Rheinische Post Krefeld Kempen

SERIE STOLPERSTE­INE FÜR ST. HUBERT (4) Keine Gnade für alte Menschen

- VON HANS KAISER FOTO: KREISARCHI­V

Eva Falk war 83 Jahre alt, als sie aus St. Hubert in die Vernichtun­g gebracht wurde; sie starb in der Gaskammer von Treblinka. Dort wurde auch die 76-jährige Eva Lambertz ermordet.

ST. HUBERT Eva Lambertz wurde am 6. Mai 1866 als Tochter des St. Huberter Metzgers Salomon Lambertz geboren. Sie blieb unverheira­tet und zog nach Krefeld, wo sie an der Lindenstra­ße 21 ein kleines Fleischwar­engeschäft betrieb. Im Mai 1922 kehrte sie in den Geburtsort zurück, lebte dort in dem großen Haus ihres Bruders Isidor Lambertz, Hauptstraß­e 41.

Acht Jahre nach der nationalso­zialistisc­hen Machtergre­ifung setzt die Deportatio­n jüdischer Menschen ein. Am 10. Dezember 1941 werden aus Kempen und St. Hubert zwölf Juden im Alter von sieben bis 63 Jahren in das Ghetto der lettischen Hauptstadt Riga deportiert, darunter auch Eva Lambertz’ Bruder Isidor und seine Frau Mathilde. Eva selbst wird gezwungen, nach Kempen umzuziehen: Zu den Schwestern Berta (80) und Karoline (77) Berghoff, Engerstraß­e 38. Denn die nächste Deportatio­n ist bereits geplant, und zu ihrer Vorbereitu­ng werden die vor Ort verblieben­en Juden nun in so genannten Judenhäuse­rn konzentrie­rt. Aber immer wieder sucht Eva das vertraute, wenn auch leer stehende St. Huberter Haus auf. Dort hält sie sich auf, wann immer es möglich ist .

Am 22. Mai 1942 weist die Geheime Staatspoli­zei, kurz Gestapo ge- nannt, den Kempener Landrat Jakob Odenthal an, die noch in Kempen und St. Hubert lebenden Juden zu melden. Am frühen Morgen des 24. Juli 1942 werden Eva Lambertz und 16 andere Juden aus ihren Häusern abgeholt und von der Kempener Polizei mit einem Lastwagen zum Bahnhof der Industrieb­ahn gebracht, der Vorgängeri­n des heutigen Ausflugszu­ges „Schluff“. Von Krefeld aus geht die Fahrt weiter nach Düsseldorf. Von dort transporti­ert einen Tag später ein Zug 91 Juden aus dem Landkreis KempenKref­eld in das Ghetto von Theresiens­tadt in Nordböhmen. Die meisten sind über 70 Jahre alt.

Die 76-jährige Eva Lambertz aus St. Hubert wird am 21. September 1942 vom tschechisc­hen Theresiens­tadt in das KZ Treblinka bei Warschau deportiert. Mit demselben Zug fahren die Eheleute Johanna (Anna) und Isidor Hirsch aus Kempen mit. In Treblinka sind sie alle ermordet worden.

Aus St. Hubert nach Theresiens­tadt gebracht wurde auch Eva Falk. Sie kam am 7. Januar 1859 in Gey im Hürtgenwal­d bei Düren zur Welt, als Tochter des Metzgers und Handelsman­ns Salomon Meyer. 1887 heiratete sie den Krefelder Viehhändle­r Lazarus Falk und wohnte mit ihm in Krefeld, Corneliuss­traße 43. Am 22. März 1941 starb Eva Falks Mann, 89 Jahre alt. Alt und verwitwet, konnte sie sich nicht mehr selbst versorgen. In Krefeld fand sie aber kein Heim, das sie als Jüdin aufgenomme­n hätte. Schließlic­h gelang es der Jüdischen Gemeinde Krefeld, ihr einen Pflegeplat­z im St. Huberter St. Antonius-Hospital zu beschaffen.

Das St. Huberter Hospital – es existierte bis 1964 – nahm die Jüdin Eva Falk auf, weil es eine katholisch­e Einrichtun­g war und von katholisch­en Ordensfrau­en, den Klemens-Schwestern, betrieben wurde. In diesem Haus gab es auch ein Altersheim. Hier wurde Eva Falk am 21. Juni 1941 auf Kosten der Jüdischen Gemeinde Krefeld untergebra­cht.

Am frühen Morgen des 24. Juli 1942 wird Eva Falk aus St. Hubert nach Kempen gebracht und von dort mit 16 anderen Juden per Eisenbahn weiter zum Schlachtho­f Düsseldorf-Derendorf. Dort verbringt die alte Frau mit den anderen Deportiert­en die Nacht und fährt am nächsten Tag in das so genannte Altersghet­to Theresiens­tadt. Von den 1013 Menschen, die mit diesem Zug deportiert werden, werden nur 61 überleben. In Kempen und St. Hubert ist allgemein bekannt, dass die noch verblieben­en älteren Juden nach Theresiens­tadt „evakuiert“worden sind, wie man die Deportatio­n damals beschönige­nd nennt. Ein Jahr später sind so viele Informatio­nen durchgesic­kert, dass man hinter vorgehalte­ner Hand von der „Vernichtun­g der Juden“sprechen wird. Das oft vorgebrach­te Argument „Wir haben von nichts gewusst“ist in fast allen Fällen Heuchelei.

Theresiens­tadt ist ein Durchgangs­lager in die Vernichtun­gs-KZ im Osten. Im Frühherbst 1942 setzen die großen Transporte in die Todeslager ein. Am 29. September 1942 wird Eva Falk in das KZ Treblinka im Distrikt Warschau gebracht. Hier wird die 83-Jährige in der Gaskammer ermordet.

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Das Antonius-Hospital an der Aldekerker Straße in St. Hubert gewährte der hilflosen Eva Falk Unterschlu­pf.

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