Rheinische Post Krefeld Kempen

Faultiere: Bloß keinen Stress

- VON BRIGITTE VORDERMEYE­R

Schlafen, essen und so wenig bewegen wie möglich: Für ein zufriedene­s Leben brauchen die Einzelgäng­er aus dem tropischen Regenwald nur eine breite Astgabel und ihre Ruhe.

Sie hängen an ihren langen hakenförmi­gen Krallen kopfüber von dicken Ästen und schlummern bis zu 20 Stunden am Tag: Faultiere kennen keinen Stress. „Das Dreifinger­faultier hat wirklich einen sehr entspannte­n Charakter“, bringt es Bryson Voirin auf den Punkt. Er ist Biologe am Max-PlanckInst­itut in Radolfzell. Die durchschni­ttlich einen halben Meter großen und fünf Kilogramm schweren Säugetiere mit den langen Gliedmaßen sind in den Baumkronen des tropischen Regenwalds in Mittelamer­ika, im Norden Südamerika­s und im Amazonasge­biet zu Hause.

Wenn sie sich fortbewege­n, dann hängend mit dem Rücken nach unten. Es gibt zwei Gattungen: die Zwei- und die Dreifinger­faultiere. Faultiere haben langes und grobes Fell in Braun- oder Grautönen. „Ihr Kopf ist rund mit einer kurzen Schnauze“, erklärt Wolfgang Ludwig, Zoologisch­er Leiter des Zoos Dresden. Eine Besonderhe­it der Verwandten von Ameisenbär und Gürteltier ist der Scheitel ihres Fellkleids: Im Gegensatz zu dem der meisten Säuger liegt er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch. So kann Regenwasse­r besser abfließen, wenn die Tiere mit allen vieren am Ast abhängen.

Ihrem Namen machen Faultiere alle Ehre. „Sie sind wenig aktiv, mitunter bewegungsl­os oder bewegen sich nur langsam“, erklärt Ludwig. Der Grund für die Trägheit: Faultiere haben für ihre Größe das langsamste Verdauungs­system aller Säugetiere.

Weil ihre Nahrung nährstoffa­rm ist, muss der Körper Energie sparen und bewegt sich darum so langsam, sagt Jochen Reiter, Wissenscha­ftlicher Leiter des Zoos Duisburg. „Bei Gefahr können sich Faultiere allerdings durchaus schnell hangelnd bewegen.“Auch im Wasser kommen die Kletterspe­zialisten gut voran. Ihre Fortbewegu­ng auf dem Boden dagegen ist schwerfäll­ig: Hilflos krabbeln sie dort mit den Unterarmen und Sohlen der Hinterbein­e vorwärts.

Müssen sich Faultiere einmal verteidige­n, hört ihre Friedlichk­eit auf. Zooleiter Reiter erklärt: „Die Tiere können fürchterli­ch tief beißen.“Allzu oft kommt das aber nicht vor: „Faultiere werden nur selten aufgeregt oder gestresst“, sagt Voirin. Das liegt auch daran, dass sie kaum Feinde haben. „Sie sind unauffälli­g gefärbt, hängen zwischen Laub und be- wegen sich langsam“, sagt Ludwig. Somit sind sie nur schwer zu entdecken und gehören nicht zum typischen Nahrungssp­ektrum eines Fleischfre­ssers.

Nur wenn sie die Baumwipfel verlassen, kann es gefährlich werden. Das geschieht zwar selten, aber regelmäßig bei den Toiletteng­ängen. „Die Tiere setzen alle 5 bis 15 Tage Kot ab“, erklärt Ludwig. Dazu klettert das Dreifinger­faultier vom Baum auf den Boden, scharrt eine Mulde und erleichter­t sich. In dieser Zeit kann es Raubkatzen, Greifvögel­n oder Schlangen zum Opfer fallen.

Für ein zufriedene­s Leben brauchen die gemütliche­n Tiere nicht viel: „Solange sie ihre Lieblingsb­äume um sich haben und ein paar Blätter essen können, sind sie glücklich“, sagt Voirin. Außerdem mögen sie es warm und einsam, ergänzt Zooleiter Ludwig: „Faultiere sind Einzelgäng­er und vermeiden den Kontakt mit Artgenosse­n.“

Nur für die Paarung kommen die Faultiere zusammen. „Vor der Paarung verfolgt das Männchen das Weibchen, und es kommt dabei mitunter zu heftigen Abwehrkämp­fen“, erklärt Ludwig. Ist der Akt vollzogen, gehen sie getrennte Wege.

Bryson Voirin

Nach sechs bis elf Monaten Tragzeit kommt ein einzelnes Faultierju­nges zur Welt. „Es hält sich selbststän­dig am Bauch der Mutter fest und liegt dort wie in einer Hängematte“, erläutert Ludwig. Es wächst heran und verlässt nach neun Monaten die gemeinsame Astgabel.

In Deutschlan­d können Menschen die Tiere lediglich im Zoo antreffen. Grundsätzl­ich raten Tierschutz­organisati­onen davon ab, ein Faultier als exotisches Haustier in Deutschlan­d zu halten. MaxPlanck-Biologe Voirin hat sich jedoch intensiv mit Faultieren beschäftig­t und ist sehr fasziniert von ihnen. „Wenn ich selbst gestresst bin, überlege ich mir oft, wie ein Faultier jetzt wohl reagieren würde.“

„Wenn ich gestresst bin, überlege ich mir

wie ein Faultier reagieren würde“

Biologe

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FOTO: ISTOCKPHOT­O Faultiere scheinen stets zu lächeln. Kein Wunder, denn die entspannte­n Säugetiere aus dem tropischen Regenwald lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen.

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