jahren mit „erheblichem finanziellen Aufwand“saniert worden. Durch Harz würde innerhalb kürzester Zeit Boden, Prallschutzwände, Wände und Decken mit klebrigen Flecken „erheblich verunreinigt“. Für eine einmalige Reinigungsaktion würden laut Amt für Gebäudeservice Kosten in Höhe von 600 Euro entstehen. Außerdem, so die Stadt, würde die Jahn-Halle in allen drei Teilen von 8 bis 18 Uhr von Schulen genutzt, täglich übten etwa 450 Schülerinnen und Schüler dort ihren Schulsport aus. Die Internationale Handball-Föderation habe angekündigt, über ein Verbot von Har- zen weltweit zu entscheiden. Eine Firma sei beauftragt, einen selbsthaftenden Handball zu entwickeln.
Bis dieser Superball entwickelt ist, so lange können Witzke und seine Handballerinnen aber nicht warten. „Wir haben angeboten, wasserlösliches Harz einzusetzen, dann hätten wir die Halle in 20 Minuten blitzeblank sauber. Die Prallschutzwände würden wir mit Folien abhängen“, sagt der Trainer, der mit diesen Angeboten beim Sportamt aber auf taube Ohren gestoßen sei. Der Harz-Horror ist auch für die männlichen Handballer ein leidiges Thema. „Bei der A-Jugend war dieses Problem ein Grund, warum wir die Quali für die Saison 2017/18 verpasst haben“, sagt Handballtrainer André Ziech. Bei der 1. Herren, die in der Landesliga spielt, sei die Situation noch extremer. „Mehr als die Hälfte der gegnerischen Mannschaften harzen in den heimischen Hallen.“Man stelle sich die Frage, warum andere Städte mit dem Thema entspannter umgehen als Kem- pen, zumal es mittlerweile leistungsfähige Reinigungsmaschinen gebe. Eine solche würde der JahnHalle gut tun: „Der Boden dort gleich häufig eher einer staubigen Rutschbahn als einer ordentlichen Spielfläche.“
Handball-Obmann Wolfram Gerlach appelliert mit Blick auf die „goldene Generation“der Handballerinnen noch einmal an die Stadt, ihre Haltung zu überdenken: „Wir haben die einmalige Chance, mit einer Mannschaft in der Jugend-Bundesliga zu spielen.“In NRW gebe es in vielen Städten Ausnahmeregelungen für hochklassig spielende Mannschaften, wenn sie eine spezielle Sorte verwenden. „Auch andere Schutzmaßnahmen können ergriffen werden, damit die Halle nicht dauerhaft verschmutzt wird.“
Auch der Vereinsvorsitzende Detlev Schürmann möchte die Stadt nicht aus der Verantwortung lassen – insbesondere mit Blick auf die hohen Hallennutzungsgebühren, die die Vereine an die Stadt zahlen. Allein bei der Vereinigten Turnerschaft sind es 12.000 Euro pro Jahr. „Es wäre traurig, dass unsere tolle AJugend an veralteten Richtlinien der Stadt scheitern würde. Man könnte die Satzung der technischen Entwicklung anpassen.“