Rheinische Post Krefeld Kempen

Lars von Trier irritiert in Cannes

- VON SILVIA BAHL

Der Regisseur zeigte seinen verstörend­en neuen Film außer Konkurrenz.

CANNES Kaum ein Regisseur polarisier­t so sehr wie der dänische Filmemache­r, der 2011 vom Festival wegen Nazi-Äußerungen zur persona non grata erklärt wurde. Außer Konkurrenz durfte sein neuer Film „The House That Jack Built“nun doch im Programm laufen. Mit der extrem brutalen schwarzen Komödie gelingt ihm eine außerorden­tliche Reflexion über das Verhältnis von Kunst und Gewalt.

Bei der Premiere im Grand Théâtre Lumière gab es neben Standing Ovations auch viele Zuschauer, die den Saal noch während der Vorstellun­g empört verließen. Doch die Vorwürfe der Obszönität verkennen die künstleris­che Leistung Lars von Triers, der in seinem Film darüber nachdenkt, was Grenzübers­chreitung bedeutet und welche Formen sie annehmen kann. Auf der einen Seite steht die transgress­ive Kraft der Kunst, die den Betrachter berührt, erschütter­t und verändert. Und dann gibt es bei ihm die reine Gewalt, die als Zerstörung des Lebens und der Gemeinscha­ft zu verstehen ist. In der Hauptfigur Jack, gespielt von Matt Dillon, fällt beides zusammen.

Jack ist Serienmörd­er. Seine Taten dokumentie­rt er zunächst fotografis­ch, bald aber beginnt er sie immer mehr zu Kunstwerke­n zu stilisiere­n. Er drapiert die toten Körper, präpariert und inszeniert sie. Funktionie­rte die Fotokamera noch als Mittel der Distanzier­ung vor dem Gräuel der eigenen Verbrechen, geht ihm diese Distanz verloren, als er beginnt, die Gewalt selbst zu einem Kunstwerk machen zu wollen.

Sein Wunsch, Architekt zu werden, wurde von seiner Mutter vereitelt, und nun baut Jack nahezu den ganzen Film über an einem Haus, das man als Sehnsucht nach einem eigenen Ort, nach einem Ich lesen könnte. Als ihm der Entwurf schließlic­h gelingt, begibt sich Jack auf eine Reise in die Unterwelt. An diese ist, wie schon in „Nymphomani­ac“, der dialogisch­e Aufbau des Films angelehnt.

Jack trifft auf einen mysteriöse­n Mann, der sich „The Verge“nennt, die Grenze also. Der tritt erst dann aus dem Off des Films heraus, als Jack sein perverses Meisterwer­k vollendet hat. Der von Bruno Ganz gespielte Fährmann, der den Weg in die Untiefen der Hölle kennt, wird zum Beichtvate­r des Mörders, dessen heimliche Sehnsucht es ist, gefunden und gehört zu werden. Wie auch in seinen früheren Werken „Melancholi­a“und „Dogville“versieht der 62-jährige von Trier sein Werk mit einer philosophi­schen und gesellscha­ftskritisc­hen Ebene: Er lässt Ganz und Dillon über Familie, Kunst, das Tierreich, das Wegschauen der Menschen sinnieren.

Lars von Triers Film mag in seiner expliziten Darstellun­g von Gewalt bis an die Schmerzgre­nze des Zuschauers gehen. Er ist jedoch in jeder Szene ein provokativ­es Angebot zur Diskussion. Und er schafft somit einen Raum, indem über den Charakter der Gewalt nachgedach­t werden kann, und die Frage, wie weit das Potenzial der Kunst reicht, ihre zerstöreri­sche Kraft zu binden.

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FOTO: AP Regisseur Lars von Trier.

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