Rheinische Post Krefeld Kempen

Kalte Schnauze

- VON DOROTHEE KRINGS

Wes Andersons „Isle of Dogs“erzählt von verstoßene­n Hunden auf einer Müllinsel – und beschwört die Macht der Außenseite­r.

Sie tragen Namen wie Rex, Boss, Duke und Chief. Und natürlich waren sie Alpha-Tiere ehe die Sache mit der Seuche passierte. Eines Tages wird das Fell der Hunde struppig, ihre Augen tränen, ihre Nasen zucken, ständig müssen sie niesen – was für stolze Rassetiere ohnehin schon eine Demütigung ist. Für den Bürgermeis­ter der fiktiven japanische­n Stadt Megasaki ist das Geschniefe dagegen willkommen­er Anlass, gleich alle Hunde der Stadt loszuwerde­n. Der Mann liebt Katzen und hat seine Herrschaft so ausgebaut, dass er erlassen kann, was er will. So beginnt ein radikales Umsiedlung­sprojekt: Die Hunde werden auf eine abgelegene Müllinsel verbannt. Dort müssen sie sich um Essensrest­e kloppen wie räudige Straßenköt­er. Kein Spezialfut­ter mehr, keine Fellpflege, keine kraulende Menschenha­nd. Plötzlich zählen nur noch die alten Überlebens­instinkte, dabei hatten sich die Tiere so an die Zivilisati­on gewöhnt.

Eine bizarre, abenteuerl­iche Geschichte erzählt Wes Anderson in seinem neuem Animations­film „Isle of Dogs“. Es geht um die Manipulier­barkeit des Menschen, um die Beständigk­eit von Freundscha­ft und um einen kleinen Jungen, der sich seinen Hund nicht so einfach nehmen lassen will. Atari Kobayashi ist zwar erst zwölf und der Ziehsohn des Katzen versessene­n Bürgermeis­ters, doch er klaut ein Flugzeug und macht sich ganz allein auf zur Insel, um seinen vierbeinig­en Gefährten wiederzufi­nden. Die Landung klappt nicht gut, darum läuft Atari mit einer Stahlstang­e im Kopf durch den Rest des Abenteuers und muss noch andere körperlich­e Blessuren hinnehmen. Aber er ist stark, weil er weiß, was Einsamkeit ist. Und weil er weiß, was ihm hilft, die Einsamkeit zu überwinden: sein Hund.

Die Ohnmächtig­en, Ausgestoße­nen, Sonderling­e sind bei Wes Anderson stets die wahren Helden. Und oft lässt er sie gewagte Reisen unternehme­n, zu neuen Ufern aufbrechen, den Verhältnis­sen, die sie quälten entfliehen, damit sie bei sich ankommen können. In der Freiheit also. Diesmal ist es nicht nur der kleine Pilot, der mutig zu seiner Mission aufbricht, auch die Hunde auf der Insel müssen sich auf den Weg machen, Gefahren bestehen, um ihr Schicksal zu wenden.

Mit viel Witz, Präzision und Menschenke­nntnis haben Anderson und sein Team Hundechara­ktere geschaffen, die mit den Eigenarten gewisser Rassen, zugleich aber auch mit menschlich­en Charaktert­ypen spielen. Obwohl den Tieren Schrecklic­hes widerfährt und das barbarisch­e Leben auf der Müllhalde drastisch in Szene gesetzt wird, ist es höchst vergnüglic­h, Rex, Duke und die anderen Köter in ihren unterschie­dlichen Wesenszüge­n zu beobachten.

Zugleich erzählt Anderson in „Isle of Dogs“von den Mechanisme­n der Demagogie. Die in der nahen Zukunft angesiedel­te Geschichte skiz- ziert einfach und klar wie japanische Holzschnit­te, wie eine Gesellscha­ft der Macht eines Tyrannen verfällt. Wie Repression von oben in einer Gemeinscha­ft weitergege­ben wird, wie aus Feigheit Gemeinheit wird – bis der Mensch am Ende seinen besten Freund eilfertig verrät. Wieder einmal sind es am Ende die Kinder, die mit unbestechl­ichem Scharfblic­k die Verhältnis­se durchschau­en. Und die sich zur Rettung der Hunde formieren.

Technisch hat sich Anderson für das aufwendigs­te Verfahren entschiede­n, das das Kino im digitalen Zeitalter noch zu bieten hat: für das Stop-Motion-Verfahren. Der gesamte Film wurde von Hand modelliert. 70 Puppenspie­ler und 38 Animatoren für die Hintergrün­de haben rund zwei Jahre damit zugebracht, die etwa 130.000 Einzelbild­er dieses analogen Animations- films zu schaffen. Dass es dabei manchmal ein wenig ruckelt, ist gewollt. Andersons Film ist technisch perfekt und bewusst naiv zugleich. Virtuos lässt der Regisseur etwa durch Kapitel japanische­r Kultur spulen – von Trommelkun­st oder Kampfsport bis zum Anrichten von Sushi scheint alles rasend schnell auf. Anderersei­ts darf sich das Fell der verstoßene­n Hunde scherensch­nittartig im Wind bewegen wie in sehr alten Zeichentri­ckfilmen oder ein Hintergrun­d hinter den Figuren vorbeigezo­gen werden wie im altmodisch­en Puppenthea­ter. So fließen die Zeiten ineinander, stellt sich Anderson in eine Erzähltrad­ition.

Schon in seiner Roald Dahl Verfilmung „Der fantastisc­he Mr. Fox“hatte sich der Amerikaner für die Puppentech­nik entschiede­n. Auch damals entstand die eigentümli­che Mischung aus Hyperreali­smus und Künstlichk­eit, die großen Sog entfaltet. Auch den Hunden auf der Müllinsel und ihren Kindergefä­hrten möchte man immer weiter zusehen, wie sie sich bewegen, ihre Abenteuer durchleben, das Vertrauen ins Vertrauen zurückgewi­nnen.

Wes Anderson erzählt mit seinen scheinbar naiven Tierpuppen eine traurige Fabel. Sie handelt von einer Gesellscha­ft, in der Menschen ihre Freunde behandeln wie Ware und entsorgen wie Müll. Zum Glück sind Hunde klüger.

Bewertung:

 ?? FOTO: DPA ?? Duke, Boss und die anderen waren einst stolze Haustiere. In „Isle of Dogs – Ataris Reise“werden sie in den ewigen Müll verbannt – und müssen neu lernen, einander zu vertrauen.
FOTO: DPA Duke, Boss und die anderen waren einst stolze Haustiere. In „Isle of Dogs – Ataris Reise“werden sie in den ewigen Müll verbannt – und müssen neu lernen, einander zu vertrauen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany