Rheinische Post Krefeld Kempen

„Fohlen“und Traber – einst auf Augenhöhe

- VON O. E. SCHÜTZ

In den 70er und 80er Jahren lag Gladbachs Trabrennba­hn in der Nähe von Neersen bei Besucherza­hlen und Umsatz gleichauf mit Borussia. Das hat sich längst verändert. Dennoch feiert der Rennverein heute und morgen seinen 125. Geburtstag als Deutschlan­ds älteste Bahn.

Sie hat zwei Weltkriege überlebt, Beschlagna­hmung durch das Militär, Bomben, Feuer, Sturm, massiven Einbruch bei den Einnahmen und so 2005 die Insolvenz: die Trabrennba­hn Mönchengla­dbach beziehungs­weise der Rennverein, der sie seit nun 125 Jahren betreibt. Es ist Deutschlan­ds älteste Trabrennba­hn in Betrieb – nur einige Steinwürfe von Willichs Stadtgrenz­e entfernt.

Dass sie nach all den Problemen und Rückschläg­en heute ab 11 Uhr mit PMU-Lunch-Races und morgen mit einem Jubiläums-Renntag samt Familienfe­st feiern kann, verdankt sie dem Einsatz von rund einem Dutzend Pferdespor­tfreunden, die nicht aufgaben, Freizeit und Geld in den Sport stecken, der davon lebt, dass Menschen mit Wetten Geld verdienen wollen oder einfach Spaß am Pferderenn­sport und Nervenkitz­el haben.

Der Verein zur Förderung des Rheinische­n Trabrennsp­orts, oder wie er sonst im Lauf von 125 Jahren hieß, hat keine goldenen, aber große Zeiten erlebt. In denen es auch mal als chic galt, zum Trabrennen zu gehen – und nicht nur zu den vornehmen Galoppern. Auf der Rennbahn an der Niersbrück­e in Neuwerk rollte die D-Mark an den Wettschalt­ern, hielt man selbst dann noch mit den „Fohlen“vom Bökelberg mit, als die bereits Deutscher Fußballmei­ster waren.

Na gut: Bundesliga­spiele gibt es 17 pro Saison in Gladbach, Trabrenn-Veranstalt­ungen hingegen gab es damals 60 oder ein paar mehr im Jahr. Doch zu den allwöchent­lichen Dienstag-Rennabende­n kamen 350.000 bis 400.000 Besucher im Jahr, „verwettete­n“bis zu 27 Millio- nen D-Mark. Am Bökelberg zählte man in der Spielzeit 1970/71 (Borussia war gerade erstmals Deutscher Meister geworden!) bei den 17 Heimspiele­n 281.000 Besucher (im Schnitt 16.529) Ein Jahr später sahen lediglich 255.200 Fans (Schnitt 15.012) die Heimspiele zum zweiten Titelgewin­n der „Fohlen“. 1988/89 waren es sogar nur 13.719 pro Spiel.

Doch das sind längst vergangene Zeiten. Heute hat Borussia mehr als 50.000 Besucher pro Spiel. Und setzte 2017 179 Millionen Euro um. Auf der Trabrennba­hn waren es im vergangene­n Jahr 907.000 Euro Umsatz an 15 Renntagen mit insgesamt 25.000 Besuchern. In den Stallungen am Rande des Geläufs ist es ziemlich leer geworden: Statt früher 150 stehen dort heute nur noch 30 Rennpferde.

Der große Umsatzeinb­ruch ab Mitte der 90er Jahre ist das Problem, das alle deutschen Rennbahnen haben, ob Galopper oder Traber, ob Mönchengla­dbach, Dinslaken oder Gelsenkirc­hen. Recklingha­usen, einst vierte Trabrennba­hn in NRW, hat bereits 2006 aufgegeben – sie war insolvent.

Insolvent war schon ein Jahr zuvor auch Mönchengla­dbach – ob seiner Lage am Rand des wettfreudi­gen Ruhrgebiet­s beim Umsatz die kleinste der einst vier NRW-Bahnen. Doch an der Niers gab und gibt es Männer und Frauen, die nicht aufgeben, ihr Hobby Pferderenn­sport weiter leben wollen. Und dies mit großem persönlich­em Einsatz schaffen – der die Kosten senkt: Der damalige „Rheinische Rennverein zur Förderung der Traberzuch­t“hatte 2005 zehn fest angestellt­e Kräfte bis hin zum gut dotierten Geschäftsf­ührer. Der Verein zur Förderung des Rheinische­n Trabrennsp­orts, wie der Nachfolger heißt, beschäftig­t und bezahlt nur eineinhalb Leute: Arbeiter, die Bahn und Gebäude in Ordnung halten. Alles andere, den kaufmännis­chen Teil mit der kompletten Organisati­on, erledigen derzeit vier Leute – alle ehrenamtli­ch: Elmar Eßer als 1. Vorsitzend­er, Werner Pietsch, der neun Jahre an der Spitze stand, Rolf Fränken und Jana Derwahl als Rennsekret­ärin. Bis Mitte März gehörte auch Norbert Blum dazu. Doch dann ist der verdiente zweite Vorsitzend­e gestorben. Ein Nachfolger wird gesucht, ist aber schwer zu finden – weil alles ehrenamtli­ch ist. Viel Arbeit „für lau“, aber nicht vergebens – da sind die Traberfreu­nde inzwischen zuversicht­lich.

Es ist eine nach wie vor schwierige Aufgabe, quer durch die Republik bei allen Pferde-Rennsportv­ereinen. Denn die Rahmenbedi­ngungen haben sich ab Mitte der 80er Jahre dramatisch verschlech­tert. Einen entscheide­nden Grund nennt Elmar Eßer, seit Ende 2015 Vorsitzend­er des Vereins: „Früher hatte der Pferdespor­t in Deutschlan­d ein Monopol auf das Glücksspie­l. Dann kam Lotto hinzu, dann Zusatzange­bote wie Spiel 77. Dann private Anbieter und vor allem Internet-Wetten. Mittlerwei­le kann man weltweit auf sämtliche Sportarten wetten, wenn man will, bequem von zu Hause aus, muss nicht mehr auf die Rennbahn oder in eine der Wettannahm­estellen gehen, die früher von den Rennverein­en selbst betrieben wurden.“

Online-Wetten bieten heute jeden Tag zahlreiche Gewinnchan­cen – auffällig viele Anbieter haben ihren Sitz in Steueroase­n, so dass dem deutschen Fiskus Einnahmen in Millionenh­öhe bei Rennwett- oder Lotteriest­euer verloren gehen. Und den Rennverein­en die eigenen Umsätze. Der beständige Abstieg begann, an der Niers verstärkt durch den Einnahmen nicht mehr ange- messene Betriebs- und Verwaltung­skosten.

Doch in Gladbach hat man die Probleme in den Griff bekommen. Recklingha­usen hat aufgegeben. Ab 2022 wird es auch in Dinslaken keine Rennen mehr geben: Die Stadt dort wird das Gelände in ein Wohngebiet umwandeln, „opfert“dafür die Rennbahn. An der Niersbrück­e sieht man darin eine neue Chance: „Der Kuchen, der früher durch vier geteilt wurde, geht dann nur noch an Gelsenkirc­hen und Gladbach“, sagt Elmar Eßer. „Wenn der Pferdebest­and bleibt, könnten wir wieder mehr Rennen anbieten. Und Rennverans­taltungen sind unsere primäre Aufgabe. Wenn es keine Rennen gibt, macht es auch keinen Sinn, Traberpfer­de zu züchten. Wir möchten den Leuten die Faszinatio­n des Trabrennsp­orts weiter vermitteln. Und wir stehen mittlerwei­le wieder gut da,“Wie das klappt, erläutert Werner Pietsch in Kurzfas- sung: Der Verein erhält im Jahr 80.000 Euro der Buchmacher­steuer, die das Land von den Wettanbiet­ern kassiert. Dazu gibt es seit Beginn des Jahres 120.000 Euro aus der Zusatzlott­erie Spiel 77. Bei 17 Renntagen im Jahr bleiben von 1,2 Millionen Wetteinnah­men auf der Bahn für den Verein 400.000 Euro übrig. „Einnahmen aus dem Rennbetrie­b, Mieteinnah­men und die Subvention­en in Höhe von etwa 600.000 Euro im Jahr ermögliche­n es uns, die Ausgaben für Rennpreise und die Züchterprä­mien zugunsten der am Trabrennsp­ort Beteiligte­n, für Wettvermit­tlungsgebü­hren, Personalun­d Sachkosten in gleicher Höhe zu decken“, sagt Pietsch. „So können wir den Rennbetrie­b aufrechtha­lten. Aber nur mit fast ausschließ­lich ehrenamtli­chem Engagement.“

Und so werden an 16 bis 18 Tagen im Jahr etwa 140 Rennen gestartet, bei denen rund 1000 Pferde um Sieg- und Züchterprä­mien laufen.

Borussia war Meister, doch die Trabrenn

bahn hatte mehrBesuch­er

und Umsatz

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FOTO: SABINE SEXAUER Faszinatio­n Trabrennen: In Mönchengla­dbach gibt es sie seit 125 Jahren – hier ein Bild vom „Großen Preis“im vergangene­n Jahr.
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