Rheinische Post Krefeld Kempen

Angeklagte Mutter: „Erinnere mich nicht“

- VON SONJA STEMES

Eine 24-Jährige muss sich wegen Totschlags vor Gericht verantwort­en. Sie soll ihren Säugling getötet haben. Sie sagte aus, sie könne sich nicht daran erinnern, was nach der Geburt geschah. Erst im Krankenhau­s sei sie wach geworden.

GREFRATH Am Krefelder Landgerich­t wurde gestern die Verhandlun­g gegen eine 24-Jährige fortgesetz­t, der Tatvorwurf lautete Totschlag. Die Beschuldig­te soll im 12. Oktober vergangene­n Jahres in ihrem Zimmer der elterliche­n Wohnung einen männlichen Säugling geboren haben. Unmittelba­r nach der Geburt habe die junge Frau ein T-Shirt um den Hals des Neugeboren­en gewickelt, dieses zusammenge­zogen und das Baby anschließe­nd unter ihrem Bett versteckt. Dabei musste sie, laut Anklagesch­rift, davon ausgehen, dass der Säugling wegen ihrer Handlungsw­eise ersticken könnte. So geschah es auch.

„Ich habe das mit der Schwangers­chaft schon irgendwie mitbekomme­n, aber so getan, als wäre nichts“, erklärte die Beschuldig­te gestern bei der Befragung. Sie hätte sich einfach keine Gedanken darüber gemacht, ihren Zustand komplett verdrängt. Sie könne nicht sagen, was sie über „das Ganze“gedacht habe. Sich jemandem anzuvertra­uen, ihm oder ihr von der Schwangers­chaft zu erzählen, wäre für die junge Frau ebenfalls nicht in Frage gekommen. Über die Geburt und generell über das, was auf sie zukomme, habe sie auch nicht nachgedach­t.

An den Tag vor der Niederkunf­t könne sie sich recht gut erinnern, ihr sei es nicht gut gegangen. Von dem Tag, als der Säugling dann zur Welt kam, „weiß ich gar nichts mehr“. Ihre Erinnerung setze erst wieder im Krankenhau­s ein: „Da bin ich aufgewacht.“

Ihr 55-jähriger Vater sagte im Zeugenstan­d aus, dass er von der Schwangers­chaft seiner Tochter nichts mitbekomme­n habe, „auch zum Schluss hin nicht“. Es wäre ihm wohl aufgefalle­n, dass sie zugenommen habe. Es sei ihm aber zu keinem Zeitpunkt in den Sinn gekommen, dass sie ein Baby erwarten könnte. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre es jedoch kein Problem für mich gewesen“, ergänzte er.

Am Tag der Geburt sei er zu Hause gewesen. Weil es seiner Tochter schlecht ging, habe er zuweilen nach ihr geschaut. Am Nachmittag habe sie dann so elend ausgesehen – „sie war so blass und redete nicht klar“– dass er sich entschied, einen Krankenwag­en zu rufen.

Zu ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder habe sie eine „sehr gute“Beziehung, erzählte die Angeklagte bei der gestrigen Befragung. In der Schule sei es anfangs nicht optimal gelaufen. Da sie unter Dyskalkuli­e leide, sei sie in Mathematik nicht mitgekomme­n. Die Gesamtschu­le habe sie schließlic­h nach der 10. Klasse mit dem Hauptschul­abschluss verlassen. „Später gelang es mir, die mittlere Reife zu erlangen“, ergänzte die 24-Jährige. Nach einem sozialen Jahr hätte sie schließlic­h eine Lehre zur Altenpfleg­erin begonnen, die momentan noch nicht abgeschlos­sen sei.

Als sie vier Jahre alt war, erkrankte ihr Vater schwer. Er sei jahrelang in Behandlung gewesen, und als die Grefrather­in neun oder zehn Jahre alt war, wäre er einmal vor ihren Augen in der Küche zusammenge­brochen. „Seitdem machte ich mir ständig Sorgen um ihn“, sagte die junge Frau. Probleme habe sie, auch um den Vater nicht zu belasten, „in sich hinein gefressen“.

Mit 21 Jahren sei sie von zu Hause ausgezogen und habe mit ihrem ersten richtigen Freund eine Wohnung geteilt. Die Beziehung sei aber nach nur einem Jahr gescheiter­t. Anschließe­nd sei sie wieder bei ihren Eltern eingezogen. Wenig später habe sie einen neuen Mann kennengele­rnt. Von dem sei sie dann, trotz Verhütung, schwanger geworden. Das habe sie aber erst gemerkt, als beide schon wieder getrennte Wege gingen.

Der Prozess wird am 9. Mai, um 9.15 Uhr fortgesetz­t.

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FOTO (ARCHIV): SAMLA Die Angeklagte gab vor Gericht an, sich keine Gedanken über ihre Schwangers­chaft gemacht zu haben.

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