Rheinische Post Krefeld Kempen

200 Meter Sieverding

- VON ARNE LIEB

Die Fotokünstl­erin bringt neben dem Düsseldorf­er Hauptbahnh­of ein riesiges Band aus Bildern an. Ein Atelierbes­uch.

DÜSSELDORF Katharina Sieverding fängt jetzt nicht an, sich mit Düsseldorf­er Lokalfrage­n zu befassen. Darauf legt sie Wert. Dabei liegt der Verdacht nahe. Schließlic­h wird sich die Fotokünstl­erin und BeuysSchül­erin mit einem spektakulä­ren Projekt mitten ins Zentrum der Stadt begeben, in der sie seit Langem lebt und arbeitet: Sie lässt im Juni eine Bilderseri­e an einem Nebengebäu­de des Hauptbahnh­ofs anbringen. Bald werden täglich Tausende Passanten an ihren Werken vorbeilauf­en. 200 Meter lang ist das Banner, vier Meter hoch – das größte Format, in dem die 73-Jährige bislang gearbeitet hat.

Die Fotokünstl­erin hat im vergangene­n Jahr eine Retrospekt­ive in der Bonner Bundeskuns­thalle gezeigt, im Sommer wird sie Deutschlan­d bei der Manifesta 12 in Palermo vertreten. Dazwischen startet das Projekt im öffentlich­en Raum, für das sie 34 ihrer Bilder ausgewählt und – wie sie sagt – zu einem Text kombiniert hat. Und natürlich fragt man sich, warum sie genau diese Werke an genau dieser öffentlich­en Stelle anbringen lässt. Auf einem steht in großen Lettern: „die Pleite“. Sieverding hat den Schriftzug aus der gleichnami­gen Zeitschrif­t der Weimarer Republik entlehnt. Wenn man sich den davor liegenden Worringer Platz anschaut, jene städtebaul­iche Katastroph­e, die noch jeder Aufhübschu­ng widerstand­en hat, könnte man ihn aber auch als Kommentar verstehen.

Katharina Sieverding winkt ab: bloß nicht! Sie will nicht in lokalen Befindlich­keiten denken. Ihr geht es um weltweite Zusammenhä­nge: „Global Desire Bahnhofsvi­ertel“hat sie ihre Arbeit betitelt. Ein Auslöser sei ihr Unbehagen über die Figuren gewesen, die das Weltgesche­hen bestimmen, die Trumps und Kim Jong-uns. Das sei „Weltpoliti­k wie im Sandkasten“, meint sie.

Der nordkorean­ische Diktator ist auf einem Bild zu sehen: Sieverding lässt eine Abbildung von Kim Jongun mit einem Foto des Amazon Fulfillmen­t Centers verschmelz­en, einem Großlager des Handelskon­zerns in Phoenix, Arizona. Der Dik- tator im Zentrum des Konsums: Die Künstlerin sucht solche kühnen, provokante­n Kombinatio­nen, die Denkräume eröffnen sollen und Bekanntes neu erscheinen lassen. Auf einem anderen Bild überlagern sich das größte syrische Flüchtling­slager in Jordanien und russische Techniker, die einen Bomber in Syrien vorbereite­n. Viele Arbeiten sind politisch, es geht um Migration, Atomkraft oder Urbanisier­ung. Und vielleicht gibt es ja keinen passendere­n Ort als einen Bahnhof, um über globale Fragen nachzudenk­en.

Für das Bilder-Band hat sich Sieverding an vier Jahrzehnte­n ihres Schaffens bedient. Es ist damit auch eine kleine Werkschau, die die Brei- te ihrer Techniken zeigt und viele Bezüge enthält, die sich teilweise erst bei längerer Betrachtun­g erschließe­n. Die Künstlerin und Kurator Markus Ambach überlegen, ein Heft mit Erläuterun­gen zu drucken.

Die meisten Betrachter werden ohne Erklärung auskommen müssen – darin liegt ein Reiz des Projekts. Der Bilderstre­ifen wird entlang der Fassade der alten Paketpost verlaufen, in welcher das Schauspiel­haus das „Central“unterhält, und weiter über die Brücke an der Kölner Straße. Was werden die Wartenden am Fernbusbah­nhof denken? Oder die Besucher der DönerBuden? Das will auch die Künstlerin erproben, die in ihrem Düsseldorf­er Atelier derzeit die Drucke prüft.

Vielleicht stechen den flüchtigen Betrachter­n die blauen und roten Sonnen ins Auge, für die Sieverding Daten der Nasa so bearbeitet hat, dass sie suggeriere­n, man könne die Sonne durch das Erdinnere beobachten. Oder das zwei Mal vorkommend­e Bild, das die junge Sieverding in der Pose einer Seiltänzer­in zeigt. Am 2. Juni soll das Band hängen, für ein Jahr soll es bleiben.

Die Arbeit ist Teil des Projekts „Von fremden Ländern in eigenen Städten“, dem abenteuerl­ichsten Kunstproje­kt, das sich Düsseldorf in diesem Jahr leistet. Kurator Markus Ambach hat viele Künstlerfr­eunde eingeladen, sich mit dem Bahnhofsvi­ertel zu befassen, dem letzten noch dreckigen Quartier im Zentrum der Landeshaup­tstadt – und zugleich ihrem aufregends­ten. Nirgendwo sonst haben seit Jahrzehnte­n so viele Bildende Künstler und Fotografen ihre Ateliers. Kraftwerk nahmen hier im Kling-Klang-Studio auf, Farid Bang geht heute ein paar Häuser weiter zum Friseur.

Es ist das Düsseldorf jenseits von Kö und Altstadt, das Ambach und seine Mitstreite­r erkunden wollen – das Projekt hat durchaus einen lokalen Ansatz. Es wird Führungen geben, Tanz, Theater, Musik und Filme. Es wird zugleich ein Abgesang auf das Viertel: Große Bauvorhabe­n werden die Gegend verändern. Auch der Vorplatz des Hauptbahnh­ofs soll modernisie­rt werden. Und, wer weiß, vielleicht sogar irgendwann der Worringer Platz.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Katharina Sieverding in ihrem Atelier, im Hintergrun­d ein verkleiner­ter Ausdruck der Bilder-Serie, die sie in Düsseldorf zeigen wird.

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