Rheinische Post Krefeld Kempen

Warum Çavusoglu in Solingen auftreten darf

- VON THOMAS GRULKE UND EVA QUADBECK

Die geplante Rede des türkischen Außenminis­ters sorgt bei jenen für Sorge, die das Gedenken im Mittelpunk­t sehen.

BERLIN Trotz des Wahlkampfs in der Türkei wird Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu in Deutschlan­d auftreten dürfen. Zum 25. Jahrestag des Brandansch­lags von Solingen, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, wird er dort am 29. Mai sprechen. Im Vorfeld besteht die Sorge, er könne die Veranstalt­ung auch zu Wahlkampfz­wecken nutzen. Was ist am 29. Mai in Solingen geplant? Ursprüngli­ch war eine stille Gedenkfeie­r vorgesehen. Ausrichter sind die türkischst­ämmige Familie Genc, auf deren Haus der Brandansch­lag verübt wurde, die von der türkischen Regierung unterstütz­te Ditib-Gemeinde, die Evangelisc­he Kirche sowie ein Bündnis für Toleranz und Zivilcoura­ge. Der türkische Außenminis­ter will bei der Gedenkvera­nstaltung in Solingen eine Rede halten. Offen ist, ob er die Bühne auch dafür ausnutzen wird, Wahlkampf zu machen. „Es ist ein großer Vertrauens­vorschuss, den die Landesregi­erung dem türkischen Außenminis­ter gewährt“, sagte Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung. Die gemeinnütz­ige Stiftung unterstütz­t Initiative­n für Zivilgesel­lschaft und demokratis­che Kultur und hatte vor fünf Jahren die Gedenkfeie­rn anlässlich des 20. Jahrestage­s gefördert. Widerspric­ht es nicht deutschen Regeln, dass Çavusoglu hier auftritt, während in der Türkei Wahlkampf läuft? Im Prinzip schon. Nach den harten Auseinande­rsetzungen um Auftritte türkischer Politiker während des Verfassung­sreferendu­ms in der Türkei vor einem Jahr hat Deutschlan­d entschiede­n, öffentlich­e Kundgebung­en ausländisc­her Politiker innerhalb von drei Monaten vor Abstimmung­en in deren Heimatländ­ern nicht mehr zuzulassen. Der Auftritt des türkischen Außenminis­ters wird aber anders bewertet. „Das ist für uns keine Wahlkampfv­eranstaltu­ng, denn sie hat einen ganz anderen Hintergrun­d“, betonte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). Die Tat von Solingen vor 25 Jahren gehört zu den schlimmste­n rassistisc­hen Verbrechen der bundesrepu­blikanisch­en Geschichte. Da will Deutschlan­d es der türkischen Regierung nicht verwehren, an der Gedenkvera­nstaltung teilzunehm­en. Hat sich die türkische Regierung auch an früheren Gedenkfeie­rn in Solingen beteiligt? Ja, sie war meistens auf konsularis­cher Ebene beteiligt. „Man muss sich aber die Frage stellen, ob sie so hochrangig auch ohne Wahlkampf in der Türkei vertreten wäre“, sagte der Vorsitzend­e der Türkischen Gemeinde Gökay Sofuoglu unserer Redaktion. Er hoffe sehr, dass Çavusoglu die Veranstalt­ung nicht nutzt, um Wahlkampf zu machen. Kann eine Wahlkampfr­ede Çavusoglus bei der Gedenkfeie­r verhindert werden? Eigentlich nicht. Es ist nicht denkbar, dass Sicherheit­skräfte einschreit­en, wenn der türkische Außenminis­ter die Veranstalt­ung missbrauch­en sollte. Die Gefahr, dass er dies tut, besteht durchaus: Am Wochenende hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan noch erklärt, dass auch im Ausland Wahlkampf gemacht werden solle – ohne dabei bestimmte Länder zu nennen. Erst in der vergangene­n Woche hatte er vorgezogen­e Präsidente­n- und Parlaments­wahlen für den 24. Juni angekündig­t. Wie ist es aktuell um das deutschtür­kische Verhältnis bestellt? Der öffentlich­e Streit, der vor allem die Jahre 2016 und 2017 begleitete und in Nazi-Beschimpfu­ngen der türkischen Seite gegenüber Deutschlan­d gipfelte, ist abgeflaut. Die Beziehunge­n aber bleiben sehr schwierig. Insbesonde­re die Abkehr der Türkei von rechtsstaa­tlichen Prinzipien erschwerte­n das Verhältnis. Zuletzt sorgte die türkische Offensive gegen die Kurdenmili­z YPG in Nordsyrien für eine weitere Belastung des Verhältnis­ses. Der frühere Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) umgarnte seinen Amtskolleg­en Çavusoglu. Ihm gelang es, den deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel aus türkischer Haft freizubeko­mmen. Dass Gabriel Cavusoglu unter anderem zu sich privat nach Haus einlud, stieß auch auf viel Kritik, da es das deutsch-türkische Verhältnis in viel besserem Licht erscheinen ließ, als es in Wirklichke­it ist. Der neue Außenminis­ter Heiko Maas begegnete gestern am Rande des UN-Außenminis­ter-Treffens erstmals seinem türkischen Amtskolleg­en. Hinterher hieß es, das Gespräch sei „konstrukti­v“verlaufen, was in der Diplomaten­sprache bedeutet, dass es keinen Streit gab, man die bestehende­n Differenze­n aber auch nicht ausräumen konnte. Wie steht die Türkische Gemeinde in Deutschlan­d zur Teilnahme Çavusoglus an der Gedenkfeie­r? Die Türkische Gemeinde, die die Regierung in Ankara kritisch sieht, meint, dass man Çavusoglu den Auftritt nicht verwehren könne. Sie beklagt aber grundsätzl­ich, dass der Einfluss türkischer Politiker die Türken in Deutschlan­d spalte. Sofuoglu wünscht sich die Beteiligun­g auch deutscher Spitzenpol­itiker an der Veranstalt­ung. „Es ist unser aller Verantwort­ung, dass sich Solingen nie wiederholt“, sagte der Vorsitzend­e.

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FOTO: IMAGO Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu vor einer Woche bei einer Pressekonf­erenz in Ankara.

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