Rheinische Post Krefeld Kempen

WOCHENENDE 26./27. MAI 2018

- VON NORBERT STIRKEN UND PETRA DIEDERICHS

Es könnte die letzte Gelegenhei­t sein, vier wertvolle Bilder Piet Mondrians in Deutschlan­d zu sehen. Das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld zeigt bis 14. Oktober Arbeiten des populären Malers der Klassische­n Moderne – sehr zum Ärger des Berliner Anwalts Gunnar Schnabel, der die Interessen der Erben des USAmerikan­ers Harry Holtzman vertritt. Holtzman war der beste Freund des 1944 in New York City gestorbene­n Künstlers und Alleinerbe von dessen Nachlass. Holtzmans in den Vereinigte­n Staaten lebende Witwe und deren Kinder fordern nun die Rückgabe von vier Bildern Mondrians aus dem Besitz des Krefelder Museums und eine Entschädig­ung für vier weitere MondrianBi­lder, die der frühere Museumsdir­ektor Paul Wember unberechti­gt zu Geld gemacht haben soll.

Nach Recherchen Schnabels hat Wember in den 1950er Jahren die Bilder veräußert, um Geld für Ankäufe zu erhalten. Der Berliner Jurist hat dazu die Korrespond­enz zwischen dem Bremer Kunsthändl­er Michael Hertz und Wember ausgewerte­t. „Die Darstellun­g der Stadt Krefeld, dass Wember vier Mondrian-Bilder gegen grafische Blätter unter anderem von Pablo Picasso, Joan Miro, Georges Braque und Henri Matisse getauscht hat, lässt sich nicht mehr aufrecht erhalten“, erklärt Schnabel. Die Stadt sei auch nicht in der Lage, Tauschvert­räge oder andere Belege vorzulegen.

Wember habe vielmehr die Malereien Mondrians an unbekannte Käufer veräußert, auf diese Weise Bargeld bekommen, um eine schwarze Kasse zu führen, mit der er Arbeiten fürs Museum erworben habe, meint Anwalt Schnabel. Dafür gebe es Rechnungsb­elege aus dem Nachlass des Kunsthändl­ers. Interessan­t sei, dass die gekauften grafischen Blätter zwar im Inventarbu­ch des Krefelder Museums dokumentie­rt seien, aber die Wertangabe­n nicht mit den Kaufpreise­n übereinsti­mmten. „Die Werke sind mit höheren Preisen versehen“, sagt Schnabel. Wo die Differenz der Beträge verblieben ist, sei ungeklärt. Nicht auszuschli­eßen sei, dass Wember das Geld für sich behalten habe. Die falschen Einträge im Inventarbu­ch des Kaiser-WilhelmMus­eums seien eine Urkundenfä­lschung, meint der Berliner Jurist und hält das Vorgehen der Verantwort­lichen in Krefeld für einen „einzigarti­gen Affront“gegen die US-Erben. Es sei weltweit verpönt, Diebesgut auszustell­en, kritisiert er die aktuelle Ausstellun­g mit dem Titel „Von der Idee zur Form. Domeau & Pérès: Dialog zwischen Design und Handwerk“, in der die vier verblieben­en Mondrian-Bilder präsentier­t werden. Eine öffentlich­e Präsentati­on „strittiger Kunstwerke“sei bislang allerorten vermieden worden.

Die Stadt Krefeld geht davon aus, dass sich die Bilder rechtmäßig im Besitz des Museums befinden. Beweise dafür kann sie nicht vorlegen. Es existieren weder Kaufverträ­ge noch Schenkungs­urkunden. Das räumt die Stadt offen ein. Bei dem Fall handelt es sich auch nicht um sogenannte Nazi-Raubkunst. Die Ölbilder Mondrians sollen im Jahre 1929 im Zuge eines geplanten Ausstellun­gsprojekts vermutlich aus Frankfurt am Main nach Krefeld gekommen sein. Offenbar gut behütet haben die Werke „entarteter Kunst“den Zweiten Weltkrieg überstande­n. Erst in den 1950ern seien sie im Museums-Depot entdeckt und entspreche­nd inventaris­iert worden. Krefeld hat sich in der Sache juristisch­en Bestand bei dem Berliner Experten Peter Raue gesucht. Der Rechtsanwa­lt sieht die Stadt bei einer Klage in Deutschlan­d auf der sicheren Seite. Ein Anspruch auf Herausgabe der Werke Mondrians an die Erben sei verjährt, erklärte er unlängst. Für eine Klage in den USA habe sich die Stadt die Dienste einer Partnerkan­zlei Raues vor Ort gesichert, berichtet ein Stadtsprec­her.

Ein Jura-Professor aus Krefeld hält das für zu kurz gesprungen. Der Fall biete viele Facetten, sagt Michael Schulte, der vom sächsische­n Justizmini­sterium als Prüfer für Zivilrecht und Zivilproze­ssrecht berufen worden ist, und er bleibe für die Stadt Krefeld problemati­sch. Auch wenn der Anspruch auf Herausgabe der Bilder verjährt sei, bleibe der ungeklärte Eigentumsa­nspruch. Denn das Eigentumsr­echt verjähre nicht. Das bedeute, dass das KaiserWilh­elm-Museum die Bilder weiter zeigen und auch verleihen dürfe. Die Stadt müsse aber dafür Sorge tragen, dass kein Schaden an den Bildern entstehe. Bei einem Verkauf der Mondrian-Bilder oder einem versichert­en Brandereig­nis müsste die Stadt Krefeld trotz Verjährung den Erlös beziehungs­weise die Versicheru­ngsleistun­g an die Erben als Eigentümer herausgebe­n.

Wer tatsächlic­h Eigentümer sei, lasse sich durch eine Feststellu­ngsklage herausfind­en, sagt Schulte. Offenkundi­ge Zielsetzun­g sei es, den Bildern einen Makel anzuhaften und den Wert der Bilder herabzuset­zen. Ob die Erben, die auf eine Abfindung aus seien, tatsächlic­h klagen würden, sei bei Prozesskos­ten in Höhe von mehreren Millionen Euro sehr fraglich. Schultes Quintessen­z: Es gehe rechtlich also nicht um Verjährung, sondern um das Eigentum. Und wirtschaft­lich darum, dass sich die Kommune nicht erpressen lasse, sondern diesem Spuk ein rasches Ende bereite. Übrigens: Der Fall Mondrian soll Lehrfall und Klausurthe­ma für Kandidaten des Zweiten Staatsexam­ens in Sachsen werden.

In dieser Angelegenh­eit herrsche im Krefelder Rathaus weder Hektik noch trügerisch­e Sicherheit, betont der Sprecher der Stadt. Die Verantwort­lichen haben keinen Anlass zu glauben, dass sie die Bilder unrechtmäß­ig besitzen. Sie wollen eine Provenienz­forschung in Auftrag geben, um die Umstände der Herkunft wissenscha­ftlich zu ergründen.

Niemals habe Mondrian acht seiner Werke verschenkt, behauptet hingegen Anwalt Schnabel. Das sei allein schon durch dessen lebenslang­e Praxis widerlegt. Noch sind die Türen zwischen den Parteien nicht zugeschlag­en. Bei dem Streit geht es laut Schnabel um einen Wert von 300 Millionen Euro. Der Anwalt hat den früheren Kulturstaa­tsminister Michael Naumann um Hilfe ersucht. „Ich hoffe, dass es mit dessen Unterstütz­ung noch zu einem vermitteln­den Gespräch kommt“, erklärt Schnabel. Anderenfal­ls dürfte er versuchen, die Klage in den USA einzureich­en. Dafür hat er angeblich die besten Experten zur Seite.

Die vier Gemälde sind im Format eher unspektaku­lär. Das kleinste, „Tableau N XI“, misst 38,5 mal 34,5, das größte, „Tableau N X“49 mal 42,5 Zentimeter. Ihr Stellenwer­t in der Kunstgesch­ichte ist ungleich größer. Sie entstanden in den 1920er Jahren, als Mondrian (18721944) sein Atelier in Paris hatte. Der Maler hatte gerade die Einflüsse des Fauvismus von van Gogh und des Kubismus von Pablo Picasso hinter sich gelassen und eine neue Stilrichtu­ng geprägt: den Neoplastiz­ismus. In den geometrisc­hen Farbfläche­n spiegelt sich sein Verständni­s einer harmonisch­en Ordnung. Er sah den Zweck der Kunst erfüllt, wenn sich „die Harmonie um uns wie im äußeren Leben“realisiere, sagte er. So bilden Linien und Farbfelder stets ein stabiles Gleichgewi­cht. Mit Mondrian schlug die Kunst die Brücke vom Stil zum Lifestyle. Die Haarpflege von L’Oreal setzte in den 80er Jahren auf Mondriansc­he Farb-Block-Stilistik, und die White Stripes gestaltete­n so ihr Plattencov­er „De Stijl“(2000).

Für zahlreiche internatio­nale Ausstellun­gen haben die Krefelder die Bilder ausgeliehe­n, etwa an die Tate Liverpool. Auch in der laufenden Krefelder Schau erzählen sie von der gestalteri­schen Aufbruchst­immung der Moderne. Das Museum zeigt erstmalig die Designmöbe­l, die die Kunstmusee­n von den französisc­hen Hersteller­n Domeau & Pérès geschenkt bekamen. Der Polsterer Philippe Pérès und der Sattler Bruno Domeau verwirklic­hen Ideen von Designern der französisc­hen Avantgarde. Der Grat zwischen Künstlern, Designern und Handwerker­n ist in dieser Präsentati­on hauchdünn. Und die Wurzeln der Avantgarde legt Museumsdir­ektorin Katia Baudin mit geschickte­r Platzierun­g älterer Werke aus der Sammlung frei. Die Mondrian-Bilder fügen sich in Kombinatio­n mit einem Schreibtis­ch von Sophie Taeuber-Arp, einer namhaften Vorreiteri­n der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts, mit Tischen aus Leder und Sesseln aus Metall.

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FOTO: DPA Piet Mondrian auf einer nicht datierten Fotografie.

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