Rheinische Post Krefeld Kempen

Die „Güllegrube“der Finanzbran­che

- VON MAXIMILIAN PISACANE

Die Angst vor Altersarmu­t treibt viele Anleger in die Arme von Scharlatan­en.

Über anderthalb Jahre hat Malte Krüger verdeckt für sein Buch „Undercover in der Finanzindu­strie“(Co-Autor Alexander Schmidt) ermittelt. Vorbild ist Günter Wallraff, von dessen Stiftung er ein Stipendium erhielt. Zwölf Adressen der Finanzindu­strie hat er von innen durchleuch­tet und war bei einem großen Finanzstru­kturvertri­eb Teil des Systems. Was er dort erlebt hat, laugte ihn aus: „Kein Wunder, vor allem ein Finanzstru­kturvertri­eb ist ja die geistige Güllegrube, und wer suhlt sich schon gern darin? Das System hat ja was von Irrsinn“, berichtet Krüger.

Seine Erlebnisse schildert Krüger in seinem Buch teils im Reportages­til, teils in Interviews. „Undercover in der Finanzindu­strie“liest sich als eine Abrechnung mit der deutschen Beratungsi­ndustrie. Eine klare Frage bildet den roten Faden: Wie schließe ich meine Rentenlück­e? Eine Angelegenh­eit, die viele deutsche Bundesbürg­er umtreibt. Eine neue Studie der Wirtschaft­sinstitute DIW und ZEW im Auftrag der Bertelsman­n-Stiftung kommt zum Ergebnis, dass jeder fünfte 67-Jährige 2036 von Altersarmu­t bedroht sein wird. Das Armutsrisi­ko der Neurentner steigt danach von derzeit 16,2 auf 20,2 Prozent.

Eines wird dem Leser des Buches schnell klar: Die Rentenlück­e lässt sich nicht wirksam schließen, entgegen allen Verspreche­n der Finanzindu­strie. Nach Meinung der Autoren bietet die Branche vor allem lieblose Massenabfe­rtigung und bringt kaum sinnvolle Produkte an den Altersvors­orgesparer. Denn statt Hilfestell­ung wollten die Unternehme­n Krüger immer die gleichen Produkte verkaufen – ungeeignet zur Schließung der Rentenlück­e, dafür aber umso geeigneter, um satte Provisione­n abzukassie­ren.

Der Grund: Die Gebühren und Provisione­n drücken die Rendite im besten Fall und vernichten Kapital im schlimmste­n Fall. Und genau dieses provisions­getriebene System stellen die Autoren des Buches bloß und schauen hinter die dicke Schminke. Besonders überrascht hat Krüger der Mangel, ja geradezu die Diskrimini­erung von Wissen. In seinem Erlebnisbe­richt schildert er, wie konsequent eine Kultur der Unkenntnis gepflegt wurde. Denn jede Fachfrage wurde von den Trainern abgeschmet­tert: „Das ist nur Theorie!“oder „Wissen blockiert die Praxis!“und ähnlich markige Sprüche bekam er zu hören. Als ob Praxis und Theorie unabhängig voneinande­r bestehen könnten und nicht sich gegenseiti­g bedingen und befruchten.

Geradezu menschenve­rachtend ist laut Buch das Gebaren der Branche. Es offenbart die Züge einer totalitäre­n Ideologie. „Das Schwarzwei­ß-Denken war allgegenwä­rtig. Viele Informante­n haben eingestand­en, wie sie sich gefeiert haben, wenn sie wieder einem Kunden das Geld aus der Tasche ziehen konnten“, sagt Krüger.

Erst der unabhängig­e Honorarber­ater und Ex-Banker Alexander Schmidt, später Co-Autor, bietet Krüger Unterstütz­ung an. Aufgrund seiner Insiderken­ntnisse klärt Schmidt Krüger darüber auf, warum die Finanzindu­strie gezielte Falschbera­tung bevorzugt und der Kunde zu keinem ertragreic­hen Produkt gelangt. Durch die Interviewf­orm fällt es dem Leser leicht, dem zu folgen. Die Autoren empfehlen dem Leser, sein eigener Bankmanage­r zu werden, und zeigen die Parameter auf, mit denen sich Anleger vor unseriösen und irreführen­den Angeboten schützen können.

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