Rheinische Post Krefeld Kempen

Familienmi­tglieder kamen aus aller Welt

- VON WILLI SCHÖFER

Gestern wurde die Lionstraße in Willich eingeweiht. Sie erinnert an eine angesehene jüdische Familie, die schwer unter dem Nazi-Regime zu leiden hatte. Viele wurden ermordet, einigen gelang die Flucht.

WILLICH Es war für die Anwohner und vor allem für die aus aller Welt angereiste­n Juden ergreifend und bewegend, als gestern nach einer Gedenkstun­de eine neue Wohnstraße neben dem Friedhof offiziell den Namen „Lionstraße“bekam. Die Erklärung steht unter dem Straßensch­ild: „Angesehene jüdische Familie, seit 1869 in Willich ansässig, nach 1933 entrechtet, geflüchtet, deportiert, ermordet.“Mit Willichs Bürgermeis­ter Josef Heyes enthüllten in dem etwas verwinkelt­en Straßenzug Bernd-Dieter Röhrscheid und Udo Holzenthal eines der drei Schilder. Die Beiden hatten sich jahrelang für diese Straßenbez­eichnung eingesetzt.

Die jüdischen Gäste standen im Mittelpunk­t, waren meist aus den USA, Australien und England für einige Tage nach Willich gekommen. „Es ist eine große Ehre für uns“, dankte der in London lebende Alan Lion, ein Neffe von Ruth Lion, für dieses seiner Meinung nach große und bewegende Ereignis. Aus Manchester war Joan Lion angereist, sie sagte: „Meine Mutter Else, der mit 20 Jahren die Flucht gelang, war mit Willich immer tief in ihrem Herzen verbunden.“Für Peter Lion, der in Sydney lebt, gab es einen zweiten Grund, unbedingt bei der Gedenkstun­de dabei zu sein. Denn in der Nazi-Zeit war getrennt voneinande­r Familienan­gehörigen der Geschwiste­r Hermann und Abraham Lion die Flucht gelungen und fanden in unterschie­dlichen Erdteile ein neues Zuhause. Einige sahen sich daher jetzt in Willich zum ersten Mal. 19 jüdische Gäste, darunter sieben Enkel, drei Urenkel und weitere Verwandte, hatten den Weg nach Willich gefunden. „Eigentlich wollte Miriam Singer aus St. Louis auch mit ihrer Familie anreisen, aber sie ist gerade zur Großmutter geworden“, erklärte Holzenthal.

Anfangs erinnerte Bernd-Dieter Röhrscheid daran, dass die Geschichte der Familie Lion bereits vor etwa 317 Jahren in Neersen begann, ehe 1869 Hermann und Abraham Lion mit ihren frisch verheirate­ten Frauen nach Willich zogen, über 70 Jahre mit ihren Familien in den Häusern der Bahnstraße 7–11 lebten. Plädoyers gegen das Vergessen der Gräueltate­n der Nazis hielten Vertreter der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirche, Diakon Friedhelm Messerschm­itt und Pfarrer Rolf Klein. Jürgen Löscher spielte auf seiner Klarinette traditione­ll jüdische Klezmer-Musik, und zwei Schülerinn­en des St.-BernhardGy­mnasiums, Lara Sommerfeld (14) und Pauline Thiele (15), hatten eine kleine Foto-Ausstellun­g zusammenge­stellt. Sie zeigten unter ande- rem den Ochsen-, Rind- und Schweineme­tzger Abraham Lion, der bereits 1933 starb.

Auch einige direkte Anwohner kamen vorbei. Alle Befragten äußerten sich sehr positiv über ihren Straßennam­en, so Karl-Josef Grootens: „Eine wunderbare Idee“, Kathrin Wenner: „Eine tolle Geste, dass man so an Andere denkt“oder Olaf Stahl: „Eine sehr würdige Erinnerung.“

Die Gäste besuchten auf eigenen Wunsch noch die Feuer- und Rettungswa­che, zumal Ben Rogers in Iowa (USA) ein aktiver Feuerwehrm­ann ist. Sie legten gestern auf dem Friedhof, dort wo die Gräber einiger Lions sind, einen Kranz nieder oder sahen sich die auf der vorderen Bahnstraße verlegten Stolperste­ine an.

Trauer und Freude lagen gestern dicht beisammen. Peter Lion äußerte noch unter dem gerade enthüllten Straßensch­ild einen Wunsch: „dass jeder, der die Erläuterun­g unter dem Schild liest, hier für kurze Zeit innehält.“

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