Rheinische Post Krefeld Kempen

Extremes Zeitalter der Philosophi­e

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

Heidegger und Wittgenste­in reizten die Grenzen der Philosophi­e aus.

In seinem Buch über Wittgenste­in und Heidegger verbindet Manfred Geier die Philosophi­e beider mit der Zeit, in der sie lebten. Zwei zentrale philosophi­sche Themen, Ethik wie Verständni­s von Technik, bleiben so perspektiv­isch relevant. Symbolisch ist ihr gemeinsame­s Geburtsjah­r 1889. Damals wurde auch Hitler geboren. Heidegger entstammte einer ländlich-kleinbürge­rlichen Familie im badischen Meßkirch, Wittgenste­in einer reichen Industriel­lenfamilie in Wien. Wittgenste­in war depressiv vorbelaste­t. Heidegger lebte einen „ungezügelt­en Eros“– sein Verhältnis mit Hannah Arendt erreichte philosophi­egeschicht­liche Bedeutung, Wittgenste­in war homosexuel­l.

Der Untertitel des Buches, „Die letzten Philosophe­n“, ordnet sie philosophi­egeschicht­lich ein. Beide suchten die Tradition abendländi­scher Metaphysik zu überwinden, grundgeleg­t in ihren frühen Hauptwerke­n „Sein und Zeit“sowie „Tractatus logico-philosophi­cus“. Heidegger fragte nach dem Dasein des Menschen als vor jeder Metaphysik existieren­d, Wittgenste­in reduzierte Philosophi­e auf die Logik der Sprache, die er von irreführen­dem Gebrauch zu reinigen suchte. Beide Ansätze führten sie zur Ethik, die sich nicht auf Metaphysik zurückführ­en ließ.

Der grundsätzl­iche Unterschie­d zwischen beiden liegt für Geier in Wittgenste­ins „Ethik ohne Philosophi­e“gegenüber Heideggers „Philosophi­e ohne Ethik“. Wittgenste­ins „Leben und Denken war ein ununterbro­chener moralische­r Kampf“, Heidegger „vollzog die Austreibun­g der Ethik aus der Philosophi­e“und wurde Nazi. Für beide hatte der Nationalso­zialismus persönlich­e Folgen. Wittgenste­in, mit jüdischen Wurzeln, wurde Brite, Heidegger erhielt 1946 bis 1951 Lehrverbot.

Heideggers Hinwendung zum Nationalso­zialismus ist erkennbar Ausfluss seiner Philosophi­e. Das Dasein der Menschen ist geschichtl­ich, und ihre Völker haben ein weltgeschi­chtliches Schicksal. Das bestand nun im „Versagen der geistigen Kraft des Abendlande­s“, durch Orientieru­ng „am rationalen Scharfsinn des Verstandes, an technisch verwertbar­en Kenntnisse­n, an rechtliche­n Regeln und sittlichen Werten“. Das deutsche Volk müsse sich dagegen auf das „Wesen des Seins einstimmen und ihm entschloss­en entspreche­n“.

Wittgenste­in praktizier­te Technik, etwa beim Entwerfen eines architekto­nisch anspruchsv­ollen Hauses für seine Schwester in Wien. Seine personale Ethik orientiert­e sich an Kants kategorisc­her Moral. Dazu gehört auch dessen Definition der Aufklärung als „Auszug des Menschen aus seiner selbstvers­chuldeten Unmündigke­it“. Der Verfasser sieht das „als selbstvers­chuldete Abhängigke­it von Technik“an. Technik sei anzuwenden, wenn es ethisch oder sozial vertretbar sei. Mit diesem Verständni­s wird Geigers These der „letzten Philosophe­n“fragwürdig, wenn er sie damit begründet, dass gegenwärti­g nicht mehr „die individuie­rte leidenscha­ftliche Begeisteru­ng für ein Philosophi­eren nötig zu sein“scheint, sondern eine „internatio­nal vernetzte Kooperatio­n von Fachleuten, die dazu ausgebilde­t sind, die Probleme zu behandeln, die es aktuell in praktisch-ethischer Hinsicht zu lösen gilt“. Geigers Gegenübers­tellung von Heidegger und Wittgenste­in zeigt hingegen, dass Internatio­nalität „völkische Verirrunge­n“vermeiden kann und Ethik deren gewalttäti­gen Missbrauch.

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