Rheinische Post Krefeld Kempen
Kleriker gewinnt Wahl im Irak
Früher bekämpfte Muktada al Sadr mit seiner Miliz US-Truppen. Nun steht er an der
Spitze einer Reformbewegung. Premierminister wird er aber trotzdem nicht.
ihn für die vielen Toten verantwortlich machte, die die amerikanische Invasion mit sich brachte. „Ich habe über die Missstände im Land als Journalist berichtet, nun will ich sie als Politiker bekämpfen“, begründete der Parlamentskandidat seinen Wunsch nach politischer Gestaltung. Die Bekämpfung der Korruption steht dabei ganz oben auf der Agenda. Nach dem Sieg über den IS war dies ohnehin das vorherrschen- de Thema des gesamten Wahlkampfes. Nahezu jede Partei, Gruppe oder Allianz hat sich den Kampf gegen Schmiergeld, Bestechung und „Red Tape“auf ihre Fahnen geschrieben. Vor zwei Monaten kam Zaidi nach acht Jahren Exil im Libanon zurück, um mit Muktada al Sadr und seinem Sairun-Bündnis in den Wahlkampf zu ziehen. „Muktada hat sich von Grund auf erneuert“, sagt al Zaidi zu dem Einwand, dass Sadrs drei Minister in der Regierung ebenfalls der Korruption bezichtigt wurden. Er habe sich von ihnen getrennt und sie zum Rückzug bewogen, habe seine bisherige Partei komplett aufgelöst und nur neue Leute aufgestellt. „Zumeist junge Leute wie mich.“Ein wenig erinnert die Vorgehensweise an Emmanuel Macron in Frankreich, der die alten Strukturen auf den Kopf stellte und eine neue Bewegung ins Leben rief. „Sairun“heißt übersetzt „vorwärts“, genau wie Macrons Bewegung „En Marche“
Al Sadr ist derzeit der wohl schillerndste Politiker des Irak. Mit dem Sieg bei der Parlamentswahl ist er am Höhepunkt seiner Macht angekommen. Er bestimmt, wer der nächste Premierminister in Bagdad wird. Er selbst war nicht als Kandidat angetreten. Vor 15 Jahren war der 44-Jährige ein allseits gefürchte- ter Schiiten-Rebell, galt als zornig, radikal, gewalttätig und buchstäblich über Leichen gehend. Seine Anhänger zogen durch die Straßen von Bagdad, kidnappten und massakrierten Sunniten, säuberten ganze Stadtviertel und provozierten so eine Segregation in der Hauptstadt, die bis heute anhält. Der Ausbruch des drei Jahre dauernden Bürgerkriegs ging maßgeblich auf das Konto al Sadrs Miliz, in der bis zu 50.000 Schiiten engagiert waren. Sie bildeten Todesschwadronen und legten jeden um, der irgendwie mit dem Regime Saddam Husseins verbunden war. Muktada übte blutige Rache für die Ermordung seines Vaters Mohammed Sadiq al Sadr, ein hochgeachteter schiitischer Ajatollah, durch die Schergen Saddams.
Doch auch die Amerikaner blieben nicht von al Sadr verschont. Über 6000 Sprengsätze wollen seine Milizionäre gegen die GI’s gezündet haben. Als die US-Administration einen Haftbefehl gegen den „schiitischen Terroristen“ausstellte, flüchtete dieser in den Iran, um in Qom religiöse Studien zu betreiben, wie er offiziell aus seinem Büro verlauten ließ. Nach dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak, kehrte al Sadr 2012 wieder in den Irak zurück und verblüffte mit dem Besuch der sunnitischen Abdul Qader al Kilani-Moschee im Zentrum von Bagdad, wo er gemeinsam mit dem sunnitischen Imam betete. Das gemeinsame Gebet sollte die Aussöhnung der beiden Glaubensrichtungen symbolisieren und wurde zur Kulmination einer Serie verblüffender Wendungen al Sadrs. Seitdem verfolgt er die Einheit des Irak, stimmt nationale Töne an und kümmert sich um jene, die sonst keine Stimme haben. Man könnte ihn auch als Populisten bezeichnen, da er die Schwingungen in der Gesellschaft aufnimmt und sie politisch umsetzt. Doch das ist zu kurz gegriffen. Jedenfalls haben er und sein Bündnis zur Überraschung vieler jetzt die Wahl gewonnen.