Rheinische Post Krefeld Kempen
RP-ONLINE.DE/MAGAZIN
Der vermisste Präsident
Der frühere US-Präsident Bill Clinton hat im Duett mit Bestsellerautor James Patterson einen Krimi geschrieben –
über einen amerikanischen Präsidenten in sehr großer Not. Am Ende des Krimis ist dann doch das Böse
besiegt – ein sehr amerikanisches Buch
kennen, wie Duncan hat er eine Tochter. Und des Amtes enthoben werden sollte er auch. Seine Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky mündete bekanntlich in ein Impeachment-Verfahren, so dass Clinton aus tiefster Seele zu sprechen scheint, wenn er sein literarisches Pendant ein Klagelied über die „Grausamkeiten hemmungslosen Machthungers“anstimmen lässt. Einige seiner Gegner wollten ihn nicht einfach nur aus dem Oval Office verjagen. „Sie werden erst dann Frieden geben, wenn sie mich ins Gefängnis geschickt, mich gevierteilt und meinen Namen aus den Geschichtsbüchern getilgt haben.“
Nur ist „The President Is Missing“eben auch ein Buch über das Gute, das letzten Endes, nach erstklassigem, wenn auch abenteuerlichem Krisenmanagement, das Böse besiegt. Ein sehr amerikanisches Buch. Die Idee, sagte Clinton im Radiosender NPR, sei ihm gekommen, weil er ein durchaus realistisches Gefahrenszenario ausmalen wollte. „Jemand könnte zumindest eines unserer Stromnetze außer Gefecht setzen, zum Beispiel das in der Osthälfte unseres Landes. Jemand könnte sämtliche Bankunterlagen löschen. Und dazu noch die Sicherungskopien, falls das Virus clever genug ist.“
Im Krimi kommt eine ganze Reihe von Akteuren als Missetäter infrage: Chinesen, Nordkoreaner, Renega- ten im Dunstkreis der saudischen Herrscherfamilie und natürlich die Russen, denen Duncan mit hochaktuellem Bezug auf die Vorwürfe des Jahres 2016 rät, die Hände von Amerikas Wahlen zu lassen. Welcher Staat tatsächlich gemeinsame Sache mit Cindoruk macht, soll hier nicht verraten werden.
Jedenfalls schlägt zwei Computergenies des Terrorfürsten gerade noch rechtzeitig das Gewissen. Eine aus der Schwarzmeerrepublik Abchasien stammende Programmiererin, „eine Mischung aus CalvinKlein-Model und Eurotrash-Punkrockerin“, trifft sich mit Duncan, um ihn zu warnen. Der soll sich im Gegenzug bei der Regierung Georgiens dafür einsetzen, dass sie begnadigt wird und in ihre Heimat zurückkehren darf. Ihr blutjunger Partner, ein Hacker aus dem Donbass, sitzt irgendwann in einem Baseballstadion neben einem Präsidenten, der zur Tarnung eine Brille trägt, sich Bartstoppeln wachsen und die Augenbrauen dick malen ließ. Duncan handelt auf eigene Faust, niemand soll ihn erkennen. Da außer sehr engen, sehr verschwiegenen Vertrauten keiner weiß, wo er ist, machen bald Eilmeldungen die Runde, nach denen er vermisst wird – „The President Is Missing“. Eine Gruppe von Berufskillern, von Cindoruk angeheuert, um die beiden Abtrünnigen zu töten, kommt bei alledem in die Quere, was die Suche nach dem Virus erheblich erschwert. Die Scharfschützin an der Spitze des Trupps versucht ein Kindheitstrauma aus dem Sarajevo des Bürgerkriegs zu verarbeiten, indem sie, unter Kopfhörern, ausdauernd Musik von Johann Sebastian Bach hört.
Dass Cindoruk in einer deutschen Großstadt lebt, wenn er nicht in Algerien campiert, lässt wiederum an die Terrorzelle um Mohammed Atta denken, die am 11. September 2001 entführte Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon krachen ließ. Der Präsident Russlands träumt davon, das sowjetische Imperium wiederauferstehen zu lassen. Duncan wiederum kämpfte im Golfkrieg des Jahres 1991, geriet in irakische Gefangenschaft, wurde gefoltert, blieb standhaft und kam als gefeierter Held Bill Clinton, James Patterson: „The President Is Missing“; aus dem Amerikanischen von Anke und Eberhard Kreutzer, Droemer Verlag, 480 Seiten, 22,99 Euro nach Hause. Wovon er später beim Duell ums Weiße Haus kräftig zehren konnte. Der Kaukasus, Bosnien, die Ostukraine, 9/11, der Krieg am Golf: kaum ein Konfliktschauplatz, auf den die Autoren verzichten. Kaum ein Klischee, das sie nicht bemühen.
Im Übrigen ist Duncan gesundheitlich derart angeschlagen, dass seine Landsleute auf keinen Fall erfahren dürfen, wie schlimm es um ihn steht. An einer Blutkrankheit mit dem unaussprechlichen Namen Immunthrombozytopenie leidend, muss er sich von seiner Ärztin sagen lassen, dass er den Tod riskiert, falls er vergisst, seine Medikamente zu nehmen. Was ein Präsident, der sein Land retten muss, freilich nicht immer beherzigen kann. Außerdem ist seine Frau vor einiger Zeit an Krebs gestorben, womit klar ist, dass Clintons Buch nicht als Geschichte über seine Ehe gelesen werden kann.
Dann wäre da noch der Wert von Verbündeten, auf deren Hilfe Jonathan Duncan in akuter Not baut. Es liegt auf der Hand, darin einen gewollten Kontrast zu Donald Trump zu sehen, der sich nicht scheut, selbst enge Verbündete zu brüskieren. Nachdem er ein Feuergefecht in den Straßen Washingtons überlebt, zieht sich Duncan auf ein gut getarntes Anwesen im ländlichen Virginia zurück. Dort trifft bald darauf neben der Ministerpräsidentin Israels auch der deutsche Bundeskanzler ein, ein Hüne namens Jürgen Richter, der „in seinem dreiteiligen Nadelstreifenanzug wirkt, als wäre er dem britischen Königshaus entsprungen“. Richter soll versichern, dass der Beistandsartikel 5 des Nato-Vertrags auch für den Fall gilt, dass die USA am Boden liegen. Ein Paragraf, den Trump anfangs, als er die Nato für obsolet erklärte, infrage gestellt hat. Und mittendrin warnt die Hauptfigur des Romans: „Sich mit Kriechern und Speichelleckern zu umgeben, ist der kürzeste Weg zum Scheitern.“Da der aktuelle Präsident seine Minister gern Loblieder auf sich selbst anstimmen lässt, lässt sich der Wink mit dem Zaunpfahl kaum übersehen.
Schließlich das Happy End. Die Cyberattacke ist abgewehrt, der Präsident erfreut sich sensationeller Beliebtheitswerte, das mit dem Impeachment hat sich erledigt, stattdessen hält er vor beiden Kongresskammern eine eindringliche Rede. „Heute ist es nur noch ‚Sie gegen uns‘ in Amerika. Politik ist nicht viel mehr als ein Blutsport. Folglich wächst unsere Bereitschaft, jedem, der nicht in unserer eigenen Blase lebt, das Schlimmste zu unterstellen. Und unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, nimmt ab.“Es ist ganz zweifellos der Pragmatiker Clinton, der da redet, schnörkellos Zustände skizzierend, an denen nicht nur er fast verzweifelt. Ach ja, Verrat ist auch mit im Spiel. Im engsten Zirkel der Macht gibt es eine undichte Stelle.
Das Buch
Es ist zweifellos der Pragmatiker Bill Clinton, der dem Präsidenten im Buch seine Stimme leiht