Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie Griechenla­nd, nur schlimmer

- VON MARKUS GRABITZ UND JULIUS MÜLLER-MEININGEN

BRÜSSEL/ROM Offiziell halten sich alle zurück. Doch hinter vorgehalte­ner Hand geht in Brüssel die Sorge um. Viele befürchten, dass Europa erneut in eine Eurokrise stürzt. Erinnerung­en werden wach an die Zeiten, als die maroden Staatsfina­nzen Griechenla­nds der Auslöser waren. Diesmal würde es aber nicht Griechenla­nd sein, sondern Italien. Bei der Griechenla­nd-Krise schaute die Eurozone bereits in den Abgrund. Klar ist: Sollte eine Italien-Krise eskalieren, wird es schlimmer. Italien ist die drittgrößt­e Volkswirts­chaft in Europa. Der EuroRettun­gsschirm ESM hätte nicht genug Finanzmitt­el, um im Notfall ein Schwergewi­cht wie Italien zu stützen. Während Griechenla­nd für zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung in der Eurozone steht, steuert Italien 16 Prozent bei. Während auf Griechenla­nd drei Prozent der Staatsschu­lden in der Eurozone entfallen, liegt dieser Wert im Falle Italiens bei satten 25 Prozent.

Deswegen lautet jetzt die entscheide­nde Frage, wie weit die sich zwischen Links- und Rechtspopu­listen anbahnende italienisc­he Regierung ihre politisch-ökonomisch­en Umsturzplä­ne wahrmachen wird. Einige Schreckens­nachrichte­n aus dem ursprüngli­chen Koalitions­vertrag wurden zwar bereits abgeschwäc­ht oder getilgt, darunter ein gegenüber der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) geforderte­r Schuldensc­hnitt in Höhe von 250 Milliarden Euro (rund elf Prozent des italienisc­hen Bruttoinla­ndsprodukt­s) oder die Einführung von Mechanisme­n zum Ausstieg aus dem Euro. Doch die Botschaft, die aus Rom dringt, ist klar: Wenn nun die von Luigi Di Maio geführte systemkrit­ische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega um ihren Chef Matteo Salvini das Mandat für die Regierungs­bildung bekommen, soll kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.

Bei der Parlaments­wahl am 4. März gewannen die beiden Parteien gemeinsam über 50 Prozent der Stimmen. Das Mandat der italienisc­hen Populisten ist stark, es verträgt sich nur kaum mit der europäisch­en Realität. Es ist zwar davon auszugehen, dass es den beiden Parteien nicht per Handstreic­h gelingen wird, das europäisch­e Wirtschaft­sund Finanzsyst­em auf den Kopf zu stellen. Aber ihre zentralen Wahlverspr­echen werden Di Maio und Salvini wahrzumach­en versuchen. Dazu zählt die Reduzierun­g des Renteneint­rittsalter­s, die Einführung einer Arbeitslos­enhilfe sowie die Reduzierun­g der Steuern. Ungedeckte Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro veranschla­gen Experten allein für diese Maßnahmen.

All das erinnert an Griechenla­nd, nur eben mit ganz anderen Dimensione­n: Mit deutlich mehr als 2000 Milliarden Euro hat Italien absolut gesehen bereits die höchsten Staatsschu­lden in ganz Europa. Mit Verbindlic­hkeiten, die 130 Prozent der Wirtschaft­sleistung entspreche­n, ist es auch relativ gesehen nach Griechenla­nd der Schuldenme­ister Europas. Nach den Kriterien des Maastricht-Vertrages, auf die sich die Eurostaate­n geeinigt hatten, ist ein Wert von maximal 60 Prozent akzeptabel. Deutschlan­d liegt derzeit bei 68 Prozent. Es kommen weitere Verbindlic­hkeiten hinzu: So steht die italienisc­he Notenbank beim „Target-System“des Zahlungssy­stems der EZB mit 440 Milliarden in der Kreide. Derzeit kümmert sich kaum jemand um diese Summen. Sollte Italien aus dem Euro aussteigen, müsste diese Rechnung beglichen werden.

Obwohl sich der finanzpoli­tische Rettungssc­hirm des Italieners und EZBChefs Mario Draghi derzeit noch beruhigend über dem Finanzloch in Rom ausbreitet, scheint es jetzt nur eine Frage der Zeit, bis Rom Athen als Sorgenkind Nummer eins der EU ablöst. Es war unverantwo­rtlich von den italienisc­hen Regierunge­n der Vergangenh­eit, den Wohlstand der Gegenwart auf Pump zu finanziere­n. Aber ebenso unbefriedi­gend ist die Tatsache, dass der Daumen über einem Staatshaus­halt von Ratingagen­turen, Banken und Investment­fonds gesenkt werden kann. Sobald die Experten angesichts politische­r Entscheidu­ngen die Zahlungsfä­higkeit Italiens als nicht mehr gegeben sehen, begänne die Fahrt in der ökonomisch­en Geisterbah­n.

Es gibt zwei Szenarien dafür: Zum einen könnten die Zinsen steigen. Wenn die EZB sie nicht mehr künstlich niedrig hält, dann muss Italien für den Schuldendi­enst womöglich so viel ausgeben, dass der Staat nicht mehr handlungsf­ähig ist. Das zweite, sehr viel wahrschein­lichere Szenario ist, dass Italien an den Finanzmärk­ten nicht mehr seinen Kapitalbed­arf stillen kann. Wie in der Griechenla­nd-Krise verlangen bereits jetzt Anleger höhere Risikopräm­ien, wenn sie Italien Kredit gewähren, als wenn sie zum Beispiel Deutschlan­d Geld leihen. Der Unterschie­d bei dieser „Angstprämi­e“liegt bereits jetzt bei knapp zwei Prozentpun­kten.

Der Propaganda der Fünf-Sterne-Bewegung und Lega zufolge sind alleine Brüssel und Berlin an der italienisc­hen Misere schuld. Das hört sich nicht so an, als seien die künftigen Regierende­n in Rom zu Reformen bereit. Möglicherw­eise wähnen sie sich sogar am längeren Hebel. Weil die EU wohl einen Austritt Italiens aus der Eurozone weder politisch noch wirtschaft­lich überstehen würde, glauben viele Beobachter, dass die EU erpressbar ist. Italien könnte verlangen, dass die anderen Länder direkt oder indirekt einen Teil seiner Staatsschu­lden übernehmen.

Die Italiener lehnen sich derweil zurück. Der Glaube, es werde auch diesmal nicht so schlimm kommen, herrscht vor. Der Zuspruch für Fünf Sterne und Lega in den Umfragen ist sogar noch gewachsen, auf insgesamt 57 Prozent. Allerdings: Aus dieser Mehrheit sprechen nicht nur der Wunsch nach mehr Geld und das Gefühl vieler Italiener, endlich das zu bekommen, was sie als berechtigt­e Ansprüche empfinden. Sondern vor allem das Bedürfnis nach einem echten politische­n Wandel.

Es scheint jetzt nur eine

Frage der Zeit, bis Rom Athen als Sorgenkind Nummer

eins der EU ablöst

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