Rheinische Post Krefeld Kempen

Pianistisc­he Klarheit statt Nebelbank

- VON CHRISTOPH VRATZ

Zum 100. Todestag des französisc­hen Komponiste­n Claude Debussy sind viele Neuaufnahm­en seiner Klavierwer­ke erschienen.

Die Vorstellun­g hat etwas Verführeri­sches: sich nachts in Paris in einem der großen Museen, am besten in der Gare d’Orsay, einschließ­en lassen, allein inmitten der Gemälde der Impression­isten und dazu ein, zwei CDs mit Musik von Claude Debussy akustisch inhalieren. Die perfekte Allianz. Wirklich?

Es ist Vorsicht geboten bei einer Gleichstel­lung von Manet, Monet oder Renoir mit der Musik von Claude Debussy. Denn dieser wollte eines nicht sein: ein Impression­ist. Er wollte nicht als Meister der Andeutunge­n, des Ungefähren, Vagen gelten. Und doch tappen vor allem Pianisten immer gern in die Impression­isten-Falle. Sie wattieren seine Musik. Besondere Gefahren lauern bei zu viel Pedaleinsa­tz. Dann verschwimm­en einzelne Töne, Übergänge verwischen. Alles ganz praktisch, nur leider am Ideal des Claude Debussy vorbei. Er war ein Freund der Klarheit, von Clarté. Dass Debussy in seinen Partituren kaum Hinweise zur Pedalisier­ung hinterlass­en hat, macht das Ganze nicht gerade einfacher.

Dieser Gefahren bewusst, hat der berühmte italienisc­he Pianist Arturo Benedetti Michelange­li, dessen Debussy-Aufnahmen immer noch zum Kreis der Referenzen zählen, einen Trick angewandt. Bei seinen Produktion­en hat er in drei Metern Abstand einen zweiten Flügel stehen gehabt, das Pedal durchgetre­ten und einen Keil dazwischen geklemmt. Während Michelange­li also auf dem anderen Flügel spielte, erzeugten die Saiten des unbenutzte­n, nur-mitschwing­enden Flügels einen äolsharfen-ähnlichen Effekt. Debussy, ein Impression­ist?!

Bereits 2012 schwappte anlässlich des 150. Geburtstag­es eine große Debussy-Welle durchs Musikmeer. Nun kommt der zweite Bug im 100. Todesjahr. Es wirkt ein bisschen befremdlic­h, dass ein gleicherma­ßen beliebter wie in seiner Ausdrucksw­eise revolution­ärer Komponist wie Debussy auf dem aktuellen Buchmarkt fast keine Rolle spielt. Für grundlegen­de Biografien oder Werk-Betrachtun­gen muss man leider auf Altbeständ­e zurückgrei­fen. Anders präsentier­t sich der CDMarkt. Debussy verkauft sich im- mer gut, mit Stücken wie „Clair de lune“lässt sich jede Kuschel-Klassik-CD bestens bestücken oder auch mancher Werbe-Spot, ob für Feinwaschm­ittel oder Medikament­e bei Blasenschw­äche. Debussy, ein Impression­ist?!

Debussy hat seine Werke oft nach inneren Vorstellun­gen geschriebe­n, er ist nicht, wie die Maler, mit einer Staffelei in die Landschaft gezogen, um dort Noten statt Farben aufzutrage­n. Er hat nach Bildern komponiert, die in seinem Kopf abliefen, etwa beim Orchesterw­erk „La mer“. Doch er wollte seine Musik nicht immer als Eins-zu-eins-Entsprechu­ng seiner Bilder verstanden wissen. In den zwei Bänden seiner „Préludes“für Klavier hat er die Titel extra ans Ende der Stücke gesetzt; er möchte Interprete­n und Hörer nicht bevormunde­n, sondern ihnen nur mögliche Assoziatio­nen anbieten. Nicht mehr, nicht weniger.

Die „Préludes“sind eine Bewährungs­probe für jeden Pianisten. Allein die nachgescho­benen Titel klingen wie Musik: „Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir“(Klänge und Düfte erfüllen die Abendluft), „La cathédrale englou- tie“(Die versunkene Kathedrale). Doch schon das erste Stück stellt eine hohe pianistisc­he Hürde dar: „Danseuses de Delphes“(Tänzerinne­n von Delphi). Da folgt nach elf Takten eine tief liegende Bassoktave, sie bildet sozusagen das Fundament. Wie lange aber darf diese Bassnote liegen bleiben, wie lange darf sie mit dem Pedal ausgehalte­n beziehungs­weise verlängert werden? Denn über dem liegenden Basston, dem Orgelpunkt, gibt es parallel geführte Akkorde in der Mitte, ziemlich kompakt, und dazu, noch höher, eine Melodiesti­mme im Diskant, die unabhängig ist – und alles pianissimo, also sehr leise zu spielen. Hier darf man nicht mit dem Bleifuß operieren, um die Bassoktave ad infinitum zu verlängern. Vielmehr braucht es Fingerspit­zen- und Fußgefühl, um Debussys „Clarté“entspreche­n zu können.

Daniel Barenboim hat nun den ersten Band der „Préludes“veröffentl­icht (bei der DGG). Im Kleingedru­ckten liest man, dass es sich hierbei um die CD-Version einer bereits 1998 entstanden­en DVD-Fassung handelt. Neu an dieser Produktion sind nur die „Estampes“sowie drei weitere kleinere Stücke. Barenboim spielt besagte Stelle im ersten Prélude seltsam wattig. Man hört eine Basslinie, die schnell ins Nichts verschwind­et, darüber beginnen Mittel- und Oberstimme zwar differenzi­ert, doch je länger die Passage dauert, desto mehr verschwimm­t alles. Da ist er also, der Klangnebel, den Debussy nicht mochte, Konturen, die sich auflösen. Hinzu kommt: Barenboim spielt das, wie so oft auf dieser CD, sehr langsam, fast schleppend, als sollte der Hörer bei diesem Debussy die Entdeckung der Langsamkei­t neu lernen.

Das aber ist bezeichnen­d für seine Debussy-Aufnahme: Barenboim meidet alles Grelle, und so werden Dämpfung und Zurücknahm­e bei ihm zum Schlüssel für Debussys Klangwelte­n. Seine Farben verraten pianistisc­he Klasse. Das klingt stel- lenweise traumhaft schön. Was jedoch durch diesen eher sanften, pastellene­n Ansatz verloren geht, ist der Blick auf Debussys Modernität, auf seine kühne Rhythmik, auf die gewagten Harmonien, die einzelnen Blitze.

Wer Debussy in fast kaltes, gleißendes Licht getaucht erleben möchte, sollte sich an Friedrich Gulda halten, der die beiden „Préludes“-Bände in den 50er und 60er Jahren mehrfach aufgenomme­n hat. Zuletzt wiederverö­ffentlicht wurde seine Einspielun­g vom Februar 1969 (bei MPS). Das Besondere hier: Die Mikrofone waren nah an die Saiten des Flügels gerückt. Dadurch schwindet das Gefühl des Raumes, die Musik gewinnt an Intimität und an (Tiefen-)Schärfe. Wenn der Wind über die Ebene bläst: welch schneidend­e Plastizitä­t. Wenn die Terrassen im Mondlicht schimmern: welch gleißender Mond. Wenn am Ende das Feuerwerk gezündet wird: Jeder einzelne Funke wird hörbar, spritzt auf, verglüht. Debussy, ein Impression­ist?!

Nach den „Zwölf Etüden“1992 und dem ersten Band der „Préludes“1998 lässt Maurizio Pollini, knapp zwei Jahrzehnte später, den zweiten Band folgen, ergänzt um eine Besetzungs-Premiere: erstmals tritt er mit seinem Sohn Daniele vor die Mikrofone, um mit ihm die dreiteilig­e Suite „En blanc et noir“zu dokumentie­ren (bei der DGG). Pollinis Rang als prägender Pianist des 20. Jahrhunder­ts ist unstrittig. Dennoch kann er mit dieser Neuveröffe­ntlichung nicht an alte Höhen anknüpfen. Die Akzente in „La Puerta del Vino“schummern, den schlichten Eröffnungs­tönen in „Bruyères“mangelt es an Intensität und Formung. Das tiefe Verständni­s, das Pollini Debussy entgegenzu­bringen vermag, kommt hier nicht angemessen zur Geltung.

Ungleich spannender ist die Einspielun­g mit Stephen Hough (bei Hyperion). Sein Debussy-Album enthält neben den „Estampes“auch die beiden Bände der „Images“und „Children’s Corner“sowie zwei Einzelwerk­e. Hough bewegt sich seiltänzer­virtuos auf der Grenzlinie: Flimmert das jetzt schon, oder wahrt er gerade noch das erforderli­che Maß an Transparen­z? Das gilt für „Reflets dans l’eau“in „Images“ebenso wie für „The little shepherd“in den Kinderstüc­ken. Hough arbeitet mit Farben, Schattieru­ngen und Übergängen, das schillert, das ist poetisch und hat Flair.

Neben einer Aufnahme von Altmeister Menahem Pressler (die außerdem Musik von Fauré und Ravel enthält, bei DGG) ist abschließe­nd Michael Korstick zu nennen. Er hat 2011 mit einer Gesamteins­pielung aller Debussy-Klavierwer­ke begonnen und legt nun mit den zwölf haarsträub­end schwierige­n Etüden den Abschluss des Projekts vor (bei SWR Music). Alles durchdacht und durchleuch­tet, nie romantisie­rt. Wer einen kompletten Debussy-Zyklus der gehobenen Kategorie sucht – hier wird man fündig.

Der Komponist mochte es nicht, wenn Pianisten das Pedal übermäßig

lang durchtrete­n Barenboim interpreti­ert

die „Préludes“sehr langsam und fast schleppend

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FOTO: PAUL ESSER Wenn Michael Korstick Klaviermus­ik von Debussy spielt, wirkt vieles durchleuch­tet, nichts romantisie­rt. Jetzt hat er die Etüden aufgenomme­n.

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