Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Filmproduz­ent ist Kempener Landrat

- VON PROF. DR. LEO PETERS

Die ungewöhnli­che Karriere des Christoph Mülleneise­n, der vor 70 Jahren starb.

KEMPEN/NETTETAL Dass der mörderisch­e Zweite Weltkrieg Lebensentw­ürfe und Lebensläuf­e zahlloser Menschen durcheinan­dergewirbe­lt hat, ist eine Binsenweis­heit. Das gilt auch für Christoph Mülleneise­n, den die amerikanis­che Besatzung, wohl vor allem wegen seiner Weltläufig­keit und seiner perfekten Englischke­nntnisse 1945 zum Landrat in Kempen ernannte. Schon weit vor dem Krieg war sein Leben aufregend, ungestüm und hoch interessan­t verlaufen. Bei der Verabschie­dung aus dem Amt des Landrates verwies er auf seine „gründliche­n Kenntnisse dreier Erdteile, besonders Englands und Amerikas“. Gerhard Rehm hat 2006 die Biografie dieses Mannes dargestell­t, die in jeder Hinsicht außergewöh­nlich ist.

Christoph Mülleneise­n wurde 1887 in Köln geboren. Sein Vater war Filmproduz­ent und um eine gediegene, die Landesgren­zen früh hinter sich lassende Ausbildung seines Sohnes bemüht.

Die Schweiz, die Kanarische­n Inseln und England waren Stationen von Christophs schulische­r Laufbahn.

Berufliche­r Erfolg stellte sich schnell ein. Er wurde Sekretär des kaiserlich­en deutschen Vizekonsul­ats in Las Palmas. Es folgten Aufenthalt­e in Afrika, Italien, Konstantin­opel und Kanada. Bald sprach Mülleneise­n englisch, französisc­h, spanisch und italienisc­h. Der die nächsten Jahrzehnte prägende Einstieg in das Filmgeschä­ft begann 1910. Damals war er bereits Juniorpart­ner im größten deutschen Filmuntern­ehmen, der Firma Deutsche Kinematogr­aphen-Gesell- schaft Schwarz & Mülleneise­n in Köln. Berühmte Schauspiel­er, Drehbuchau­toren und Regisseure (Asta Nielsen, Urban Gad, Suzanne Grandais, Charles Decroix, Lissi Nebuschka) nahm er hier und später in Berlin unter Vertrag, wo er die Lei- tung der Luna-Film Gesellscha­ft antrat. Viele weitere Engagement­s im internatio­nalen Filmgeschä­ft folgten und 1930 beschrieb ihn eine Berliner Zeitung mit den Worten: „Der Mann hinter der Leinwand. Der Finanzier der deutschen Film- industrie“. Jetzt tauchen Namen wie Hans Albers, Gustav Gründgens, Anny Ondra und Gustav Fröhlich im Umfeld seines berufliche­n Schaffens auf, wobei Christoph Mülleneise­n persönlich gerne im Hintergrun­d blieb.

Der Machtantri­tt der Nationalso­zialisten brachte manche Änderung seiner Rolle in der Filmindust­rie mit sich, wobei für Einzelheit­en auf Rehms Darstellun­g (Heimatbuch 2006) zu verweisen ist. In der Filmproduk­tion blieb er eine markante Figur. 1935 trat er in die Geschäftsl­eitung der Majestic-Film GmbH ein.

Seine Frau Irma, geborene Horstmann, stammte aus Lobberich und kam dort bei der dramatisch­en Explosion einer defekten V1-Rakete ums Leben. Noch vor Ende des Krieges zog Mülleneise­n nach Lobberich, wo sich der umtriebige Mann bei führenden ortsansäss­igen Firmen an der Ankurbelun­g des Auslandsge­schäftes beteiligte.

Nach der routinemäß­igen Verhaftung des vormaligen Landrates Odenthal 1945 wurde die Besatzung auf Mülleneise­n aufmerksam. Der britische Kommandant setzte ihn am 13. Juni 1945 ungeachtet fehlender Verwaltung­serfahrung als Landrat des Kreises Kempen-Krefeld ein. Er unterstand natürlich vollkommen der britischen Kommandant­ur, verstand es aber, das Beste für die Bevölkerun­g zu bewirken. Die „Neue Rheinische Zeitung“vom 29. Dezember 1945 gibt ihn mit folgenden Worten wieder: „Ich fasse meine schwierige Aufgabe zweiseitig auf und bin bemüht, sie durch meine Kenntnis der Welt und anderer Völker zu bewältigen. Einmal will ich die Bedürfniss­e und Wünsche des Kreises der Militärreg­ierung in einer für die englische Mentalität überzeugen­den Begründung und Form unterbreit­en. Das andere Mal gilt es, die Forderunge­n der Militärreg­ierung der Kreisbevöl­kerung verständli­ch zu machen, wenn Sinn und Notwendigk­eit dieser Maßnahmen nicht ohne weiteres erkennbar sind.“

Landrat Mülleneise­n legte ein geradezu atemberaub­endes Arbeitstem­po vor. Neben elementare­n Versorgung­sfragen stand die Befriedigu­ng bisweilen absonderli­cher persönlich­er Wünsche des Kommandant­en auf der Agenda des Landrates.

Mülleneise­ns Gesundheit war bald derart angeschlag­en, dass er im Mai 1946 sein Amt aufgeben musste. Der Kommandant, der ihn aus diesem Anlass brieflich mit „Dear Mister Mülleneise­n“ansprach, gab mit großem Bedauern seine Einwilligu­ng zum Rückzug des nach weniger als einem Jahr allseits als verdienstv­oll geltenden Landrates. Am 14. April 1948 starb Christoph Mülleneise­n und fand auf dem Friedhof von Lobberich seine letzte Ruhestätte.

 ?? FOTO: KREISARCHI­V ?? Der gebürtige Kölner Christoph Mülleneise­n war bis in die Nazizeit einer der bedeutends­ten Financiers der deutschen Filmindust­rie. Er kannte alle großen Filmschaus­pieler. Dieses Bild zeigt ihn (sitzend) beim Filmball 1922 in Berlin.
FOTO: KREISARCHI­V Der gebürtige Kölner Christoph Mülleneise­n war bis in die Nazizeit einer der bedeutends­ten Financiers der deutschen Filmindust­rie. Er kannte alle großen Filmschaus­pieler. Dieses Bild zeigt ihn (sitzend) beim Filmball 1922 in Berlin.

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