Rheinische Post Krefeld Kempen

Auf dem Elberadweg durch Tschechien

- VON MICHAEL JUHRAN

Der Elberadweg ist schon lange Deutschlan­ds beliebtest­er Radfernweg. Lohnenswer­t ist aber auch das tschechisc­he Teilstück der Route.

KUKS (dpa) Das Grün der Elbauen, barocke Stadtarchi­tektur, die Basaltfels­en des Böhmischen Mittelgebi­rges: Der tschechisc­he Teil des beliebten Elberadweg­s verspricht viele Höhepunkte. Leider regnet es am Anfang der Tour in Strömen. Tourguide Sven Czastka schlägt deshalb vor, den ersten Abschnitt der Mehrtagesr­oute von der Elbquelle bei Spindlermü­hle im Riesengebi­rge bis nach Kuks zu überspring­en. „Es kann ja wohl nicht fünf Tage am Stück regnen“, sagt er.

Zumindest in Kuks bleibt das Wetter aber schlecht. Bevor die ersten Kilometer auf dem Elberadweg gemacht sind, geht es also erst einmal in das barocke Kloster, das einst ein Hospital für bedürftige Männer war und aufwendig renoviert wurde. Zu sehen gibt es Wandgemäld­e und Skulpturen aus dem 17. Jahr-

Inzwischen sind 167 von 370 Kilometern in Tschechien als fester Radweg

ausgebaut

hundert. In den Wandelgäng­en und in der Dreifaltig­keitskirch­e versinnbil­dlichten Maler und Steinmetze in ihren Kunstwerke­n die menschlich­en Tugenden und Laster. Damit sollten damals die Mönche und Verwundete aus den Türkenkrie­gen dazu angehalten werden, sich ihrem Schicksal zu fügen.

Demut ist auch auf dem Elberadweg gefragt: Dicke Tropfen prasseln auf den Asphalt. Nach 38 Kilometern sind die Finger in Hradec Kralove klamm. Glückliche­rweise hat Jiri Stejskal in dem Ort vor sechs Jahren seine Chocolater­ie „Jordi’s chocolate“eröffnet. Er begrüßt durchnässt­e Radler mit Chili-Schokolade und Rum, der den Körper wärmt. Radfahrer kommen besonders wegen der leckeren selbstgerö­steten Kakaobohne­n zu Jiri – ein guter Bikersnack. Die letzten Kilometer bis Pardubice lassen sich mit dem Zug abkürzen. Dort warten Gulasch mit Knödeln und ein Bier. Auch nicht verkehrt.

Die Idee für den tschechisc­hen Teil des Elberadweg­s wurde 2008 bei einer Konferenz in Prag ins Leben gerufen, man arbeitete eng mit deutschen Partnern zusammen. 2012 erschien ein erstes gemeinsame­s Handbuch zum Elberadweg. Inzwischen sind 167 von 370 Kilometern in Tschechien als fester Radweg ausgebaut.

Am nächsten Morgen ist der Himmel zwar noch grau, aber er hat seine Schleusen geschlosse­n. Zeit für einen Abstecher zur Pferderenn­bahn von Pardubice. Dort tragen gerade Einspänner mit sportliche­n Kutschen einen Wettkampf aus. Einige Kilometer weiter führt die Route am Nationalge­stüt von Kladruby vorbei. Mit wehenden Mähnen tollen leichtfüßi­ge Altkladrub­er auf den sattgrünen Koppeln – eine der ältesten europäisch­en Pferderass­en, die wegen ihres ausgeglich­enen Charakters gerne bei Zeremonien an Königshöfe­n eingesetzt werden.

Weiter geht es jedoch im Sattel des Elektro-Fahrrads. Das Tagesziel ist Kutna Hora. Die Stadt liegt etwas abseits der Elbe, aber der Umweg lohnt sich. Silber machte Kutna Hora Ende des 13. Jahrhunder­ts zu einer der reichsten Städte Böhmens. Heute gehört die Altstadt zum Welterbe der Unesco, und der Dom der heiligen Barbara versetzt Besucher mit seiner Architektu­r ins Staunen. Stolz aufragende Kirchen, sorgsam renovierte Barockgebä­ude, der Welsche Hof als einstige Münzpräges­tätte, die Reste der imposanten Burganlage und ein beeindruck­endes Jesuitenko­lleg machen aus der Stadt ein pittoreske­s Freilichtm­useum. Hier kommt endlich auch die Sonne heraus und setzt die Fassaden kunstvoll vor einem dunklen Himmel in Szene.

Befremdlic­h wird es am folgenden Morgen im Beinhaus im Stadtteil Sedlec. Knochen und Schädel von rund 40.000 Menschen verarbeite­ten Holzschnit­zer in der Allerheili­gen-Friedhofsk­irche zu Leuchtern und Wappen – ein durchaus grausiger Ort.

Auf dem Weg über Brandys nad Labem nach Melnik geht es in Stara Boleslav an der Basilika vorbei, an deren Pforte einst der tschechisc­he Nationalhe­ilige Wenzel von seinem Bruder ermordet worden sein soll. Hinter Kostelec folgt ein steiniger, holpriger Weg. In den schmalen Fahrrinnen erweist sich das schwere und damit nicht sehr wendige EBike als unvorteilh­aft. Bald kann man auf die Landstraße ausweichen. Nach etwa 70 Kilometern ist Melnik erreicht, das eine schöne Innenstadt und einen tollen Blick auf den Zusammenfl­uss von Elbe und Moldau bietet.

Am nächsten Morgen vertreibt die Sonne den Elbe-Nebel schnell. Nächstes Ziel: die größte Ostereierg­alerie Tschechien­s in Libotenice mit unzähligen gewachsten, gebatikten, gekratzten und mit Stroh beklebten Eiern in allen Farben. An den kunsthandw­erklichen Meisterstü­cken hätte auch Fabergé seine Freude.

Weiter nach Terezin, bekannter unter dem einstigen deutschen Namen: Theresiens­tadt. Die Nationalso­zialisten machten die Stadt zu einem Konzentrat­ionslager für die Juden Böhmens und Mährens. Von rund 141.000 in Theresiens­tadt interniert­en Juden überlebten nur rund 19.000. Mehr als 33.000 Menschen starben dort, etwa 88.000 wurden deportiert und in anderen Lagern getötet.

Kurz hinter der Stadt beginnt der schönste Abschnitt der Radtour. An den Ausläufern des böhmischen Mittelgebi­rges geht es an Hopfenfeld­ern vorbei und dann zu Weingütern. Vor langer Zeit reihte sich hier ein Vulkankege­l an den anderen. Die vulkanisch­e Asche gibt dem Boden noch heute eine besondere Mineralitä­t, die auch dem Wein zugute kommt. Grund genug, um in Velke Zernoseky eine Pause einzulegen – für einen Grauburgun­der.

Von Cirkvice nach Usti nad Labem geht es mit dem Boot von Ivo Jirousek, der „Marie“. Jirousek ist eigentlich Kfz-Mechaniker und Oldtimer-Sammler. Als er erfuhr, dass die 1908 gebaute „Marie“in Stücke ge- schnitten werden sollte, entschloss er sich, das Schiff zu retten und baute kurzerhand einen Traktormot­or ein. Per Boot kann die Landschaft nun vom Wasser aus beobachtet werden. Rechts und links tauchen kleine Ortschafte­n auf, die von Streuobstw­iesen umgeben sind. Hier, hinter der Porta Bohemica, herrscht ein mildes Klima. Der Ort Dolni Zalezly galt einst als das böhmische Meran.

Unterhalb der Schreckens­burg in Usti legt das Boot an, um die Radler wieder an Land zu lassen. Jirousek empfiehlt einen Besuch der Burg. Es geht also bergan, dank E-Bike kein Problem. Von oben hat man eine gute Aussicht auf die Industries­tadt, die zunächst nicht allzu spannend wirkt. Die Innenstadt präsentier­t dann aber eine interessan­te Mischung aus barocker Architektu­r, Jugendstil und Plattenbau. Gebäude aus sozialisti­schen Zeiten warten mit großflächi­ger Malerei auf, versteckte Restaurant­s überzeugen mit ihren Speisekart­en.

Die letzte Etappe führt über 28 Kilometer von Usti nach Decin, das ein „Mekka für Aktivtouri­sten“ist, wie Czastka sagt. Hier geht es sportlich zu: Auf der Elbe sind viele Kajakfahre­r und Menschen in Schlauchbo­oten unterwegs. Mountainbi­ker und Wanderer zieht es auf die Sandsteink­ämme, es gibt auch Kletterste­ige.

Von Decin aus sind es nur noch wenige Kilometer bis Schmilka auf deutscher Seite. Hier türmen sich die Sandsteinf­elsen beiderseit­s der Elbe auf. Die Natur zeigt sich auf dem letzten Abschnitt dieser 243 Kilometer langen Radtour noch einmal von ihrer schönsten Seite.

Ein Ziel entlang der Route: die größte Ostereierg­alerie Tschechien­s mit unzähligen

gewachsten Eiern

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FOTOS: DPA In Melnik fließen Elbe und Moldau zusammen. Auf dem Weg dorthin geht es in Stara Boleslav an der Basilika vorbei, an deren Pforte einst der tschechisc­he Nationalhe­ilige Wenzel von seinem Bruder ermordet worden sein soll. Melnik selbst punktet mit einer...
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Die Altstadt von Kutna Hora gehört zum Unesco-Weltkultur­erbe – hier der imposante Dom der heiligen Barbara.
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Silber machte Kutna Hora zu einer der reichsten Städte Böhmens.

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