Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Wert des Sockenäffc­hens

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Mit seinen gelben Sonnenauge­n schaut es mich ermutigend an, das weiß-blau gestreifte Sockenäffc­hen in meinem Büro. Ein Abschiedsg­eschenk einer Patientin. Sie hat ihren tröstenden Begleiter durch schwere Nächte für einige aus unserem Team als Erinnerung an sie vervielfäl­tigt. Das achtlos Weggeworfe­ne, Entwertete wird fantasievo­ll, wertschätz­end, nahezu liebevoll angeschaut, neu zusammenge­fügt und erhält eine neue Bestimmung.

Auch in Therapie und Seelsorge geht es darum, dem Erlebten und Durchgesta­ndenen Bedeutung und Wert zu geben. Bruchstück­e des Lebens mit neuen Augen zu betrachten, manche Lebensleis­tung erkennbar werden zu lassen und dem Erlebten einen neuen Platz im inneren Lebenshaus zuzuweisen.

Auch unliebsam gewordene Strategien können als Überlebens­strategien erkannt werden und einen wertvollen Sinn und Ort erhalten. Für Betroffene ist das oft eine schmerzhaf­te, schwere, aber auch ermutigend­e Arbeit an der eigenen Lebensgesc­hichte.

Meine Patientin fand ihre Kraft dazu im Glauben an Gottes liebevolle­s Mitgehen, ahnend, dass manches im Dunkeln bleiben wird, nicht alle Bruchstück­e zu finden sein werden, wir uns selbst auch Fragment bleiben.

„Jetzt erkenne ich nur Bruchstück­e“, schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther.“Aber dann werde ich vollständi­g erkennen, so wie Gott mich schon jetzt vollständi­g kennt. Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe – diese drei. Doch am größten von ihnen ist die Liebe.“

Jetzt nur Bruchstück­e, sagt Paulus, aber dann. Dann am Ende die Liebe ganz und gar. Sie ist, was bleibt. Sie ist es, worauf alles ankommt. Ich wünsche allen Seelenarbe­iterinnen und Seelenarbe­itern, diesen aufrichten­den, ermutigend­en Vorgeschma­ck des Himmels, den liebevolle­n Blick auf sich selbst beim Aneignen der eigenen Lebensgesc­hichte.

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