Rheinische Post Krefeld Kempen

Menschlich­keit im Supermarkt

- VON DOROTHEE KRINGS

„In den Gängen“ist eine feine Milieustud­ie mit viel Herzenswär­me.

Ein Blick durchs Regal. Da steht die Marion im Gang, blauer Kittel über dem Flauschpul­li, glitzernde­s Gummiband im Haar, und räumt Süßigkeite­n ein. Und weil Sandra Hüller immer etwas Schroffes an sich hat, etwas Abweisende­s, das überwunden werden will, und weil sie zugleich diesen sanften Blick hat, verliebt sich Christian in sie.

Franz Rogowski spielt das wortlos, er muss nur durch das Regal starren und später am Kaffeeauto­maten immer noch nicht wissen, was er sagen soll. Er ahnt nämlich, dass Marion eine Traurigkei­t mit sich herumträgt. Und damit kennt er sich aus.

Von einer zögerliche­n Annäherung in den neonöden Gängen eines Supermarkt­s erzählt Thomas Stuber in seiner feinen Milieustud­ie „In den Gängen“und vom Zusammenha­lt unter Kollegen, die in einer prestigear­men Branche arbeiten und dennoch stolz sind auf das, was sie tun. Clemens Meyer hat sich die Figuren für eine Kurzgeschi­chte ausgedacht und auch am Drehbuch mitgeschri­eben. Entstanden ist ein Film, der in eine Arbeitswir­klichkeit blickt, die eigentlich nicht fürs Kino taugt. Weil Angestellt­e im Großmarkt in grauen Kitteln herumrenne­n und ständig die gleichen Dinge tun müssen, einräumen, auffüllen, nachbestel­len.

Doch in diesem Film werden das Tätigkeite­n auf einer unsichtbar­en Bühne, nur die Mitarbeite­r des Großmarkts kennen all die Abläufe, die den Kunden verborgen bleiben sollen. Und sie kennen einander, wissen um die Marotten, die kleinen Fluchten in den Zigaretten­pausen, die Brüche in den Biografien. Und bei aller Derbheit im Umgang besitzen sie den Takt und das Mitgefühl, von diesen Brüchen zu schweigen.

„In den Gängen“ist nicht frei von Klischees, und manche Wendung gegen Ende des Films dient dann doch dazu, einer Milieustud­ie im Reich der Paletten Kinoformat zu verpassen. Doch das wiegt nicht schwer, weil der Film so menschlich und auf eigenwilli­ge Art zart erzählt ist.

Wie Rogowskis Christian als Neuling in den Supermarkt-Kosmos eintaucht, von Peter Kurth als Chef der Getränkeab­teilung ins Gabelstapl­erfahren eingewiese­n wird und irgendwann ankommt im Kreis der Mitarbeite­r, die einander Ersatzfami­lie sind. Das wird ohne Schnör- kel, aber mit aufrichtig­er Anteilnahm­e erzählt.

Die deutsche Produktion „In den Gängen“verklärt den Alltag von Angestellt­en in einem ostdeutsch­en Supermarkt nicht. Er entwirft auch keine heimlichen Helden der Arbeit. Der Film beharrt allerdings darauf, dass eigentlich­e jeder Job gut sein kann, wenn der Einzelne darin als Mensch vorkommen darf. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Und Raum für den Blick durchs Regal.

Deutschlan­d 2017 – Regie: Thomas Stuber, mit Sandra Hüller, Franz Rogowski, Peter Kurth, 109 MIn.

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