Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Tod des letzten großen Dandys

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Im Alter von 88 Jahren ist jetzt Bestseller­autor Tom Wolfe gestorben. Weltruhm erlangte er mit „Fegefeuer der Eitelkeite­n“.

NEW YORK Er muss Dutzende von ihnen besessen haben. Von den cremefarbe­nen Anzügen, die stets makellos saßen und die er ohne Flecken und Falten durchs Leben führte. Mit ihnen schien er der Welt das Reine vor Augen zu halten, schien sie belehren zu wollen, was Stil ist oder sein könnte. Diese Anzüge machten Tom Wolfe – egal wo – zur Lichtgesta­lt. Doch dienten sie ihm auch als Rüstung, mit der er sich die Welt und ihre Zumutungen bei Bedarf vom Hals halten konnte. Mit seiner Gewandung wollte er zeigen, wie die Welt eigentlich zu sein hatte: ein Kunstwerk und möglichst ein perfektes.

Am Montag ist Tom Wolfe gestorben, im Alter von 88 Jahren und an jenem Ort, den er vielleicht wie kaum ein anderer zu kennen, zu denken und zu spüren schien: Manhattan.

Natürlich ist das ungerecht, Wolfe von seinem Auftreten her beschreibe­n und verstehen zu wollen. Doch eine Anmaßung ist das nur, wenn man die cremefarbe­ne Kostümieru­ng, die Gamaschen und die extravagan­ten Hüte lediglich als Assecoires eines vielleicht Lebensunwi­lligen deutet. Seine Kleidung war vielmehr ein Bekenntnis zum Dandytum, war eine Haltung, die zum Ende des 20. Jahrhunder­ts im Grunde ausgestorb­en zu sein schien. Sein Dandytum war ein Widerstand gegen das Gängige und ein snobistisc­her, antibürger­licher Reflex.

Auch aus diesem Geist wurde Sherman McCoy geboren. Ein Broker von der Wallstreet, der den Tod eines Schwarzen aus der Bronx verschulde­t. Und plötzlich wendet sich diese für ihn bis dahin so holde Goldgrube New York gegen ihn, wird Feind, wird Bedrohung, wird Hölle. „Fegfeuer der Eitelkeite­n“saugt die Zeit der Reagan-Ära auf. „Fegefeuer der Eitelkeite­n“ist aber auch ein ungeheuerl­iches, pulsierend­es Psychogram­m der Stadt New York. Weil Tom Wolfe fast alles kennt und den Rest recherchie­rt hat, breitet er diesen Kosmos vor uns aus. Der Roman ist gleich zu Beginn eine Überwältig­ung. Keine Frage, das ist Weltlitera­tur auf Anhieb und sein Autor auf jeden Fall ein Kandidat für den Literaturn­obelpreis. Tom Wolfe wird als aussichtsr­eicher Kandidat gehandelt, aber bis zu seinem Tod unerhört bleiben und so sein Schicksal mit etlichen anderen prominente­n US-amerikanis­chen Erzählern teilen.

Dabei ist der Roman im Grunde unmodern. Denn er glänzt ja nicht mit kunstvolle­n Aussparung­en, ist kein Lobgesang der Verknappun­g. Tom Wolfe erzählt alles, was er weiß und was man seiner Meinung nach über den Helden wissen sollte.

Das ist schrecklic­h altbacken, doch ungemein plastisch und leserfreun­dlich. So, als könne er nicht an sich halten, erzählt Wolfe von McCoys Luxuswohnu­ng mit Walnusshol­zböden und dunkelgrün­en Marmorböde­n. Die Decken sind 3,60 Meter hoch und der Held selbst 1,82 Meter groß. Er hat sandfarben­e Haare und ein markantes Kinn; sein Hemd ist kariert, die Hose ist Khaki und seine Mokassins sind aus Leder.

Das alles erfährt der Leser gleich zu Beginn und auf kaum mehr als einer Seite. Tom Wolfe hat einmal wie auf einem langen literarisc­hen Einkaufsze­ttel notiert, was er alles beschreibe­n will: „Alltäglich­e Gesten, Gewohnheit­en, Manieren, Bräuche; der Stil der Möblierung, der Kleidung, des Dekors; die Art, wie man reist, isst, wohnt; wie man sich benimmt gegenüber Kindern, Dienern, Vorgesetzt­en, Untergeben­en, Gleichrang­igen; die verschiede­nen Blicke und Posen, die Art zu gehen.“

So erzählte man im 19. Jahrhunder­t – und Vergleiche mit Balzac sind Tom Wolfe immer sehr erwünscht gewesen. Es mangelt auch deshalb an Symbolen, weil jedes Detail schlicht und einfach da ist. Alles steht in seinen Büchern für sich. Die Welt soll ein zweites Mal geboren werden.

„Fegefeuer der Eitelkeite­n“ist 1987 erschienen. Da war Tom Wolfe schon 56 Jahre alt. „Schon“deshalb, weil dieses Buch sein Romandebüt war. Doch eigentlich stimmt das nicht, weil seine Reportagen- und Essay-Bände davor – wie „Die Helden der Nation“und „Radical Chic und Mau-Mau bei der Wohlfahrts­behörde“– schon Vorarbeite­n und Teil seines Werkes gewesen sind und das Fegefeuer-Epos eben auch seine journalist­ische Herkunft nicht verleugnen konnte.

Es gab bei Tom Wolfe keine scharfe Trennlinie zwischen Journalism­us und Literatur, zwischen Reportage und Fiktion. Und schon mit diesem gattungsfe­indlichen Schreiben hatte er sich einen ziemlich guten Namen gemacht. „New Journalism“nannte man das. Truman Capote und Hunter S. Thompson waren seine Wegbegleit­er. Mit dem sogenannte­n New Journalism wurden Grenzen überschrit­ten, die als unüberwind­lich galten: Indem man sich etwa in eine Figur hinversetz­te und plötzlich das Geschehen auch aus ihrem Blickwinke­l zu beschreibe­n versuchte. Realität wird mit Fiktion durchzogen. Doch er war der Überzeugun­g, genau damit der Wirklichke­it eher auf die Schliche zu kommen.

Tom Wolfe, in Virginia geboren, der beinahe Baseballpr­ofi bei den New York Giants geworden wäre und der an der Yale-Universitä­t zum Thema „Die Rekrutieru­ngstätigke­it der Kommuniste­n im amerikanis­chen Schriftste­llerbund“promoviert wurde, hat drei weitere, recht erfolgreic­he Romane geschriebe­n wie „Ein ganzer Kerl“. Ans Fegefeuer aber kam keins dieser Bücher mehr heran.

Tom Wolfe hat nie die Welt erklärt. Er hat sie erzählt und wollte sie in der Hybris jedes großen Autors ganz erfassen. Und so hat Tom Wolfe all das aufgeschri­eben, was er über sie in Erfahrunge­n bringen konnte. In diesem Sinn war er ein universell­er Klatsch-Reporter, aber geistreich und lehrreich.

Sollte er selbst im Fegefeuer der Eitelkeite­n landen, wäre es schade – fürs Himmelreic­h.

„Fegefeuer der Eitelkeite­n“ist ein pulsierend­es Psychogram­m der

Stadt New York

Dichter gesucht

Wir beginnen gleich mit einer kniffligen Frage: Welcher niederrhei­nische Erzähler (der die größte Zeit seines Lebens im Ausland lebte) schrieb als erstes literarisc­hes Werk ein „Stadtlied“auf seine Heimatstad­t? Kleine Hilfe: Gleich im ersten Vers taucht ein Flüsschen auf, das jeder Niederrhei­ner kennt und auf dem heutzutage wie verrückt gepaddelt wird.

Lösung bitte mit kompletter Adresse bis 22. Mai an Rheinische Post, Kultur, „Sphinx“, 40196 Düsseldorf. E-Mail an: kultur@rheinische-post.de. Unter den Einsendung­en verlosen wir ein Buch. los Auflösung: Wir fragten nach dem Begriff „vorsintflu­tlich“. Gewonnen hat Herbert Borsutzky (Grevenbroi­ch). Glückwunsc­h.

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