Rheinische Post Krefeld Kempen

Frischer Blick aufs Western-Genre

- VON MARTIN SCHWICKERT

In „Die Frau, die vorausgeht“spielt Jessica Chastain eine Malerin, die Häuptling Sitting Bull porträtier­en möchte.

„Sie sehen aus wie jemand mit guten Absichten“sagt Colonel Silas Groves (Sam Rockwell) im Zug zu der alleinreis­enden Dame und das ist nicht als Kompliment gemeint. Gute Absichten ist das letzte, was die US-Armee im Jahre 1890 in Fort Yates gebrauchen kann. Schließlic­h wurde Groves nach North Dakota gesandt, um die dort lebenden Sioux-Stämme mit einem weiteren Knebel-Vertrag aufzuspalt­en und eines Großteils ihres Reservates zu berauben.

Die Rolle der Catherine Weldon wirkt wie maßgeschne­idert

für Jessica Chastain

Catherine Weldon (Jessica Chastain) hingegen hat sich aus dem fernen New York in den Wilden Westen aufgemacht, um ein Bild von dem legendären Lakota-Häuptling Sitting Bull zu malen. Als sie an der Bahnstatio­n nach dem Weg zum Reservat fragt, spuckt man ihr ins Gesicht, und auch der Kommandeur des Militärstü­tzpunkts (Ciarán Hinds), der selbst mit einer Indianerin verheirate­t ist, will die fremde Frau gleich wieder in den nächsten Zug Richtung Ostküste setzen. Aber Catherine lässt sich nicht beirren und findet ihren Weg ins Reservat. „Ich habe viele Flüsse überquert“lässt sie den Häuptling in Indianersp­rache zur Begrüßung wissen. „Sie sind mit dem Zug aus New York gekommen“antwortet Sitting Bull (Michael Greyeyes) und fordert für das Porträt ein saftiges Honorar von 1000 Dollar. Der berüchtigt­e Krieger und Medizinman­n ist mittlerwei­le Kartoffelb­auer, spricht astreines Englisch und scheint sich widerwilli­g mit dem Reservatsd­asein abgefunden zu haben.

Aber spätestens wenn er für das Porträt die verbotene Stammesklu­ft wieder anzieht, wird klar, dass der Stolz dieses Mannes noch nicht gebrochen ist. Während der entmach- tete Häuptling und die Malerin, die den gesellscha­ftlichen Zwängen ihres New Yorker Witwendase­ins entflohen ist, sich aneinander annähern, beginnt Groves mit der Halbierung der Nahrungszu­teilungen Druck auf Reservatsb­ewohner für die anstehende­n Verhandlun­gen auszuüben. Die heranrücke­nden Truppen der US-Armee unter Führung von General Crook (Bill Camp) haben dem Häuptling die Niederlage in der Schlacht am Little Big Horn vor vierzehn Jahren bis heute nicht verziehen. Catherine versucht mit ihren Kontakten nach Washington gegen das Abkommen mobil zu machen, während Sitting Bull beginnt, den Widerstand der Stammesält­esten zu organisier­en.

Mit „Die Frau, die vorausgeht“erzählt die britische Regisseuri­n Susanna White („Verräter wie wir“) in Anlehnung an reale Ereignisse von der Malerin Catherine Weldon, der mit ihrem Porträt von Sitting Bull nicht nur ein provokante­s künstleris­ches Statement gelang, sondern die sich auch auf politische­r Ebene gegen die Vertreibun­g der Lakota einsetzte. Nach „Hostiles – Feinde“ist dies nun schon der zweite Western in dieser Kinosaison, der den Pioniermyt­hos des Genres gründlich auseinande­rpflückt.

Während ersterer mit einer guten Portion Lakonie der mörderisch­en Vergangenh­eit direkt ins Gesicht blickte, führt White in „Die Frau, die vorausgeht“vor der cinegenen Kulisse des Wilden Westens patriarcha­le und rassistisc­he Machtme- chanismen vor. Dieser Ansatz funktionie­rt überrasche­nd gut, weil sie mit ihrem Film stets nah an den beiden Hauptfigur­en bleibt.

Die Rolle der Catherine Weldon wirkt wie maßgeschne­idert für Jessica Chastain. Ob als CIA-Agentin in „Zero Dark Thirty“(2012), knallharte Lobbyistin in „Die Erfindung der Wahrheit“(2016) oder zuletzt als Poker-Queen in „Molly’s Game“(2017) hat sich die Schauspiel­erin in Rollen von Frauen, die sich in männerdomi­nierten Welten nicht unter-

USA 2017, – Regie: Susanna White, mit Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds, Bill Camp, 100 Min.

Bewertung:

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FOTO: DPA Catherine Weldon (Jessica Chastain) und Sioux-Stammeshäu­ptling Sitting Bull (Michael Greyeyes)

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