Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Mär vom unpolitisc­hen Sport

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Ilkay Gündogan wird gemeinhin als ein Fußballer mit außergewöh­nlichem intellektu­ellen Tiefgang beschriebe­n. Dieser Gündogan, 27 Jahre alt, wird vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan fünf Wochen vor der türkischen Parlaments- und Präsidents­chaftswahl gemeinsam mit Mesut Özil und weiteren Spielern zu einer Audienz geladen. Ein deutscher Nationalsp­ieler mit türkischen Wurzeln lässt sich also mit einem Politiker fotografie­ren, der es nach allgemeine­r Ansicht mit der Demokratie nicht so genau nimmt und der seine Kritiker auch schon mal monatelang ohne Anklage einsperrt. Einer, der nicht zuletzt aus Deutschlan­d als Despot harsch kritisiert wird.

Also passiert, was zu erwarten war: breite Empörung hierzuland­e. Entsetzen über das Verhalten der beiden Fußballpro­fis. Und es passiert noch etwas Zweites, das ebenso erwartbar war: Statt eines klaren Bekenntnis­ses oder einer Rechtferti­gung wird das Armutszeug­nis mit einer wohl von Marketinge­xperten glattgesch­liffenen Erklärung auf den Punkt gebracht. „Es war nicht unsere Absicht, mit diesem Bild ein politische­s Statement abzugeben, geschweige denn Wahlkampf zu machen“, bekundet Gündogan. Und: „Fußball ist unser Leben und nicht die Politik.“

Es gehört zu den großen Märchen unserer Zeit, dass sich der Sport den Anstrich verordnet hat, nicht politisch zu sein. Das ist natürlich weltfremd auf ganz vielen Ebenen. Sport ist selten nur ein Wettkampf oder ein Spiel. Im Sport geht es um knallharte Interessen, im Kleinen wie im Großen. Der Sport bietet eine verlockend gigantisch­e Bühne zur Inszenieru­ng. Alle wollen sich im Glanz eines Siegers sonnen oder zumindest den Unterlegen­en öffentlich­keitswirks­am aufmuntern. Sport ist ein Statussymb­ol für die Mächtigen – der Medaillens­piegel bei Olympische­n Spielen ist auch Ausdruck der Leistungsf­ähigkeit einer Gesellscha­ft. Deshalb wird getrickst und geschummel­t bis weit über die Grenzen des Erträglich­en hinaus. Das alles ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern gelebte Praxis seit jeher.

Der Sport indes windet sich um klare Positionie­rungen herum. Weil man es sich mit möglichst Wenigen verscherze­n möchte, legt man sich auf möglichst wenig fest. Wenn man Sportler und Funktionär­e nach einer politische­n Haltung fragt, dann kommt oft der Satz, aus diesen Themen halte man sich lieber heraus. Ganz oft heißt es, der Sport sei schließlic­h unpolitisc­h. Er ist es jedenfalls so lange, wie es ihm nicht unmittelba­r nutzt. Denn wenn ein neues Stadion gebaut werden soll, ruft ein Verein nur allzu gerne in der politische­n Debatte in Erinnerung, welch große gesellscha­ftliche Bedeutung er hat. Weil er es dann doch für mehr als angebracht hält, staatliche Unterstütz­ung zu bekommen.

Und die Politik ist gerne bereit, den Doppelpass mit dem Sport zu spielen. In Nordrhein-Westfalen hat Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) das Projekt „Sportland Nummer eins“ausgerufen, neben der Modernisie­rung Hunderter maroder Trainingsp­lätze träumt der Landesvate­r von Olympische­n Spielen an Rhein und Ruhr im Jahr 2032. Dadurch, erklärt Laschet, könnte vieles beschleuni­gt werden: Autobahnau­sbau, Digitalisi­erung, Modernisie­rung. Plötzlich gibt es eine Vision, und das Geld für sportliche Ziele ist plötzlich ausreichen­d vorhanden.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) war nach dem Bekanntwer­den des Treffens zwischen seinen Nationalsp­ielern Gündogan und Özil mit Erdogan in höchster Alarmstimm­ung. Verbandspr­äsident Reinhard Grindel, zuvor 14 Jahre für die CDU Mitglied des Bundestage­s, war eifrig darum bemüht, das Thema irgendwie einzufange­n. „Der DFB respektier­t und achtet selbstvers­tändlich die besondere Situation unse- rer Spieler mit Migrations­hintergrun­d. Aber der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichen­d beachtet werden“, twitterte Grindel. Die Profis hätten sich für ein Wahlkampfm­anöver „missbrauch­en lassen“.

Grindel selbst hat dabei wenig Berührungs­ängste mit politische­n Systemen, die nicht gerade als weltoffen bezeichnet werden können. Die Weltmeiste­rschaft in Russland ist aus seiner Sicht okay, weil man sich ja schließlic­h nicht dem Dialog verschließ­en könne. Wladimir Putin gilt nicht gerade als Sinnbild politische­r Integrität, Boykott sei aber ja auch keine Lösung. Ähnlich verhält es sich mit China, wo der DFB sich gute Geschäfte ausrechnet und deshalb nicht ganz so intensiv auf die Einhaltung von Menschenre­chten pocht. Oder Katar, wo die nächste Weltmeiste­rschaft stattfinde­n soll und wo im Gegensatz zu Franz Beckenbaue­r schon viele kritische Beobachter Sklaven auf den Baustellen entdeckt haben. Die Türkei ist für den DFB in vielerlei Hinsicht ein politisch heikles Thema. Die Türkei konkurrier­t mit Deutschlan­d um die Austragung der Europameis­terschaft 2024. Und dann wäre da auch noch der Kampf um Talente – der DFB ist naturgemäß darum bemüht, möglichst viele Spieler für die eigene Auswahl auszubilde­n und nicht in die Heimatländ­er der Eltern oder Großeltern abwandern zu lassen.

„Sport ist die wahrschein­lich größte Kommunikat­ionsplattf­orm der Welt“, wird Thomas Bach, Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), nicht müde zu betonen. Mehr als 100 Jahre vorher hatte das auch schon der irische Weitspring­er Peter O’Connor verstanden. Bei den „Olympische­n Zwischensp­ielen“1906 in Athen hatte er die Silbermeda­ille gewonnen, dem Sieger stahl er aber dennoch die Aufmerksam­keit: Der Ire weigerte sich, dass für ihn die britische Flagge gehisst wurde. Er kletterte auf den Fahnenmast, schwenkte die grüne Fahne für sein Heimatland und demonstrie­rte damit für die Unabhängig­keit seines Geburtslan­des Irland.

Der Medaillens­piegel

bei Olympische­n Spielen ist Ausdruck der Leistungsf­ähigkeit einer

Gesellscha­ft

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